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Carla

Die Jugend von heute hat es genau so schwer, wie die Jugend von gestern. Wir quälen uns durch die Schule, müssen pausenlos für irgendwelche Klausuren lernen. Bekommen täglich neue Hausaufgaben auf, die zu viel Zeit von unserem Tag nehmen, als sie eigentlich sollen. Wir müssen so viele Informationen und Daten auswendig lernen, damit wir einen einigermaßen guten Abschluss erreichen, um dann eine Ausbildung, das Abitur oder Fachabitur machen können. Und danach? Danach geht es weiter mit dem Job, durch welchen wir uns ein lebenlang quälen. Aber ist das ein gutes Leben? Wollen wir wirklich unser Leben so gestalten ohne wirklich gelebt zu haben? Wollen wir unsere Freizeit, unsere Hobbies oder Talente aufgeben, damit wir in zehn Jahren an einem Schreibtisch sitzen und die Arbeit für einen anderen machen? Ist es das was wir wollen?

Mein verstorbener Großvater sagte immer, dass wir, Rosa und ich, uns auf zwei Dinge in unserem Leben fokussieren sollen: auf unser privat Leben und das, was uns erfolgreich machen soll, die Arbeit. Denn ohne die Arbeit können wir nicht leben. Wir können nicht die Dinge tun, die wir immer schon machen wollen. Wir können keine Abenteuer ohne Geld erleben. Geld ist Macht. Aber Geld ist nicht das, was uns glücklich macht. Es sind nicht die materiellen Dinge im Leben. Es ist die Liebe, die Aufmerksamkeit und die Zuneigung der anderen, die das Leben bereichern.

Nicht jeder hat es verstanden und nicht jeder wird es auch verstehen. Natürlich spielt Geld eine große Rolle im Leben. Durch das Geld haben wir ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Kleidung. Strom und Wasser. Freizeit Aktivitäten, für die wir ebenfalls bezahlen müssen. Aber warum sollen wir für etwas bezahlen, was man liebt?

Geld hat für mich nie eine wichtige Rolle gespielt und es wird auch nie Rolle für mich in meinem Leben spielen. Ich könnte arm sein und trotzdem wissen, was das beste im Leben ist. Meine Freunde könnten arm sein, und ich würde ihnen trotzdem mein Leben anvertrauen. Denn hat man ein gutes Herz, hat man alles im Leben erreicht.

Mit diesem Gedanken zwang ich mich heute morgen aus dem Bett. Es ist Freitag. Ein Tag vor Egzona's Geburtstag. Nur noch wenige Stunden, bis sie in jedem Land volljährig wird.

Doch zuerst muss ich die Uni und die Arbeit überstehen um dann ins Wochenende starten zu können. Ich weiß nicht, ob mein Körper es mitmacht. Denn gestern Abend habe ich meine Periode bekommen, bin ständig hungrig, habe mood drops sowie Schmerzen, die selbst mit der stärksten Tablette nicht verschwinden.

'Ich sollte mir irgendwann mal die Pille dagegen verschreiben lassen', denke ich mir und steige mit meinen Sachen aus dem Wagen. Ich weiß auch, dass ich heute nicht besonders gut aussehe. Meine sonst so gebräunte Haut, gleicht Bella Swan aus Twilight. Meine Haare habe ich versucht in einen Dutt zu stecken, doch ich weiß, dass ich nicht jede Strähne in den Dutt Kissen bekommen habe.

Das einzige, was ich heute morgen noch gut hinbekommen habe, sind meine Klamotten für den heutigen Tag. Auch wenn ich aussehe, als würde ich auf eine Beerdigung gehen, denn ich trage heute all black. Eine schwarze schlichte Skinny Jeans, einen schwarzen Hoodie mit einer goldenen Schrift Don't und ebenfalls schwarzen Vans. Mein Hoodie ist ein Geschenk von meinen Freunden. Ein Merch von Bryson Tiller.

Ich weiß zwar, das ich zur Arbeit feiner auftauchen sollte, dennoch ist der Betrieb dort und die Mitarbeiter mehr als entspannt. Mich würde es also nicht wundern, wenn einer der Angestellten an einem Tag mit Jogginghose auftauchen würde. Aber das würde niemals vorkommen.

Mit schnellen Schritten laufe ich zu meiner ersten Vorlesung am heutigen Tag und erreiche auch den Hörsaal. Meine erste Vorlesung ist bei Ms Allen, bei welcher ich seit einigen Vorlesungen schon in der ersten Reihe sitze. In meiner Reihe sitzen nicht viele, nur drei weitere Studenten, dessen Namen ich nicht mal kenne. Sie sprechen auch nicht mit mir, was mir mehr als Recht ist. Vor allem am heutigen Tag.

Als ich den Hörsaal betrete, sitzt Mariele schon an ihrem Stammplatz, hinter ihr wie immer Poyraz. Sie winkt mir kurz zu, nachdem sie mich erblickt, und sich dann wieder ihre Sachen widmet.

Seufzend setze ich mich dann in die erste Reihe. Der Platz neben mir ist leer, doch einen Platz weiter sitzt dann ein brünettes Mädchen, mit einer runden Brille auf der Nase. Ich habe sie das erste mal gesehen, als ich hier auf dem Platz zugeordnet wurde, weshalb sie mir sonst auch nie aufgefallen ist. Sie scheint sowieso mehr die graue Maus zu sein. Aber meiner Meinung nach sind solche Menschen viel interessanter.

Mit meinem Ellenbogen stütze ich mich am Tisch sowie meine Hand an meinem Kinn ab und schaue zu der jungen Frau neben mir. Sie trägt wie immer einen strengen, hohen Zopf, ihre Brille verdreckt fast ihr komplettes Gesicht, oder zumindest nur ihre Augenringe, welche sie wahrscheinlich versucht hat, mit Concealer zu überdecken. Ihre Augen haben eine ella Farbe - braungrün. Trotz das ich so weit von ihr sitze, erkenne ich ihre Augenfarbe, denn das helle grün in ihren Augen sticht heraus.

„Wie lange willst du noch gucken?", höre ich ihre Stimme, welche sich so sanft anhört, das ich nicht mal glaube, dass sie es böse meint. Wahrscheinlich fühlt sie sich einfach nur von mir bedroht.

„Tut mir Leid", entschuldige ich mich bei ihr und nehme dann meine Unterlagen aus meiner Tasche heraus, doch ich blicke immer wieder mal zu ihr. „Es tut mir echt Leid, aber du-"

„Du entschuldigst dich zu oft, Carla."

Woher kennt sie meinen Namen?

Mit großen verwunderten Augen schaue ich sie an. „Woher kennst du meinen Namen?", frage ich sie sofort wie aus der Pistole geschossen. „Stalkst du mich?"

Sie dreht ihren Kopf in meine Richtung und schiebt ihre Brille in der Mitte hoch. Nun sehe ich ihr komplettes Gesicht und mir fällt nun auf, dass sich ein paar kleine Muttermale über ihr Gesicht zieren sowie vereinzelte Sommersprossen über ihre Nase. Sie ist eine wahrhaftige Naturschönheit. „Um ehrlich zu sein, Poyraz ist mein Stiefbruder. Von ihm weiß ich es."

„Er ist was?", rufe ich fast und sehe zu dem gesagten hoch, welcher gerade mit einen der Studenten im Saal spricht und dabei sein Grinsen nicht zurück halten kann. „Ich glaub's nicht. Er ist dein Brude-"

„Stiefbruder", verbessert sie mich sofort und lächelt dabei. „Ich bin auch nicht wirklich begeistert von ihm."

Ich erwidere ihr Lächeln und nicke kurz. „Du weißt wie ich heiße, also, wie heißt du?"

„Havva." Ich ziehe nur einen Augenbraue hoch, da ich den Namen einfach nicht wirklich verstehe. Akustisch schon, aber ich habe ihn bisher noch nie gehört. „Havva. Heinrich, Anton, Viktor, Anton."

„Hava?", sage ich dann und bekomme nur ein Lachen, doch sie verstummt sofort als Ms Allen herein kommt.

„Doppel V", flüstert sie dann und dreht ihren Kopf wieder nach Vorne. „Freut mich dich kennenzulernen, Carla."

„Freut mich ebenfalls, Havva."

𝖸𝖫𝖫𝖨 𝖨𝖬. | 𝘿𝘼𝙍𝘿𝘼𝙉.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt