Der Messerblock

27 0 0
                                    

Der Messerblock- eine Schimpfonie in Dissmoll oder: Danke, BWL

Es ist Dienstag und ich bin, wie sollte es auch anders sein, durchgefroren. Draußen herrschen bestimmt negative Temperaturen und irgendjemand hält es für eine gute Idee, das Fenster hier in unserem Vorlesungssaal nicht nur weit, sondern auch noch sehr lange offen zu lassen. Ich friere. Mein Mantel ist zwar warm, aber leider nicht für sibirische Temperaturen ausgelegt. Ich schaue mich um. Um mich herum sehe ich nur wenige Köpfe. Wieder ist der Saal halb leer, dabei kann ich das gar nicht verstehen. Die Vorlesung die wir hören handelt von Theorien der Sprachlernforschung. Klingt ziemlich trocken, ist es eigentlich auch, aber es geht schon wenn man sich zu beschäftigen weiß. Mir wird langweilig. Folglich habe ich keine gute Beschäftigung gefunden. Der Dozent beginnt seine Vorlesung wie immer mit einer Zusammenfassung der Letzten, da ich aber bisher keine einzige verpasst habe geht mir dieser Teil noch ziemlich an meinem Bewusstsein vorbei. Langsam schaltet es sich sogar ganz ab, das merke ich weil ich in einen angenehm-dämmerigen Zustand sickere, der sich so anfühlt als würde er sehr lange bleiben wollen. Und das mit großem Vergnügen. „He!" ruft da plötzlich eine Stimme, und das noch sehr laut. Ich schaue mich um. Keiner sitzt in meiner unmittelbaren Umgebung und schon gar nicht so nah an mir dran, dass ich eine Stimme so laut hätte hören können ohne dass es den Anderen aufgefallen wäre. „Hallo?" fragt die Stimme und ich sitze plötzlich kerzengerade. Irgendwie höre nur ich diese Stimme, die anderen um mich herum scheinen nicht den anschein zu machen als würden sie wirklich nur den Dozenten hören. „Sag mal, bist du taub? Und das noch in deinem eigenen Kopf?" Also jetzt schlägts aber 13! Das kann doch nicht sein denke ich und „doch, merkst du ja!" antwortet die Stimme. Moment. Wurde mir gerade auf einen Gedanken geantwortet? „Jaha...und?" fragte die Stimme, „merkst du jetzt endlich was?" Ich überlege. Kann es sein, dass mir so langweilig ist, dass ich anfange ein Gespräch mit meinem Hirn zu führen? „Ja, das tust du." Antwortet da offensichtlich mein Hirn. Ich muss unbedingt aufhören mit mir selbst zu reden. „Ja das solltest du wirklich tun, das wirkt sehr verschroben." Meint mein Hirn. „Das mag schon sein" denke ich, „aber jetzt mal logisch betrachtet...wenn du nicht mit mir reden würdest müsste ich keinen inneren Monolog führen und könnte einfach der Vorlesung folgen und..." versuche ich meinen Gedanken zu beenden, da schallt ein lautes „LAAAANGWEILIIIG!" Durch meinen Kopf und ich presse beleidigt die Lippen aufeinander. „Du bist mir ja ein Hirn! Du solltest Wissen aufnehmen wollen und nicht langweilig schreien!" denke ich zurück und mein Hirn überlegt kurz. Dann sagt es: „Aber... jetzt mal rein logisch betrachtet... Wenn ich, da ich ja teil deines Kopfes bin, mich weigere Wissen aufzunehmen und der Vorlesung zu folgen und du demnach nichts mitbekommst... Dann bist es aber doch trotzdem du und nicht ich, der nicht zuhören will denn ich bin ja nur dein Hirn, ich kann ja nix für das was du denkst grade denken zu müssen." Ich denke kurz nach. „Du meinst also, wenn ich zuhören wollte, dann könnte ich das tun weil du dann gar nicht mit mir reden würdest. Wenn du also grade mit mir redest, dann liegt das nicht daran, dass du nicht zuhörst sondern ich nicht zuhöre und wenn ich das nicht tue, dann wirst du immer weiter mit mir ein Gespärch führen und ich immer weiter dem Wahnsinn verfallen richtig?" frage ich mein Hirn und es nickt, zumindest gehe ich davon aus, denn ich bekomme schlagartig Kopfschmerzen. Ich versuche nach vorne zu sehen. „Heeeey, da schau, der vor dir, da, in der dritten Reihe der..." ruft mein Hirn und ich schaue hin. „Ja?" denke ich, „Was ist mit dem?" „Der hat ein Buch in der Hand!" sagt es und ich schüttele den Kopf. „Wow. Er hat also ein Buch..." fahre ich fort, werde aber von meinem Hirn unterbrochen: „Und die daneben, die sieht so aus als würde sie gleich schlafend aus der Reihe kippen und der neben ihr spielt ein Spiel auf seinem Laptop!" „Ja und? Alles nicht ganz unsinnige Beschäftigungen zum Zeitvertreib im Vergleich dazu, ein Gespräch mit seinem Hirn zu führen!" denke ich deutlich und mein Hirn scheint zu grinsen, der Kopfschmerz verzerrt sich über die gesamte Stirn bis in die Schläfen. „Könntest du bitte weniger grinsen? Ich bekomme Kopfweh davon!" „Was kann ich denn dafür, dass du so engstirnig bist?" „Haha. Witzig. Welch Meisterleistung der flachen Situationskomik...Kann ich mich jetzt bitte wieder konzentrieren?" frage ich und das Hirn antwortet nicht. Scheinbar folge ich jetzt doch der Vorlesung und schreibe sogar ein paar Zeilen mit. Langsam spüre ich, dass ich müde werde und gähne weit aber lautlos. „FRISS IHN FRISS IHN FRISS IHN" brüllt da mein Hirn in die herrliche Stille in meinem Kopf und ich hüpfe vor Schreck einen Zentimeter in die Höhe. „Sag mal spinnst du?" denke ich und „Die Frage gebe ich zurüclk!" Meint mein Hirn. Also wirklich. „Schau mal!" ruft es da und ich weiß sofort was es meint, der Dozent hat einen Schreibfehler auf seiner Folie übersehen. „Häng dich nicht daran auf, das ist nun wirklich nicht so schlimm!" denke ich vorsorglich, doch mein Hirn ist bereits in Fahrt. „Also was soll das denn nun heißen? Ist es denn entschuldbar, dass er, der Herr Linguistikprofessor, nicht einmal seine Assistentin über die Folien schauen und wenigstens die einfachen Rechtschreibfehler korrigieren lässt? Was soll man denn davon mitnehmen? „Fehler sind ok, solange sie nur Dozenten machen? Und dann auch noch bei seit und seid! Wie schwer kann denn das sein? Das ist doch fast selbstverständlich, dass man sich auskennt dass man seid seit ewigen Zeiten mit d schreibt und dass seit eigentlich einfach immer schon mit d...also nein... mit t...wenn es seit... naja...außer man war, dann ist es doch...." Ich reibe mir die Stirn. „Schnauze jetzt!" denke ich. „Du kannst hier nicht immer dazwischenquasseln wenn es dir passt!" „Was ist gelb und kann nicht schwimmen?" fragt mein Hirn. Es herrscht gespannte Stille. „Keine Ahnung" denke ich mühsam und presse meine Kiefer aufeinander. „Ein Bagger!" triumphiert es. „Und warum nicht?" will es wissen, meine Zähne könnten mühelos Beton zermahlen, doch das hält mein Hirn nicht davon ab weiter zu reden: „Er hat nur einen Arm!" sagt es und lacht laut, so laut, dass ich fast mitlachen müsste. „Ich fands witzig" sagt es. „Ja, du fandest es witzig aber ich nicht!" protestiere ich. „Genau, deshalb musstest du auch fast lachen!" „Das ist kein Argument, ich lache teilweise auch tagelang wenn jemand sagt „Freu dir einen Keks" oder wenn ich einen witzigen Christbaum sehe." Gebe ich zurück. „Es reicht jetzt wirklich! Hör auf, mir ständig in meine wichtigen Gedanken zu quatschen du ungestümes Teil von Hirnmasse! Und hör auf, mir schlechte Witze zu erzählen, die nicht im Ansatz witzig sind! Da muss ich dann doch lachen obwohl ich sie nicht lustig finde und das geht nicht, mein Humor entwickelt mit dir zu viel Eigenleben! Der soll das witzig finden was ich witzig finde und nichts anderes, verstehst du das du Freischnauzenbruchpilot?" denke ich deutlich. „Das ist wirklich keine Art." Protestiert mein Hirn. Allerdings herrscht danach plötzlich erholsame Ruhe in meinem Kopf. Endlich. Ich sehe nach vorne, kann mich langsam wieder konzentrieren. Es geht um Koherenz und Kohäsion, Sinn verknüpfen und Sinnesverknüpfungen verstehen, total interessant, ich klebe an den Lippen des Dozenten, der sagt „Und auf dieser Folie sehen sie..." und „EIN MESSERBLOCK!" höre ich weiter. Ich stutze. Einen Messerblock? Das was ich da vorne sehe ist alles aber definitiv „EIN MESSERBLOCK" höre ich wieder. „Was?" denke ich „Wo?" Mein Hirn zwingt mich zur Seite zu sehen. Tatsächlich. Da steht eine junge Frau in ihrer Küche, nimmt ein Messer aus ihrem Messerblock und beginnt, eine Gurke zu schneiden. „Ja, ein Messerblock" denke ich „und was ist daran so interessant?" „Keine Ahnung, aber es scheint dich ja mehr zu interessieren als die Vorlesung sonst hättest du ja nicht hingeschaut oder?" fragt mein Hirn und ich stöhne leise. Haben alle Menschen eigentlich ein so anstrengendes Hirn wie meins? „Nein haben sie nicht, und wenn, dann ist keiner doof genug mit einem solchen Hirn eine Unterhaltung zu..." „Wir führen keine Unterhaltung, du quatscht mir immer in meine Gedanken!" wende ich ein und noch während ich ein „Trotzdem.... Da drüben steht ein MESSERBLOCK!" in meinem Kopf vernehme schlägt mein Kopf auf dem Tisch vor mir ein und ich schließe die Augen. Was solls. Dann denke ich eben nicht mehr mit. „Mit" sagt mein Hirn und ich habe augenblicklich das Bedürfnis, mir lange und oft mit meinem Block vor die Stirn zu hämmern. „Nein, denk an deine Kopfschmerzen!" sagt das Hirn. „Mache ich weil du daran denkst, du bist mein Hirn und mit diesem Gerede ist jetzt Schluss!" denke ich und mein Hirn verstummt. „Was hast du vor?" fragt es ein wenig ängstlich, als ich meinen Laptop nehme und ein Script öffne. „Oh nein... das ist... ist das... Unternehmensrechnung??" fragt es panisch. „Ja und wenn du keine Ruhe gibst.." doch weiter komme ich nicht, da kehrt wieder Stille ein. Ha! Ich kenne mein Hirn doch und ich weiß, dass es beim bloßen Anblick von Mathematik oder BWL sofort in Selbstaufgabe ins Nirvana stürzen möchte. Die Vorlesung geht immer noch ein wenig an mir vorbei, doch ich bekomme nun wesentlich mehr mit als zuvor. Ich tippe gerade den letzten Satz meiner Mitschrift, da sehe ich im Augenwinkel etwas...da bewegt sich was in der Wohnung gegenüber. Die junge Frau steht am Herd, sie scheint zu kochen. Ich schaue hin und noch während ich zu realisieren versuche was sie tut höre ich ein „MESSERBLOCK!" in meinem Kopf und gebe schließlich auf. Mein Hirn will heute keine Ruhe geben. Ich sitze den Rest der Vorlesung ab und irgendwann ist sie auch vorbei. „Weißt du was wir jetzt machen?" fragt mein Hirn und ich überlege. „Nein" denke ich. „Wir kaufen uns jetzt einen Messerblock." „Nein." Denke ich. „Doch" sagt mein Hirn. „Marktportfolio und Risikobeitrag" denke ich. Ach ja. Herrliche Ruhe...Danke BWL! 

Ansichten einer KirschbaumblüteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt