11. Kapitel - Mittagsstunde

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Scarlets Schritte hallten durch den Flur, als sie mich hinter sich herzog.
"Wir müssen dich verstecken!", rief sie atemlos über ihre Schulter, "Wenn Oktavius herausfindet, dass du hier bist, macht er Ascendant dem Erdboden gleich!"
Scarlet stoppte vor einer silbernen Tür und schob mich hinein.
"Scarlet!", sagte ich und fasste sie am Arm, "Wenn es zu einem Kampf kommt, werde ich Ascendant bis zum letzten Blutstropfen verteidigen!" Scarlet nickte mir dankbar zu und schloss dann die Tür hinter sich. Ich drehte mich um, lehnte mich an die silbernen Türen und erschreckte mich fast zu Tode.
Ich war nicht alleine.
Ein Mädchen mit Karamellfarbener Haut, ebenholzfarbenen Augen und auffällig lockigem braunem Haar, welches mit einem silbernen Band an ihrem Hinterkopf hoch gesteckt war. Sie trug ein mitternachtsblaues Kleid, das einen Streifen Haut an ihrem Bauch frei ließ. Von ihren Ohren hingen silberne Ohrringe, sie trug eine auffällige silberne Kette und die Ketten und Bänder an ihren Hand- und Fußgelenken klimperten in einer angenehmen Melodie, als sie angesichts meiner Überraschung zurückschreckte.
"Du...", stammelte ich und konnte meinen Blick nicht von ihrem Hals abwenden, "Du bist eine Elfe!"

Das Mädchen starrte mich erschrocken an.
"Was machen Elfen in den SeaLands?!", fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und ihre silbernen Ohringe schwangen um die Seerosen, die aus der gebräunten Haut ihres Halses wuchsen.
"Ich", sagte sie und blickte sich um, als wäre ihr die ganze Situation unglaublich unangenehm, "Ich bin Aisha Aquabloom!", sagte sie. "Ich und meine Schwestern haben Lady Scarlet um Schutz gebeten! Wir leben seit zwei Jahren hier!" Meine Augen weiteten sich. Zwei Jahre?! Seit zwei Jahren belog Scarlet uns schon?!
Beschwichtigend hob Aisha die Hände.
"Wir haben Scarlet gebeten uns vor eurer Familie zu beschützen. Sie wollte es sagen, doch wir hatten Angst und gütig wie sie ist, verriet sie uns nicht.", sagte sie.
"Ich habe nichts gegen Elfen.", erwiderte ich.
Aisha schenkte mir ein schwaches Lächeln und streckte mir die Hand entgegen.
"Prinzessin, ich freue mich euch kennenzulernen.", sagte sie und als ich ihre Hand ergriff sagte ich: "Nenn mich einfach Kaylen." Aisha grinste und deutete aufs Fenster.
Ich stellte mich ans Fenster und sah nach draußen. Vor den Mauern von Ascendant, auf den grünen Hügeln, die sonst von Bäschen durchzogen wurden, wie Adern, standen Tausende von SeaLandern in silbernen Rüstungen mit blau silbernen Farnen, die im Wind flackerten. Den Farben meiner Familie.
Ich beobachtete wie Scarlet mit einer fast weißen Rüstung und einem scharlachroten Umhang. Ihr Haar war zu einem Zopf geflochten. Hinter ihr stand Helios in einer fast schwarzen Rüstung, einen Helm unter seinen Arm geklemmt. Die Stadt war wie leergefegt.
Und dann...
Oktavius trug eine Rüstung aus Eis, geschmiedet aus seinen Kräften und dem Hass, den er in seinem Herzen trug. Scarlet stand auf der Mauer mit hoch erhobenem Kopf und sprach mit meinem Bruder. Ich wünschte, ich könnte verstehen, was beide gesagt haben, doch die Fenster schützten uns vor jedem Wort.
Scarlett erwiderte erneut etwas und dann hob Oktavius seine Hand, ein doppelschneidiges Schwert aus Eis bildete sich in seiner Hand, dann ritt er los und seine Armee folgte ihm.
Sie galoppierten auf die Mauer zu, ich sah wie in Zeitlupe, wie sie die Mauer erreichten.
In diesem Moment explodierte der Fluss unter ihren Füßen. Tausende von Soldaten wurden durch die Luft geschleudert, ihre Rüstungen glitzerten in der Sonne auf, wie riesige Tautropfen. Schreie wurden laut, doch durch die Fensterscheibe konnte ich nichts hören.
Scarlets Blick glitt angstvoll zu meinem Fenster und in diesem Augenblick sah ich, wie Oktavius Blick Scarlets folgte.
Und dann sah ich ihn. Nach etlichen Wochen sah ich ihn wieder. Oktavius Gesicht, das Gesicht meines Bruders, dass mir eigentlich so vertraut sein sollte, ich dennoch nicht wieder erkannte.
Oktavius Meeresblaue Augen verengten sich.
Eisblumen erschienen auf dem Fenster, so schnell, dass ich gerade noch Zeit hatte, Aisha auf den Boden zu werfen, ehe die Scheibe sich der Kälte beugte und in tausend kleinen Scherben zersprang. Glas- und Eissplitter bohrten sich in meinen Rücken, meinen Arm und ich schrie laut auf.
Aisha braune Augen waren weit aufgerissen, als ich mich aufrichtete. Schneller, als ich denken konnte, wirbelte Wasser um meinen Körper. Meine Rüstung war gerade gefroren, als ich durch die Öffnung im Fenster sprang.
Das Wasser umwirbelte mich, und schützte mich vor dem Aufprall auf dem fünf Meter entfernten Kopfsteinpflaster.
Ich rannte weiter, bis ich die Mauer erreichte, auf der Scarlet mich entgeistert anstarrte. Ich beachtete sie nicht, sondern ließ mich von einer Welle auf die Burgmauer spülen.
"Oktavius!", schrie ich, "Verschwinde von diesem Land!"
Mein Bruder starrte mich nur an. Sein geschockter Gesichtsausdruck wich einem hämischen Grinsen.
"Schwesterherz!", rief er und drückte kaum merklich seinen Helm zurecht, der bei meiner Attake auf sein Heer leicht verrutscht war, "Ich wusste doch, dass unsere liebe Cousine dich aufnimmt!" Ich funkelte ihn böse an.
"Ich habe gesagt, du sollst verschwinden! Oder ich werde dich und deine Armee von der Erde wegfegen!", erwiderte ich und um meine Worte zu unterstreichen begannen die Flüsse zu brodeln, wie vorhin, kurz bevor die Scheibe zersprungen war.
"Kaylen, du verstehst nicht, dass du keine Wahl hast!", sagte Octacius und betrachtete betont gelangweilt seine makellosen Fingernägel, "Du bist eine Königsmörderin! Eine verbannte ehemalige Prinzessin! Du hast meinen Vater, den König, kaltblütig ermordet und dafür sollst du bezahlen!" Er deutete mit dem Finger auf mich. Kälte Wut sammelte sich in meinem Inneren. Ich funkelte ihn an.
"Wage es nie wieder so etwas zu sagen, oder ich werde das selbe machen, was du mit unserem Vater gemacht hast!", zischte ich leise, doch es war so still geworden, dass jeder meine Worte verstand.
Vor Wut zitternd neigte Oktavius auf seinem Pferd den Kopf.
"Tötet sie alle!", knurrte er und seine Männer rannten los.
Scarlet trat neben mich und drückte meine Hand zum Zeichen, dass sie da war. Ich schrie laut und das Wasser in den Flüssen schoss geisirartig in die Höhe. Mehrere Soldaten flogen durch die Luft aber es waren wenige, zu wenige im Vergleich zur gesamten Armee meines Bruders.
Im selben Moment ergriff Helios Scarlets Hand, ein Zeichen, damit die Bogenschützen ihre Pfeile auf die Soldaten loslassen sollten. Ich verstärkte den Pfeilhagel mit zusätzlichen Eissplittern, die die Rüstungen der Soldaten durchbohrten.
Ich wagte kaum aufzuatmen, da rief ich das Wasser bereits zu mir. Die Tropfen, die auf den Rüstungen waren, in den Seen, auf dem Boden, ich befehle ihnen, sich in die Luft zu erheben, bis sich eine riesige Blase aus Wasser über den Köpfen der Soldaten gebildet hat. Viele recken die Köpfe nach oben, die spiegelungen des Wassers tanzen für einen Augenblick auf ihren Gesichtern, dann lasse ich dass Wasser wieder nach unten fallen.
"Kaylen, linkes von dir!", schreit Helios mir über das Gepruste und Geschrei der Soldaten unter mir zu und ich wiederhole meine Attake noch einmal, wie Regen, der in die falsche Richtung fällt, steigen die Tropfen in den Himmel, nur um auf die Soldaten zu klatschen. Wieder und wieder.
Ich sehe, wie Scarlet neben mir ihren Bogen zückt und mehrere Soldaten, die es wagen sich der Mauer zu nähern, mit ihren Pfeilen durch bohrt.
"Ich halte euch die Soldaten vom Leib und ihr beschützt meine Stadt!", rief sie. Wir drei warfen uns einen Blick zu, der alles sagte, alles vereinte. Wir rückten näher aneinander, so nah, das ich ihre Rücken und Bewegungen parallel zu meinen spüren konnte.
Das Wasser wütete durch die Reihen der Soldaten, wer meinen Angriff überlebte, wurde von Helios' Soldaten kampfunfähig gemacht und jeder, der uns zu nahe kam wurde von Scarlets Pfeilen durchbohrt.
Wir waren das effekte Team, bis plötzlich ein hämisches Lachen über das Geräusch von Metall gegen Metall und Eis tönte.
Ich riskierte einen Blick zu Oktavius, gerade so lange, um zu begreifen, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
Ich hatte vergessen, dass ich nicht die Einzige war, die Macht über das Wasser hatte.
Oktavius Tentakel aus Wasser und Eis kam so unerwartet, dass unser perfektes Team auseinander gerissen wurde.
Staub-, Stein- und Eispartikel flogen durch die Luft, als Helios und Scarlet über die Brüstung nach Ascendant geschleudert wurden. Ich keuschte auf, hatte aber keine Zeit, mich zu sammeln, weil ein weiterer Tentakel mich über die Mauer katapultierte und ich durch die Luft segelte, hinein in die Armee meines Bruders.
Ich landete hart, rollte kopfüber weiter, bis ich im Matsch liegen blieb.
Starker Schmerz durchdrang meinen Adrenalinpanzer und ein pochen in meinem Brustkopb verriet mir, das mindestens eine Rippe gebrochen war.
Einer der Soldaten, die mich geschockt anstarrten, fasste sich als erster und ritt mit blutverschmiertem Speer auf mich zu. Ich stützte mich auf die Ellebogen ab, wobei meine Rippen protestierten. Matsch und Rasenstücke klebten an meinem mit Schrammen übersäten Gesicht.
Schwer atmend schoss eine Wasserwelle über mich hinweg und fegte den Mann vom Pferd. Wie aufs Kommando stürzten sich die Anderen auf mich. Ich holte Rasseln Luft und das Wasser umwirbelte mich und hielt mir meine Angreifer fern.
Ein brennen in meinen Gliedern kündigte mir an, was ich bereits wusste, ich würde nicht mehr lange durch halten. Anhand meiner Verletzungen und der Kraft, die es mich kostete, das Wasser zu kontrollieren, war es schon ein Wunder, das ich überhaupt noch bei Bewusstsein war.
Meine Wange schmiegte sich an den nassen Matsch, als ich auf den Boden sank und dass Wasser nachlässt. Es war immer noch mächtig, immer noch tödlich, aber die Soldaten merkten, wie wenig Kraft ich noch hatte und verlangsamten ihren Angriff.
Wie ein Rudel hungriger Wölfe warteten sie, dass ich zusammenbrach.
Ich biss die Zähne zusammen. So wollte ich nicht sterben, so nicht. Nicht als Verräterin. Nicht als Vertriebene.
Die Soldaten rückten immer näher, ich konnte ihre Klingen fast schon in meinem Körper spüren, da explodierte plötzlich der Himmel über mir. Rote Flammen züngelten über meinen Kopf hinweg und brannten eine Schneise in Oktavius Armee. Ich hob den Kopf und sah Isa Fireswort, wie so auf mich zurannte, mit ihren Flammen jeden tötete, der sich ihr in den Weg stellte.
"Mach dir das ja nicht zur Gewohnheit!", rief sie, als sie mich erreichte und mit einem Ruck auf die Füße zog, sehr zum Missfallen meiner Rippen.
Ich lächelte sie dankbar an, für Worte blieb keine Zeit.Ich warf einen Blick zurück zu der Schneide und dann sah ich ihn.
Peter war gekommen.
Und er kämpfte mit der geballten Schwertkraft Eralors gegen meinen Bruder.

Die Chroniken von Eralor- Kaylens Lied   Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt