Feels

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Jo und ich sitzen wieder an der alten Hütte beim See. Sie lässt die Beine in das schwarze Wasser baumeln und schaut in den sternklaren Nachthimmel. Neben ihr steht eine Flasche Vodka. Wir haben beide seit Stunden kein Wort gesagt. Doch das ist ok. Wir lieben beide die Stille. Keine nervigen Stimmen die uns sagen, was wir zu tun haben. Keine falschen Freunde, die sich hinter unserem Rücken über uns lustig machen. Einfach nur wir zwei. Wieder einmal beginne ich zu überlegen, wie lange ich sie schon kenne. Zu lange. Aber wir haben beide gelernt, einander zu vertrauen. Wir haben uns. Ich fröstle. Eine leichte Gänsehaut überzieht meine Arme. Ich schaue auf mein Handy, dass mir 23:47 anzeigt. Doch es ist nicht nur die Uhrzeit, die mir ins Auge fällt. Mein Hintergrundbild leuchtet mich an wie aus einer anderen Welt. Fremd. Bedrohlich. Abschreckend. Ich schalte es wieder aus. Diese Welt ist nicht meine. Ich bin nicht für sie geschaffen. Wie man vermutlich auch an meinen Armen erkennen kann. Automatisch taste ich nach dem Messer in meiner Hosentasche. Es fühlt sich kühl und glatt an. So wunderschön. Der Gedanke, meinem Körper eine weitere Narbe zu verpassen kommt so schnell, wie ich das Messer aufklappe. Es blitzt im Mondschein. Ein kleiner vertrockneter Bluttropfen klebt noch daran. Erinnerungen an andere Wunden. An weitere einsame Nächte. Nur mit Gedanken allein. Jo dreht sich um. »Leg es weg«, sagt sie mit einer rauen Stimme. Ich sehe zu ihr auf. In ihren Augen glitzern Tränen. Ich kann nicht. Sie dreht sich wieder weg. Wie von selbst wandert das Messer zu meinem Arm. Ich schiebe den Ärmel zurück. Er ist übersäht mit Schnitten und Narben. Kein Platz mehr. Wut. Ich lasse das Messer wieder sinken. Dafür schiebe ich meinen Pullover hoch. Ich fahre über die weiteren Narben, die wie flache Stacheln meinen Bauch zieren. Wieder einmal bemerke ich, wie kaputt ich tatsächlich bin. Nicht nur äußerlich. Ich suche meinen Bauch nach einer freien Stelle ab. Das Messer bohrt sich in meine Haut. Ich verziehe keine Miene. Dieser Schmerz ist mir bekannt. Zu bekannt. Sofort schießt dunkelrotes Blut aus der Wunde. Wie die Blütenblätter einer tödlichen Blume frisst sich die Nässe durch meinen Pulli. Doch ich ziehe das Messer immer weiter. Eine Träne kullert über meine Wange. Eine Träne der Wut. Warum macht mir das immer noch etwas aus? Das soll mir nichts mehr ausmachen. Doch ich spüre den brennenden Schmerz auf meinem Bauch. Wie immer. Und es ärgert mich.

Ich starre in den Spiegel. Mein Gesicht ist blass. Die grauen Augen leer. Ich weiß nicht wie lange ich da stehe. Aber ich weiß eins. Dieses Spiegelbild ist nicht meins. Es ist eins eines müden Jungen, der traurig ist. Er hat vielleicht Probleme, doch er hat eine Familie. Leute die sich um ihn sorgen. Aber es ist nicht meins. Warum kann ich denn nicht sein wie all die anderen? Keine Sorgen, glückliches Familienleben. Aber was ist schon eine Familie? Hatte ich überhaupt jemals eine richtige Familie? Ich ziehe mein Top aus. Dabei kommt mein Bauch zum Vorschein. Der eine Schnitt ist noch sehr frisch. Ich fahre darüber. Ein leichter Schmerz kriecht von meinem Bauch über die Brust in meinen Kopf. Doch ich ignoriere ihn. Mein Blick fällt auf das Messer auf dem Badtisch. Der Gedanke ist zu verlockend. Langsam strecke ich den Arm aus. Als ich es berühre, zucke ich zusammen. Es ist kalt. Meine Hand schließt sich um den Griff. Ein letztes Mal schaue ich in den Spiegel. Eine Träne findet den Weg über meine Wange. Meine Hand zittert.
Ich weiß, dass es egoistisch ist, auch gegenüber Jo. Ihr geht es nicht besser als mir. Und wir waren immer füreinander da. Aber ich kann das nicht mehr. Ich zögere einen Moment. Einen Moment zu lange. Angst. Das Messer fällt klirrend zu Boden. Ich stütze meine Arme auf das Waschbecken und lasse meinen Tränen endlich freien Lauf. Es tut gut zu weinen, macht mich gleichzeitig aber auch unglaublich wütend. Warum kann ich das nicht? Ich lebe doch nur noch, weil ich zu feige bin mich umzubringen. Man hat mir mal gesagt: Menschen, mit Narben an den Handgelenken sind Engel, die Heimweh haben. Bei manchen mag das zutreffen. Bei mir nicht. Ich bin für die ganze Welt nur ein Fluch. Kein Segen. Ich mache nur Probleme. Ich schließe die Augen. Ich will nur noch einschlafen. Einschlafen und nie, nie mehr aufwachen.

