12. Kapitel - Leben und Tod

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Peters Augen konnten sich nicht von Kaylen abwenden. Wie sie am Boden lag, über und über mit Schlamm und Blut bedeckt, gekleidet in eine Rüstung aus Eis, einem Symbol ihrer Stärke.
Er hatte sie kaum wiedererkannt, so voller Dreck und Matsch, doch ihre unverkennbaren Augen, so blau wie der Ozean, strahlten sogar über die Entfernung voller Kampfgeist.
Peter spürte das Schlagen seines Herzens durch seine Brust, wie es fast wie Trommelschläge gegen den Panzer seiner Rüstung hämmerte.
Sie war umringt von SeaLandersoldaten, doch das Wasser spülte jeden weg, der es wagte, sich ihr zu nähern.
Isa stieß einen Kampfschrei aus und stürmte los, ihr Feuer brannte ein Loch in die Formation der Soldaten.
Peter konnte seine Augen nicht von ihr abwenden, als Isa sie auf die Füße zog und ein schmerzvoller Ausdruck über Kaylens Gesicht huschte.
Kaylen drehte den Kopf und ihre Blicke trafen sich. In ihren Augen spiegelte sich eine Mischung aus eiserner Entschlossenheit und ehrlicher Erleichterung.
Sie hob die Hand und ein Speer aus Eis bildete sich in ihrer Hand, bevor sie in die Reihen von Soldaten stürmte.
Peter zog die Zügel an und ritt auf sie zu.
Plötzlich wurden die Geräusche der Schlacht von einem Schrei der Frustation zerrissen.
Eine Welle erhob sich aus den Flüssen, höher, als die Mauern von Meridiem Cieri, rollte über das Schlachtfeld. Soldaten, gleich ob SeaLander oder Eralorer, wurden mitgerissen. Und dass, obwohl dieser Angriff nur einer einzigen Person galt; Kaylen.
Er erreichte sie, streckte den Arm aus und zog sie auf sein Pferd. Kaylen schrie auf, nicht vor Angst, nicht vor Überraschung,  sondern vor Schmerz. Sie presste ihre Hände auf ihre Rippen.
"Alles in Ordnung?", schrie er und sie schüttelte den Kopf. Peter kam sich augenblicklich dumm vor. Natürlich ging es ihr nicht gut.
"Ich hab mir mindestens eine Rippe gebrochen!", erwiderte sie. Peter wollte gerade den Mund aufmachen, um ihr zu antworten, als sie die Arme in die Höhe riss. Sie zeichnete mit ihren Händen einen unsichtbaren Kreis in der Luft nach, dann erfasste die Welle sie.
Peter schlang seine Arme um ihre Taille, als dass Wasser sie umwirbelte. Sie wurden vom Pferd gerissen. Peters Lungen schrien nach Sauerstoff, als sich eine riesige Luftblase bildete. Prustend saugte er Luft in seine Lungen. Kaylen drehte sich um, an ihrer Stirn klebten nasse Strähnen ihres braunen Haars.
Sie presste die Handflächen gegen ihre Rippen.
"Ich kann so nicht kämpfen!", sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.
"Meine Rippen..  Ich kann mich nicht bewegen!" Peter stand auf, so weit es ihm in der wackeligen Membran der Luftblase möglich war.
Seine Rüstung glänzte im Licht der Sonne.
"Ich werde euch beschützen!", sagte er, "Besiegt Oktavius, beendet diese Schlacht!"
Kaylen warf ihm einen undeutbaren Blick zu.
"Sagt einfach Kaylen zu mir. Nicht mehr Hoheit, nicht mehr Prinzessin, einfach Kaylen!", platzte sie dann heraus. Peter musste Lächeln.
"Wenn du mich Peter nennst!", erwiderte er. Kaylen nickte und reichte ihm ihre Hand.
"Lass auf keinen Fall los!", ermahnte sie ihn. Er hatte kaum Zeit, tief Luft zu holen, als sie durch das Wasser schossen. Peter verschränkte ihre Finger miteinander, aus Angst, sie sonst doch zu verlieren. Für einen kurzen Augenblick schienen sie auf der Schaumkrone der Welle zu stehen, dann schossen sie nach vorne. Peter schliff wie eine Puppe hinterher, bis sie schließlich festen Boden unter den Füßen hatten.
Kaylen sackte kaum merklich in die Knie. Von hinten näherten sich SeaLander. Peter packte den Griff seines Schwertes fester und  hob es über den Kopf, bereit sie zu verteidigen. Seine Klinge wurde heruntergerissen und er wehrte den Angriff eines Soldaten mit einem einfachen Schild aus zerbeultem Metall ab.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Kaylen eine riesige Welle heraufbeschwor und auf eine Hügelkette über ihnen schickte. Sein Blick folgte ihrem Angriff und vor Schreck hätte er beinahe sein Schwert fallen lassen.
Oktavius Bellaqua trug eine Rüstung geformt aus schimmernden Eisplatten, mit einem breiten zweischneidigen Schwert, auf einem tiefschwarzen Pferd.
Doch das wirklich erschreckende an ihm waren seine Augen, so tief blau, wie der Ozean. Ihre Augen.
Peter schüttelte den Kopf, drehte sich um und rammte sein Schwert in einen der Soldaten.
Der Wind trug den Geruch von Rauch an seine Nase, so beißend, dass er sogar den Gestank des Blutes überdeckte. Isa war hier irgendwo in der Nähe.
Peter drehte sich gerade herum, als eine weitere Welle auf sie zurasste, so riesig, dass ein Schatten über sie fiel.
"Peter!", rief Kaylen und er umfasste ihre ausgestreckte Hand, die sie gen Himmel gestreckt hatte. Sie erschuf einen Schild, der das Wasser, dass auf sie niederbrauste, von ihnen fern hielt.
Ihre ausgestreckte Hand zitterte. Peter konnte sie gerade noch an sich ziehen, bevor ihre Knie nachgaben. Wasser tropfte auf seine Schultern, doch Kaylens Schild schützte sie. Die Welle rollte über sie hinweg, spülte Soldaten wie Streichhölzer weg, egal ob SeaLander oder Eralorer.
"Ich muss näher zu ihm!", rief sie über ihre Schulter.
Peter schob die Arme um ihre Kniekehlen und rannte los. Kaylen schlang die Arme um seinen Hals, als er über das leergespülte Feld auf ihn zurannte. Seinen größten Feind, ihren Bruder.
Oktavius stieg von seinem Pferd, bevor ein Tentakel aus Wasser auf sie zurasste.
Peter spürte, dass er fiel, noch bevor dass Scheppern seiner Rüstung, der kurze Schmerz in seinen Knien ihn daran erinnerten. Kaylen wurde aus seinen Armen geschleudert und nutzte den Schwung, um auf einer Eisfläche, die sich vor ihr bildete, weiter auf Oktavius zuzurutschen.
Peter rappelte sich auf, griff nach seinem Schwert, dass ein paar Meter von ihm weggerutscht war und stürmte ebenfalls los.
Ein  Mahlstrom bildete sich zu seinen Füßen, ein riesiger Strudel aus Wasser, welches ihn in den Himmel hob.
Wassertentakel verlängerten seine Arme.
Kaylen machte eine geschickte Bewegung mit ihren Armen, und die Oberfläche gefrohr zu Eis.
Kurz schien es, als würde Kaylen gewinnen, als währe Oktavius in seinem eigenen Eis gefangen sein.
Doch dann ertönte ein Knacken. Risse breiteten sich im Eis aus und zusammen mit einem Regen aus Eissplittern fiel Oktavius zu Boden. Er zog sich auf die Knie, plötzlich schoss ein Wassertentakel von hinten auf Kaylen zu.
Peter entfuhr ein Schrei, als sie mit dem Gesicht auf den Boden fiel. Blut färbte ihr braunes Haar am Hinterkopf rot.
Oktavius holte nochmal aus. Peter beschleunigte seine Schritte. Er zielte und warf sein Schwert.
Peter war nicht wirklich davon ausgegangen, Oktavius zu treffen, doch dieser war so auf seine Schwester fixiert, dass er das Schwert erst bemerkte, als es seine Rüstung durchdrang und sich in seine linke Schulter bohrte.
Er schrie auf und presste seine Hand auf die Schulter und funkelte Peter an.
Ein Hagel aus Eissplittern, größer, als der Kopf eines Kindes flog auf Kaylen zu.
Dann ging alles ganz schnell.
Peter wusste noch, wie ihre Augen sich trafen, wie er in einem Sekundenbruchteil eins verstand; Kaylen hatte keine Kraft mehr, um diesen Angriff abzuwehren.
Eissplitter bohrten sich in Peters Körper.
Er hatte sich vor sie geworfen.
Die Welt kippte und er schmeckte Blut, sein Blut. Das Scheppern seiner Rüstung hallte in seinen Ohren wieder. Die Kälte des Eises in seinen Wunden.
Sein Sichtfeld verschwamm, plötzlich sah er Kaylen über ihm. Sie zog ihn hoch, bettete seinen Kopf in ihren Armen und schrie irgendwas, was Peter nicht wirklich verstand. Sie fuhr mit ihren Fingern über sein blutverschmiertes Gesicht, eine ihrer Tränen tropfte auf seine Wange.
In der Spiegelung ihrer Augen sah er sein eigenes geschundene Gesicht.
Und in diesem Moment wusste Peter, dass er sterben würde.

Die Chroniken von Eralor- Kaylens Lied   Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt