Kapitel 8

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Johannes:

"Eigentlich keine.", bemerkte ich nach kurzer Zeit.

"Dann lass die Scheiße aus deinem Körper. Ich habe viele Menschen an dem Zeug kaputt gehen sehen und ich will dich nicht dazu zählen müssen. Du kannst es da raus schaffen. Du musst dir nur helfen lassen.", sagte sie ehrlich.

"Ich werd aus dir nicht schlau. Vorhin hast du mich noch runter gemacht und jetzt gibst du mir Ratschläge, wie ich aus meiner Sucht raus komme.", grübelte ich. Diese Frau machte mich fertig mit ihren Stimmungsschwankungen. Im einen Moment war alles gut und im nächsten schrie sie mich an, um dann wieder total nett zu sein. Und das völlig ohne Grund!

"Ich hab vorhin ein bisschen über reagiert. Es ist nur nicht so einfach ruhig zu bleiben, wenn man das Einzige, was einem wirklich was bedeutet fast verliert. Halim ist mein ein und alles. Er hat mir mein Leben gerettet und mich wieder auf die richtige Bahn gebracht. Ohne ihn wäre ich nicht hier. Ich denke du kannst dir vorstellen, dass der Tag nicht so einfach für mich war.", erklärte sie und ich nickte. Das konnte ich durchaus verstehen, aber das erklärte immer noch nicht die ständigen Schwankungen in ihrer Stimmung.

"Außerdem bin ich momentan ziemlich gestresst und hab seit drei Tagen nicht geschlafen. Da bin ich immer ein wenig gereizt. Wenn ich schon in Jeans in den Stall komme, solltest du lieber vorsichtig sein.", fügte sie noch hin zu. Das erklärte natürlich einiges. Wenn ich drei Tage nicht geschlafen hätte, wäre ich auch leicht reizbar.

"Ich hab's gemerkt.", sagte ich allerdings nur.

"Mit mir ist es nicht einfach, aber du hast es bisher am längsten mit mir ausgehalten. Die Meisten sind nach spätestens einem Tag weg."

"Ich kann dich verstehen. Wenn ich so gestresst wäre, wär ich auch nicht aus zu halten."

"Scheint als hätte ich endlich jemanden gefunden, der es mit mir aushält. Jetzt musst du nur noch von dem Zeug los kommen und das kriegst du auch noch hin."

"Schön, dass wenigstens du so optimistisch bist."

"Du musst dich nur rein hängen und du brauchst Hilfe. Such dir irgendwen, der dich unterstützt und dich möglichst versteht. Und wenn es, was weiß ich, ein Quokka ist."

"Was ist denn ein Quokka?"

"Eine Art Känguru, aber das ist jetzt unwichtig."

"Und was ist deiner Meinung nach wichtig?"

"Das du mir versprichst, dass du einen Entzug machst."

"Ich geb mein bestes."

"Du gibst nicht nur dein bestes! Du versprichst mir jetzt, dass du sofort einen Entzug machst! Heul mir von mir aus jeden Tag die Ohren voll, aber mach einen verdammten Entzug! Du bist der Erste mit dem ich halbwegs ordentlich arbeiten kann. Ich will nicht zugucken müssen, wie du elendig an diesem Zeug verreckst!", sagte sie und das ließ mich aufhorchen. Sollte das heißen, dass ich doch weiter hier arbeiten durfte? Und hatte sie gerade zu gegeben, dass sie mich mochte? Oder zumindest nicht hasste?

"Das heißt ich darf weiter hier arbeiten?", fragte ich.

"Ja klar! Carol findet nie wieder jemanden, der mit mir klar kommt. Versprichst du es?", sagte sie und wusste gar nicht, wie glücklich sie mich in diesem Moment machte.

"Versprochen.", sagte ich und musste mir ein breites Grinsen verkneifen. Doch dann sagte sie: "Okay. Her mit dem Zeug."

"Ich hab nichts mehr.", antwortete ich instinktiv.

"Ja klar. Taschen ausleeren!", lies sie allerdings nicht locker. Eingeschüchtert leerte ich alle meine Taschen aus und sie nahm die Tüten mit dem weißen Pulver an sich, um dieses genussvoll in den Abfluss zu kippen.

"Geht doch. Wie viel hast du noch zuhause?", fragte sie.

"Ich hab immer alles dabei. Das war alles.", antwortete ich.

"Sehr schön. Dann darf ich doch mal?", fragte sie und begann ohne auf eine Antwort zu warten damit mich ab zu tasten. So fand sie auch noch die letzten Tüten und auch deren Inhalt wanderte in den Abfluss.

"Verarschen kann ich mich selber. Das kannst du mit den Leuten in der Klinik machen, aber mit mir nicht. Pack alles aus deinem Umkreis weg! Sonst ist die Versuchung zu groß. Notfalls kontrolliere ich dich jeden Tag!", warnte sie.

"Irgendwie machst du mir gerade minimal Angst."

"Du kannst ruhig wissen, dass ich dich notfalls mit Gewalt da durch prügle. Ich gucke nicht nochmal zu, wie jemand an dem Zeug stirbt."

"Ich glaub ich hab jemanden gefunden, dem ich vertraue.", sagte ich in dem Moment. Verdammt, warum war mein Mund nur immer schneller als mein Gehirn?

"Und dieser Jemand wäre?", fragte sie interessiert und jetzt konnte ich nicht mehr lügen.

"Du. Du kennst dich aus, verstehst mich und bist die Einzige, der ich wirklich vertraute.", antwortete ich.

"Bist du sicher, dass ich die richtige Vertrauensperson für dich bin? Du hast in den letzten Tagen wahrscheinlich gemerkt, dass ich nicht so einfach bin."

"Ganz sicher. Du hast das Ganze schon einmal durch und kannst mir da am Besten helfen."

"Gut. Du hast meine Nummer. Ich bin den ganzen Tag über eigentlich immer erreichbar. Ich mach momentan sowieso die Nächte mit lateinischen Fachbegriffen und Krankheitsbildern durch. Da kann ich zwischendurch auch mit dir telefonieren. Und während ich in der Uni bin ist das auch kein Problem. Nach sechs Jahren hat man die Tricks raus, wie man unbemerkt telefoniert.", sagte sie und das erstaunte mich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie das so locker aufnehmen würde. Und ich hätte nicht gedacht, dass sie wusste, dass Stephanie mir ihre Nummer gegeben hatte.

"Okay.", sagte ich allerdings nur.

"Gerade, was die psychischen Sachen an geht, hilft es mit jemandem zu reden. Telefonier lieber stundenlang mit mir, anstatt depressiv zuhause rum zu sitzen und zu überlegen, wie du dich am besten umbringst.", redete sie weiter.

"Okay.", antwortete ich wieder nur.

"Gut. Und jetzt zu morgen. Ich denke du hast mitbekommen, dass wir morgen zum Turnier fahren?", fragte sie.

"Ja. Das hat Stephanie heute Morgen erzählt. Wie läuft das dann morgen ab?"

"Ich bin morgen schon so gegen vier Uhr morgens hier und bereite alles so weit vor. Wenn du willst kannst du da auch kommen, aber ich komme auch alleine klar. Um sechs fahr ich dann nochmal in die Uni und hole meine Klausur von heute nach. Das hat meine Freundin zum Glück geklärt. Wir treffen uns dann so um halb neun hier und verladen die Pferde, sodass wir dann so um neun los fahren können. Halim bleibt aber hier. Den melde ich heute noch ab."

"Okay. Klingt irgendwie nach viel Planung."

"Das ist reine Routine. Ich fahre schon seit Jahren zum Turnier und ich war auch schon mit viel mehr Pferden unterwegs. Wir kriegen das schon hin."

"Na dann."

"Wir übernachten übrigens auch da, also würd ich mir ein paar Sachen ein packen. Ich hab aber eine Freundin, die in der Nähe wohnt, also eine Unterkunft ist da."

"Okay."

"Jetzt geh aber erstmal nach Hause und schlaf solange du es noch kannst. Du hast ein paar harte Tage vor dir."

"Okay.", sagte ich und stand auf. Gemeinsam verließen wir den Heuboden und gingen zu Halims Box in die sie schnell noch ein Heunetz hängte und sich von ihrem Hengst verabschiedete, bevor wir gemeinsam zum Parkplatz gingen, wo sich unsere Wege trennten.

"Lass dich nicht zu sehr runter ziehen. Ich fänd es schön dich morgen wenigstens so halbwegs lebend wieder hier an zu treffen.", sagte sie noch aufmunternd und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Kurz nickte ich, bevor wir beide in unsere Autos stiegen. In mir jubelte allerdings alles. Sie fand mich also doch nicht so schrecklich, wie ich dachte! Vielleicht hatte ich doch noch eine Chance bei ihr. Ich musste mich nur anstrengen und durfte keinen Mist mehr bauen. Und vor allen Dingen musste ich diesen verdammten Entzug durch ziehen! Für sie.

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