Sherlock Holmes

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Gedankenverloren starre ich in das orangerot leuchtende Feuer, dessen Flammen fröhlich im offenen Kamin dahintanzen. Tief in meinen Ledersessel gesunken, genehmige ich mir einen kräftigen Zug von meiner Pfeife, dessen Rauch sich mit dem des Feuers vermischt.

Mein Blick schweift zu der gläsernen Vitrine, in der ich all meine gesammelten Waffen aufbewahre. Meiner Meinung nach ist das Waffensammeln das verrückteste Hobby überhaupt aber wahrscheinlich fängt man an, komische Dinge zu tun, wenn man Meisterdetektiv ist und immer die schwierigsten und kompliziertesten Fälle lösen muss. 

Trrrrrrrrr trrrrrrrrrrrrr trrrrrrrrrrrrrr. Das laute Klingeln des Telefons unterbricht meinen wirren Gedankenstrom. Schnell stemme ich mich in die Höhe und nehme den Hörer von der Gabel. ,,Ja, hier ist Sherlock Holmes, Meisterdetektiv Londons, was kann ich für Sie tun?" ,,Ja, guten Tag, hier spricht Mister Ross. Ich...ich...ich weiß nicht, wie ich sagen soll, aber meine Frau wurde gerade mutwillig ermordet. Meiner Meinung nach ist dies aber unmöglich, da sie zu dieser Zeit keine Geschäftsgespräche geführt hat und auch keine Freundinnen bei ihr zu Besuch waren. Bitte helfen Sie mir!", redet Mister Ross darauf los. Nachdem ich mich nach seiner Adresse erkundigt habe, laufe ich schnell in den kalten Flur. Blitzschnell schlüpfe ich in meinen karierten Wintermantel und stülpe mir eine Art Tropenhut über meine braunen Haare. Im Hinausgehen schnappe ich mir noch meinen Spazierstock, der in einer dunklen Ecke lehnt, und stoße die Haustür mit einem kräftigen Schwung auf. Nur mit dieser Ausrüstung fühle ich mich wie ein Detektiv.

Auf der Straße mische ich mich unter die Menschenmassen, die alle Richtung Innenstadt strömen. Obwohl ich meine Schritte genau an die Passanten anpasse habe ich ständig das Gefühl, nicht richtig zum Strom dazuzugehören. Ständig glaube ich, beobachtet zu werden und trotz dutzend hastender Menschen aufzufallen. Wahrscheinlich liegt dies an meinem Beruf als Detektiv, denn dadurch bin ich viel aufmerksamer als die meisten anderen. Ich werde in Richtung der U-Bahn gedrängt, in welche ich auch einsteige. Ratternd, immer an Geschwindigkeit zunehmend, setzt sich der Zug in Bewegung. Als ich aus dem Fenster starre, kann ich nichts außer der draußen vorherrschenden Dunkelheit erkennen, da der Zug durch einen Tunnel fährt. An der angelaufenen Fensterscheibe betrachte ich mein eigenes Gesicht. Braunes Haar, das unter einem schäbigen Hut hervorlugt, müde aussehende, abgestumpfte graue Augen, die zu tief in den Höhlen liegen. Unter der kleinen Nase saugen aufgesprungene Lippen gierig an einer Pfeife. Qualm steigt auf und langsam verblasst das Bild. Nach einer Weile bemerke ich, dass ich schon an meinem Ziel angelangt bin. Am Anwesen der Familie Ross.

Sobald ich das riesige, automatisch aufgehende Tor durchquert habe, kommt mir ein sichtlich aufgelöster Mister Ross entgegengelaufen. Verstört erzählt er mir genau das gleich wie vorhin am Telefon, doch ich höre schon gar nicht mehr zu, sondern betrachte haargenau die auf dem Vorplatz stehende Leute.

Einer von ihnen ist mein bester Freund und Mitarbeiter Doktor Watson, der mit grimmiger Miene drei Personen vor sich betrachtet. Ich erkundige mich bei Mister Ross, wer sie seien. Er erklärte mir, dass es sich dabei um seine Angestellten handle, die sich während des Mordes auf seinem Grundstück befanden. Der Gärtner, die Köchin und der Butler. Das dürfte nicht schwierig werden, den Täter ausfindig zu machen.

Ich habe Mister Ross gebeten, mir den Tatort zu zeigen. Zu meinem Entsetzen führt er mich in sein Badezimmer. Und dann sehe ich Mrs. Ross. Sie liegt tot in der Badewanne. Ihre grünen, blutunterlaufenen Augen blicken starr an die mit Blumen bemalte Decke. Doch das Schlimmste an ihrem Anblick ist die erschreckend tiefe Wunde über ihrem Herzen. Dort hatte jemand mutwillig zugestochen. Ich wende mich ab und gehe wieder nach draußen, wo mich bereits Doktor Watson erwartet. Er hat gerade die Leiche untersucht und ist ebenfalls zutiefst entsetzt über die grausame Vorgehensweise des Mörders. Schließlich wende ich mich an die drei Hauptverdächtigen.

Ich: ,,Wo seid ihr gewesen, als Mrs. Ross ermordet wurde?

Gärtner: ,,Ich war den ganzen Nachmittag in meiner Gartenhütte, in der ich Blumensträuße für Mrs. Ross gebunden habe. Sie will nämlich jeden Tag einen frische haben. Bitte glauben Sie mir, ich werde doch nicht meine Arbeitgeberin ermorden. Heutzutage schätzt niemand mehr GärtnerInnen."

Butler: „Naja, ich war den ganzen Nachmittag in meinem Zimmer und habe ein Buch gelesen, da ich zu diesem Zeitpunkt schon entlassen worden war. Mrs. Ross erklärte mir, dass sie von nun an alleine klarkommt und mir ein freier Nachmittag sicher nicht schaden würde. Aber Mister Holmes, Sie glauben doch nicht etwa, dass ich Mrs. Ross ermordet habe. Zu so einer Tat wäre ich nie fähig gewesen. Ich habe ihr jahrelang gedient und sie war eine enge Freundin von mir."

Köchin: „Ich war zur Mittagszeit in der Küche und habe den Abwasch erledigt. Danach habe ich noch das Esszimmer geputzt. Ich schwöre, ich war um 13:00 Uhr in der Küche. Ich habe nichts mit dem Mord an Mrs. Ross zu tun."

Ich: „Warum versteifen Sie sich denn so genau auf die Uhrzeit? Woher wissen Sie denn, ob der der Mord um 13:00 Uhr stattgefunden hat? Nicht einmal die Polizei hat die genaue Uhrzeit herausgefunden!"

Sofort ist mir klar, wo ich nach dem entscheidenen Hinweis suchen muss. Deswegen befehle ich der Köchin, dass sie mich sofort in die Küche führen solle. Misstrauisch betrachte ich die kleine, rothaarige Frau, die nun mit panischem Gesichtsausdruck zu mir aufsieht. Schließlich gibt sie sich einen inneren Ruck. Augenblicklich weicht die Angst aus ihrem Blick und stattdessen sieht sie mich trotzig an. Dabei schiebt sie die Unterlippe vor, wie ein schmollendes Kleinkind. Die etwas zu klein gewachsene Frau verschränkt die Arme vor der Brust, wirft mir einen letzten tödlichen Blick zu und stolziert hoch erhobenen Hauptes an mir vorbei in Richtung Küche. 

Dort angekommen setze ich sofort meinen Detektivspürsinn ein. Wo kann sie wohl etwas versteckt haben? Suchend blicke ich mich in der eng eingerichteten Küche um. Im Augenwinkel beobachte ich die kleine Frau, welche sich nervös ihre Hände an ihrer blau gemusterten Schürze abstreift. Sie blickt überall hin, nur nicht in meine Augen, doch als ihr Blick durch die Küche streift, bleibt er eine Millisekunde am Waschbecken hängen. Und durch dieses kleine Innehalten, macht sie sich verdächtig. Langsam steuere ich das Waschbecken an, welches mit schmutzigem Geschirr überhäuft ist. 

Sagte sie nicht, sie habe den Abwasch getan, als die Tat begangen wurde? Umso näher ich dem Waschbecken komme, umso mehr Schweiß scheint sich in ihren Handflächen zu versammeln, denn sie wischt ständig an ihrer Schürze herum. Ich nehme einen schmutzigen Teller in die Hand, und hebe ihn leicht an. Und was darunter zum Vorschein kommt, habe ich mir schon denken können. Eine dünne Blutspur, welche über weitere schmutzige Teller gezogen war, endete bei einem Messer, welches voll mit Blut war. Ich drehe mich mit dem Messer in der Hand zu der kleinen Köchin um und schaue sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. 

"Ich wollte das nie, das schwöre ich. Doch Miss Ross hat immer alles bekommen, was sie wollte. Wir waren schon miteinander in der Schule und sie war immer besser gewesen als ich, aber auch nur, weil sie bessere Mittel zur Verfügung gehabt hatte. Ich glaube, dass mich die Eifersucht zu dieser Tat gedrängt hatte. Ich witterte meine Chance, als sie in der Badewanne ein Bad nahm. Mrs. Ross schlief immer schnell ein, wenn sie von warmen Wasser umgeben war. Und so war es auch heute. Ich ließ ihr ein warmes Bad ein, und als ich ein leises Schnarchen hörte, nutzte ich die einmalige Gelegenheit, und stach zu. Es ging ganz schnell."

Nach ihrem Geständnis, fängt sie an zu schluchzen und ihre Schultern bebten. In dem Moment kam auch schon die Gendarmerie zur Tür herein und führte die kleine Dame zum Polizeirevier.

Dieser Fall war nicht der schwierigste meiner Zeit, doch trotzdem hat es mich Anstrengungen gekostet, um ihn zu lösen. Leider konnte man Mrs. Ross nicht mehr helfen, und das bedauere ich sehr, denn, wie ich sie kannte, war sie immer liebenswürdig und nett gewesen.

Ich jedenfalls werde mich jetzt wieder in mein gemütliches Wohnzimmer setzten und auf den nächsten Anruf warten.




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