Als mein Dad in mein Zimmer kommt, schlafe ich noch. Unsanft rüttelt er mich an der Schulter. Langsam öffne ich die Augen und blinzle ein paar Mal. Wir müssen los. Sagt er und zieht mir die Decke weg. Stocksteif liege ich da. Er läuft wieder aus dem Zimmer. Ich schließe meine Augen erneut und überlege, wo er denn mit mir hin will. Und nicht wieder einschlafen, Cole! zerschneidet die rasiermesserscharfe Stimme meiner Mum die Stille. Ich verdrehe die Augen. Langsam schwinge ich meine Beine aus dem Bett und tapse noch etwas schlaftrunken zum Spiegel. Graue Augen. Blasses Gesicht. Automatisch schaue ich zum Schrank. Aber natürlich liegt da kein Messer. Es ist in meiner Schreibtischschublade. Sicher. Sicher vor fragenden Blicken. Wie ich. Wieder beginne ich mich zu fragen, wann meine Eltern sich das letzte Mal Gedanken über mich gemacht haben. Ich kann mich nicht erinnern. Doch heute scheint mein Dad recht euphorisch zu sein. Weiß er, was wirklich in mir vorgeht? Woher sollte er? Ich seufze und drehe die Zahnpastatube auf.

Auf der Fahrt im Auto wage ich endlich meinem Dad die Frage zu stellen, die mich schon die ganze Zeit beschäftigt. Wohin fahren wir eigentlich? Boston kommt die knappe Antwort. Boston. Na und? Was soll in Boston denn bitte so besonders sein? Ich überlege. Doch dann fällt es mir plötzlich siedend heiß ein: Waffenconvention. Kein guter Ort. Keine gute Zeit. Aber meine Eltern scheinen fest entschlossen. Ich atme zitternd aus. Im Moment sind Waffen und ich vermutlich keine gute Kombi. Aber ich lasse mir nichts anmerken. Als wir auf dem großen Parkplatz halten ist schon ordentlich was los. Überall sind Menschen. Beengend. Beängstigend. Panik. Wir streifen durch die verschiedenen Gassen, die von Ständen umringt sind. Vereinzelt sind Schüsse zu hören, überall feilschen Kunden mit den Händlern. Mein Vater steht bereits an einem anderen Stand und beäugt kritisch die darauf liegenden Gewehre. Ich sehe mich ebenfalls um. Ich lasse meinen Blick über die Auslagen streifen. Eine Pistole fällt mir aber ins Auge. Der Stand ist unbesetzt. Langsam gehe ich darauf zu. Je näher ich komme, desto genauer kann ich sie ansehen. Sie ist komplett schwarz, bis auf ein weißes Logo an der Seite. Ich stehe genau davor. Wie gebannt starre ich auf die Waffe. In diesem Moment höre ich die Stimme meines Dads: Cole, kommst du? Ich bin hin und hergerissen. Schließlich stecke ich die Waffe in einem unbemerkten Moment unter meine Jacke und laufe zu meinem Vater.

Meine Beine brennen. Doch ich lasse sie immer noch im kalten Wasser. Es ist ein schöner Abend. Zu schön. Die Waffe liegt neben mir. Ich denke an Jo. An meine Familie. An den Brief, den ich ihnen allen geschrieben habe. In dem steht, dass ich nicht mehr kann. Das ich nicht mehr will. Er liegt auf dem Esstisch. Morgen werde sie ihn finden. Morgen werden sie mich finden. Ich schließe die Augen. Langsam taste ich nach der Waffe. Kalt. Ich hebe sie auf. Noch einmal denke ich daran, wie alles ohne mich weitergehen wird. Wie alle ohne mich weitermachen werden. Manchmal stelle ich mir vor, ich könnte einfach die Augen vor all dem verschließen. Es ist doch immer die gleiche Welt. Immer die gleiche abscheuliche Umgebung. Immer die gleichen grausamen Kriege, die doch nie zu Ende gehen. Wann hört das endlich auf? Wenn ich die Augen schließe, sehe ich eine gerechte Welt. Alle sind gleich, es gibt kein Leid und keine Trauer. Keine Kriege und keine Vergeltung. Die Welt ist wieder schön. Alle sind glücklich. Jeder hat ein Leben, das er gerne lebt. Es gibt keine Probleme. Alle sind friedlich. Es könnte wunderschön sein. Doch wenn ich die Augen öffne, sehe ich unsere Welt. Und alles ist wieder genauso wie vorher. Dann drücke ich ab.

Hier mal was ganz anderes. Hab mal nen anderen Schreibstil ausprobiert, die Geschichte ist schon älter

Ich hoffe, euch gefällts trotzdem
Skyfall gibts dann nächste Woche wieder^^

Gaymegirl

Feels♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt