Als die Wachmänner eintraten, sah ich, wie sich Lars' und Björns Miene veränderte. Sie wirkten kalt, als würden sie sich eine Maske über ihr Gesicht legen und ihre Gedanken und Gefühle verstecken.
Die Wachmänner kamen auf mich zu und zerrten mich grob hoch, wobei mich einen erneuter Schwindelanfall packte und mir die Schwärze vor die Augen trieb. Ich wehrte mich dagegen und sah zunächst Sterne und dann das Gesicht eines Wachmanns, versteckt unter einem schwarzen Tuch. Er sah mich mit kalten Augen an und zwang mich schließlich, aus der Zelle zu stolpern.
„Wo bringt ihr mich hin?", fragte ich und versuchte, kühl und selbstbewusst zu klingen, um sie meine Angst und Verzweiflung nicht spüren zu lassen.
„ER will dich sehen, Mädchen", antwortete der andere Wachmann gehässig und zog mich ruppig an meinem Arm weiter. Ich wurde durch dunkle Gänge geführt, an anderen gläsernen Zellen vorbei, manche leer, aber in manchen erhaschte ich einen Blick auf zusammengesunkene, dunkle Gestalten, die offensichtlich schon länger hier waren als ich. „Weiter", sagten die Wachmänner bestimmt. Als wir an eine Kreuzung mit zwei Türen kamen, blieben wir stehen und sie zogen ein schwarzes Tuch aus ihrer Tasche.
„Anziehen. Sofort." befahlen sie und ich tat wie geheißen.
Ich spürte, wie sie mich durch die linke Tür führten, spürte einen warmen Luftzug und etwas wie Sonne auf meiner Haut. Ich wurde über steinigen Boden gezerrt, ich war barfuß und nach wie vor im Krankenhaushemd. Ich hörte Stimmen, Geräusche, wie von alltäglichen Dingen wie Autos und Lastwagen, aber auch zwitschernde Vögel.
Wir blieben erneut stehen.
„Ist das das Mädchen?", hörte ich eine kühle Stimme fragen.
„Ja. Wir sollen sie zu IHM bringen.", antwortete der Wachmann links von mir.
„Alles klar ich sag IHM Bescheid.", erwiderte die kühle Stimme von eben.
Es knackte wie bei einem Funkgerät und ich hörte ihn etwas murmlen. Kurze Zeit später kam die Antwort.
Wir duften eintreten. Meine Hoffnungen, doch nicht IHM begegnen zu müssen, schwanden dahin. Ich spürte, wie Panik in mir aufkam. Ich wollte weg hier. Ich wollte Antworten. Ich wollte wissen, wie es Vera ging und was zur Hölle Cole mit der ganzen Sache zu tun hatte, in der ich jetzt offensichtlich tief drinsteckte. Als ich an ihn dachte, durchzuckte mich ein stechender Schmerz und ich blieb keuchend stehen.
Als nächstes spürte ich einen brennenden Schmerz auf meiner Wange und ich wurde weitergezerrt. Die Wache hatte mich geohrfeigt.
Wütend und gedemütigt, aber auch einfach nur erschöpft fingen meine Augen an zu brennen und ich spürte, dass ich gleich weinen würde.
Doch ich holte tief Luft und schluckte kurz, dann richtete ich mich auf.
Ich würde mich nicht von IHNEN unterkriegen lassen. Ich durfte meinen Willen nicht von IHNEN brechen lassen. Ich musste stark bleiben.
„Treppen, los hochgehen", schnauzte einer der Wachmänner und ich spürte eine kalte, glatte Treppe. Ich zählte die Stockwerke, bei jedem Absatz.
1, 2,3,4. Ich fing an zu keuchen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich als Letztes etwas gegessen hatte und das Wasser war nicht genug gewesen, um meinen Durst zu stillen.
5,6,7... Die Panik in mir kam wieder hoch. Zudem fingen meine Knie an zu zittern, doch ich wurde weiter und weiter gezwungen.
8. Die Wachen blieben stehen. Ich keuchte vor Anstrengung. Wir standen wieder vor einer Tür, ich hörte das Quietschen der Angeln, als sie sich öffnete. Ich spürte, wie mir einer der Wachmänner das Tuch herunterriss und blinzelte in die plötzliche Helligkeit.
Dann sah ich IHN.
DU LIEST GERADE
Lost Identity
Mystery / ThrillerDie 16-jährige Clara wacht auf einmal in einem Krankenhausbett auf und kann sich an absolut nichts erinnern. Zumindest, wie sie in dieses Krankenhaus gekommen ist. Auf der Suche nach ihrem Freund Cole und der wahren Geschichte, ihrer wahren Identitä...