Kapitel 1 - Die Begegnung

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Heute war ein Tag wie jeder andere auch. Ich saß im Büro einer großen Firma und erledigte meine Arbeit. Bis auf die unterträglichen Kopfschmerzen, die mich zur Zeit begleiteten, verliefen die acht Stunden eigentlich ganz gut. Nun war endlich 16 Uhr, das Ende eines langen Arbeitstages. Also wollte ich von dem Stuhl, der an meinem Arbeitsplatz vor einem Computer stand aufstehen. Doch da wurde mir schwindelig und gleichzeitig schwarz vor Augen. Für einen Moment  blieb ich stehen und hielt mich an dem Tisch fest, der vor mir stand.

"Alles in Ordnung Samira?", fragte einer meiner Kollegen.

"Ja, alles bestens!", antwortete ich. Vielleicht hatte ich einfach zu wenig getrunken.

Nach kurzer Zeit hatte ich mich wieder gefangen und verließ die Firma. Dann rannte ich zu meinem Auto, weil es stark regnete und fuhr nach Hause. Ich wohnte mit meiner Mutter in einem kleinen Haus in Havensbe.

Zuhause angekommen, lag meine Mutter, wie erwartet auf dem Sofa, vor dem Fernseher mit einer Schnapsflasche in der Hand. "Hallo, Schatz!", lallte meine Mutter belustigt hervor. "Hallo, Mama", murmelte ich genervt und warf meine Tasche auf das Bett meines Zimmers. Dann ging ich sofort wieder zur Haustüre. Meine Mutter fragte mich noch irgendetwas, was ich aber nicht verstand. Das war mir jetzt allerdings egal, da sie besoffen eh nicht bei klarem Verstand war. Ich schüttelte nur meinen Kopf und schlug die Türe hinter mir zu.

Mit gesenktem Kopf ging ich den Weg entlang einer kleinen Wiese, die zwischen dem Wald und unserem Haus lag. Mir war es egal, wie kalt der heutige Oktober Abend war und wie stark es regnete. Nach zwei Minuten betrat ich den Wald. Meine langen, dunkelbraunen Haare waren schon völlig durchnässt. Da war schon wieder dieser Köter, der mir im Wald überall hin folgte. Er war wohl ein Streuner, denn mit seinem zotteligem und dreckigem Fell sah er nicht besonders gepflegt aus. Wütend warf ich einen Stein nach ihm. Er wich jedoch geschickt aus.

"Ach egal, so lange er mir nur hinterher geht", dachte ich und trottete weiter über den matschigen Boden: "Irgendwie ist mein Leben sinnlos. Ich arbeite fünf mal in der Woche in einem Beruf, den ich nicht mag. In meiner Freizeit warte ich darauf, bis der Tag endlich zu Ende ist. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte einfach so verschwinden, für immer...Vermissen würde mich sowieso keiner. Mutter denkt nur an ihre eigenen Probleme."

Ich ging weiter und weiter, so tief in den Wald, wie ich es schon lange nicht mehr tat.

Nach guten eineinhalb Stunden war wieder dieses Schwindelgefühl, dass sich mehr und mehr verstärkte. Ich taumelte über den Weg, während die Umgebung um mich herum langsam immer unklarer wurde. Erschöpft fiel ich zu Boden. Das letzte was ich sah, war ein Mann der vor mir stand. Dann wurde mir schwarz vor Augen und alles um mich herum verstummte.

Als ich meine Augen wieder öffnete, war es bereits dunkel geworden. Ich lag in einer kleinen Höhle. Wie war ich hier nur hergekommen? Hatte mich der Mann etwa entführt? Da bemerkte ich, dass etwas warmes neben mir lag. Mit meiner Hand tastete ich es ab. Ich fühlte etwas weiches, pelziges. Erschrocken fuhr ich hoch und schlug dabei oben an der Höhle an. Während ich mir meinen Kopf rieb, sah ich zu dem Tier. Es war schon wieder dieser schwarze Köter. Der konnte mich doch niemals hier her gebracht haben, ich war viel zu schwer. Der Hund bemerkte, dass ich mich von ihm entfernt hatte und stand auf. Er sah mich mit seinen blauen Augen an, die auf mich irgendwie traurig wirkten.

Er winzelte und kam dann vorsichtig auf mich zu. Er leckte mich etwas im Gesicht ab. Ecklig, aber irgendwie war der Hund schon süß.

Zitternd und zusammen gekauert saß ich da. Es war sehr kalt, aber trotzdem wollte ich nicht nach Hause gehen. Wozu auch, dort wartete nur meine besoffene Mutter auf mich. Der schwarze Hund lag schon wieder auf seinem Platz und beobachtete mich. Wie warm sich sein Fell angefühlt hatte! Also entschied ich, mich zu ihm zu legen. Er fühlte sich bestimmt genauso einsam wie ich. Ich schmiegte mich an seinen Körper und schlief schon bald ein. Zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich nicht mehr so alleine.

Ich erwachte von meinem Schlaf als es noch dunkel war. "Wie viel Uhr es wohl ist? Beinahe hätte ich vergessen, dass ich heute wieder in die Arbeit muss!", dachte ich. Mein Handy zog ich aus der Jackentasche und sah auf das Display. Es war erst fünf Uhr morgens, noch genug Zeit. "Aber wie sollte ich nur wieder aus dem Wald finden?", bezweifelte ich. Ich hatte keine Ahnung wo ich war. Da bemerkte ich, dass der schwarze Hund neben mir verschwunden war. Ich krabbelte aus der Höhle.

Ein paar Meter von mir entfernt stand ein junger Mann an einem kleinen See. Er schien mich gehört zu haben, denn er drehte sich um und ging auf mich zu. Er hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, sodass ich es nicht erkennen konnte. Eigentlich müsste ich jetzt wegrennen, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich von ihm nichts zu befürchten hatte. Mulmig war mir allerdings schon zu mute. Aber schlimmer als mein Leben jetzt schon war, konnte es eh nicht mehr werden. Nun stand der Mann vor mir und nahm seine Kapuze vom Kopf. Er sah mir direkt in meine braunen Augen. Seine waren blau, genau wie die des Hundes. Warum erinnerten sie mich nur an den schwarzen Köter? Vielleicht gehörte der Hund ja ihm und er war doch nicht herrenlos. Die Kinn langen, schwarzen Haare hingen dem Mann in sein Gesicht. Ich denke, er war ungefähr in meinem Alter. Eigentlich sah er freundlich aus. Ich errötete und schaute zu Boden. "Was macht er so früh im Wald und wieso steht er ausgerechnet in der Nähe von der Höhle, wo ich geschlafen hatte?", fragte ich mich, traute mich aber nicht auch nur ein Wort zu sagen. Er durchbrach das Schweigen: "Wenn du magst bringe ich dich zurück in dein Dorf. Ich kenne mich hier im Wald gut aus." Ich antwortete ihm: "Ja, gerne. Ich wohne in Havensbe."

Daraufhin streifte er sich die Kapuze wieder über den Kopf und ging voraus. Ich lief neben ihm her. Oft sah ich zu ihm, während wir den Weg entlang liefen. Er hielt seinen Kopf die ganze Zeit gesenkt. Nach einer Weile fasste er meine Hand. Seine sanfte Berührung ließ mich für einen Moment meine Mutter vergessen, an deren Zustand ich Schuld war. Aus einem unerklärlichem Grund fühlte ich mich bei ihm wohl und sicher, auch wenn ich ihn gar nicht kannte. Nach einer Stunde erreichten wir den Waldrand und tatsächlich, in der Ferne sah ich schon mein Haus. Ich blickte dem Mann wieder in seine Augen: "Vielen dank ... Wie heißt du eigentlich?" "Dakota", antwortete er. "Für dich habe ich das gerne gemacht, Samira." "Woher kennst du meinen Namen?", fragte ich erschrocken. "Ich sehe dich öfter im Wald spazieren gehen", meinte er mit ruhiger Stimme. Ich schaute auf das Display meines Handys. "Oh, so spät schon! Ich muss jetzt wirklich gehen, wegen der Arbeit." Ich löste mich von seinem Blick und ließ seine Hand los.

Nach ein paar Metern entschied ich mich, nochmal nach ihm zu sehen. Er stand immer noch am Waldrand und beobachtete mich. Irgendwie fand ich Dakota genauso unheimlich, wie er anziehend auf mich wirkte. Viel lieber wäre ich bei ihm im Wald geblieben, als zu arbeiten. Gedankenversunken lief ich über die Wiese in Richtung Haus: "Ein Glück, dass meine Schicht heute schon um 13.45 Uhr endet. Dann ist Wochenende! Komisch seit wann freue ich mich denn darauf? Es war mir doch immer egal ob Arbeit oder Freizeit." Zuhause angekommen schaute ich sofort aus dem Fenster in meinem Zimmer. Dakota war bereits verschwunden.

Er half mir, aus dem Wald heraus zu finden. Schon lange hatte keiner mehr mit mir ernsthaft gesprochen außer über die Arbeit. Was eigentlich meine Schuld war, da ich mich immer mehr zurück gezogen hatte, nachdem Papa auf einmal verschwand und nie wieder kam.

Ich fragte mich, ob ich Dakota jemals wieder sehen werde? Wo er wohnte, wusste ich nicht. Nicht einmal seine Nummer hatte ich. Ich sehnte mich so sehr danach, nicht mehr alleine zu sein! Warum hatte ich nur den Kontakt zu meinen Freunden abgebrochen? Sie waren mir immer treu und behandelten mich gut.

Im Bann des WolfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt