42. Kapitel

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Ich betrat leise das Haus und hoffte so unbemerkt in mein Zimmer zu kommen, doch daraus wurde nichts. Mein Vater kam aus der Küche auf mich zu. Er hatte anscheinend auf mich gewartet. "Da bist du ja endlich. Gerade noch pünktlich. Komm mit ich muss mit dir reden.", meinte er betont ruhig und ich wurde unruhig. Es hatte nie etwas Gutes zu bedeuten, wenn er mit mir reden wollte, vor allem nicht, wenn er dabei noch so ruhig war. Ich folgte ihm vorsichtig ins Wohnzimmer, wo er am Fenster stand und nach draußen in unseren verwilderten Garten sah. Er schwieg und ich fragte mich, was ich denn falsch gemacht haben könnte. Schließlich fing er an zu reden: "Die Schule hat heute Morgen bei mir angerufen. Einem deiner Lehrer sind anscheinend schon öfters blaue Flecken an dir aufgefallen und auch dein Verhalten hat ihn stutzig gemacht. Die Schulleitung hat gefragt, ob bei uns zu Hause alles in Ordnung ist und ob ich wüsste woher du diese Verletzungen hast. Ich hab mich rausgeredet und gemeint ich wüsste von nichts, würde mich aber drum kümmern und sie müssten sich keine Sorgen machen." Seine Stimme wurden zum Ende hin immer gepresster, so als müsste er sich wirklich stark zusammenreißen um mich nicht anzuschreien. Shit. Warum musste sich mein Lehrer da einmischen? Vater hatte mir so oft eingebläut, dass niemand jemals etwas davon erfahren darf, und dass jetzt jemand Verdacht geschöpft hatte gefiel ihm sicherlich überhaupt nicht. Ich begann vor Angst zu zittern. Was würde er jetzt mit mir tun? Langsam drehte er sich zu mir um. "Ich bin wirklich enttäuscht von dir. Hab ich dir nicht oft genug gesagt, dass du dich unauffällig verhalten sollst und dass niemand was merken darf?" "J-ja, aber-aber ich h-hab mi-mich wirk-wirklich bemüh-müht..." "Hör sofort mit diesem Rumgestottere auf! Das ist ja kaum auszuhalten. Bemüht hast du dich also?! Davon merk ich aber nichts. Wenn du dich wirklich bemüht hättest wär keinem was aufgefallen, aber nein du kleines Miststück musst natürlich mal wieder alles vermasseln! Wegen dir hab ich jetzt vielleicht bald die Bullen am Hals! Du bist nur eine Last für mich, am besten wäre es, wenn wir dich abgetrieben hätten, dann müsste ich dich jetzt nicht ertragen! Brauchen tut dich eh keiner! Am besten wärs, wenn du dich umbringen würdest! Aber da dus nicht tust muss ich mich weiter mit dir rumschlagen!", schrie er mich an und geriet dabei immer mehr in Rage. Seine Worte taten unglaublich weh, mehr als seine Schläge. Er wollte, dass ich starb. Mein eigener Vater. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten, auch wenn ich wusste, dass das ein Fehler war. Schnell versuchte ich sie wegzuwischen, aber es war zu spät, denn er hatte sie schon gesehen. "Hör auf zu heulen! Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass ich es hasse, wenn du das tust. Aber du hörst ja nie zu, wenn ich dir was sage. Wird anscheinend mal wieder Zeit, dass ich dir eine Lektion verpasse!" Ängstlich wich ich zurück, doch ich konnte ihm nicht entkommen. Konnte ich noch nie. Und mit seinem ersten Schlag fing ein langer, harter Abend für mich an.

Langsam öffnete ich blinzelnd meine Augen. Mein Kopf tat weh und ich erinnerte mich nur noch verschwommen an das, was passiert war. Ich erkannte, dass ich in meinem Zimmer lag und Fynn saß neben mir auf meinem Bett. Er starrte gedankenverloren an die gegenüberliegende Wand, blickte aber zu mir, als ich nach seiner Hand griff. "Ava, du bist wach.", meinte er erleichtert, als er meine offenen Augen sah. "Wie geht's dir?" "Ganz gut. Mein Kopf tut etwas weh, aber sonst fehlt mir nichts. Was ist eigentlich genau passiert und wie lange hab ich geschlafen?", wollte ich wissen. "Du solltest deinen Teil vorstellen, aber dann hat Ashley angefangen dich zu beleidigen und als sie dann meinte, dass du dich umbringen sollst bist du umgekippt. Kyle und ich haben dich dann nach Hause gebracht, wo du bis gerade geschlafen hast. Es ist jetzt fast fünf. Hattest du einen Alptraum? Du warst nämlich am Anfang ziemlich unruhig.", erklärte mir Fynn. "Ja ich hab von meinem Vater geträumt. Ashley hat fast dieselben Worte wie er damals benutzt und dann konnte ich die Erinnerungen einfach nicht zurückhalten.", meinte ich leise und blickte bei den Gedanken an damals traurig weg. Fynn beugte sich zu mir runter und nahm mich in den Arm, was mir gerade unheimlich guttat. Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst und ich mich aufgesetzt hatte, fiel mir plötzlich auf, dass er vorhin Kyle erwähnt hatte. "Was ist eigentlich mit Kyle. Du meintest doch vorhin er wäre auch hier gewesen." "Ja, er war die ganze Zeit bei dir, aber dann ist er nach Hause, weil seine Mutter heute Nachmittag mal frei hatte und Zeit mit ihm verbringen wollte. Ich muss ihm gleich noch schreiben, dass du endlich wach bist. Ich sollte ihm eigentlich sofort Bescheid geben." Ich verstand Kyle, dass er gegangen ist. Mir ging es ja gut und ich wusste wie wenig Zeit er und seine Mutter miteinander hatten. Ich hätte nie von ihm verlangt, dass er für mich hierbleibt. Außerdem zeigte sein Wunsch ihm sofort Bescheid zu geben ja auch, dass er trotzdem an mich dachte.

Nachts lag ich noch lange wach in meinem Bett. Beim Abendessen hatten Fynn und ich mit meiner Mum und seinem Dad über das Geschehene geredet. Beide waren entsetzt und wollten morgen bei der Schulleitung anrufen und auch mit dieser nochmal ein Gespräch führen. Sie wollten dafür sorgen, dass soetwas nie wieder passierte, doch ich hatte da meine Zweifel. Vielleicht konnte ich auch einfach nicht schlafen, weil ich es heute Mittag schon getan hatte, aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann lag es eher daran, dass ich Angst vor morgen hatte. Angst davor, was die anderen Schüler morgen sagen würden, wenn sie mich sahen. Ich hatte vor ihnen allen einen Flashback bekommen und sie hatten mich ja schon davor für seltsam gehalten. Am meisten Angst hatte ich aber tatsächlich vor Ashley. Sie würde keine Ruhe geben, bis sie ihr Ziel erreicht hatte und sie hatte heute auch gezeigt, dass sie vor nichts zurückschreckte. Dass Kyle und Fynn zu mir hielten und auf mich aufpassten beruhigte mich etwas, doch vor den Worten der anderen konnten sie mich nicht beschützen. Und vielleicht hatte ich auch etwas Angst davor, dass diese Worte stimmten, dass ich wirklich nur eine Last war und mich umbringen sollte. Aber daran durfte ich nicht denken! Ich hatte Menschen, die mich liebten und die ich liebte und für sie würde ich stark sein. Und mit diesem Gedanken schaffte ich es endlich einzuschlafen.

Ava - My life with fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt