Prolog

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Prolog

Das sanfte Schaukeln des Zuges auf den Schienen hatte Eligh in einen unruhigen Schlaf gewogen. Mit jedem Meter, den sie hinter sich gebracht hatten, war sein Kopf schwerer geworden, seine Augen müder und sein Herzschlag ruhiger. Der Himmel, der an ihm vorbei zog wie wässrige Farbspuren auf einer Leinwand, war in ein zartes Rosa und Blau getaucht. Es dauerte nicht mehr lange, bis das Firmament mit einem kräftigen Orange und später einem samtigen Dunkelblau überpinselt wurde. Eligh hatte sich daran noch nie satt sehen können: An den unendlichen Weiten und den schier endlosen Farbtönen, die jeden Tage, jede Stunde zu anderen Kunstwerken in der Luft wurden. Er hatte noch nie geschafft sie richtig anzumischen. Seinen Farben fehlte diese Intensität, die dem Himmel die Macht gab, ihn zu verschlucken und niemals freizugeben. Es spielte keine Rolle wie lange er experimentierte, sie waren zu blass, zu leblos und matt. Wahrscheinlich hatte er sich deshalb noch an ein solches Bild beendet, war nie über vereinzelte Pinselstriche hinausgekommen. Es war ihm nie wirklich genug. Die Versuche den Himmel auf der Palette anzumischen, waren bloß ein schwaches Abbild. Eligh wusste, keine andere Farbe brachte ihn so zum verzweifeln, wie die des Universums.
Und er musste zugeben, Blau war seine Lieblingsfarbe.

Er sah Farbspektren in Menschen, wie andere Charakterzüge. Er erkannte Farbtöne in der Art und Weise, wie sich im Stillen über Bücher beugten oder beherzt durch die Parks spazierten, wie sie lachend die Gläser zum Gruß erhoben und gedankenverloren in Kaffeetassen rührten. Für Eligh waren Farben wie Emotionen, drängend und stark. Er konnte sie besser lesen als Gesichtsausdrücke und Gestiken. Die meisten Menschen waren ein wildes Durcheinander an Rot-, Grün-, Gelb- und Blautönen. Ihre Farben blitzten hervor wie grelle Farbsprenkel an einer weiß überstrichenen Leinwand, nur für einen Augenblick. Noch nie hatte er jemanden gesehen, dessen Farben so hell strahlten, dass er kaum hinschauen konnte. Nicht bis er nach seinem Nickerchen im Zug erwachte und mit verschlafenen Augen die junge Frau betrachtete, die sich ihm gegenüber niedergelassen hatte. Sie schien zu leuchten, in einer Farbe so endlos und klar wie das Blau des Himmels. Er konnte den Blick nicht abwenden.

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