Er konnte nicht einmal weinen. Es war ihm unangenehm vor den ganzen Leuten, die sich über die Augen wischten, oder den Kopf in den Händen vergraben hatten.
Jako stand ganz hinten, weit weg von der Schlange, traute sich nicht weiter nach vorn, wo einer nach der anderen an die Grube trat, um eine Schaufel mit Erde hinein zuschütten. Er fragte sich, was die Menschen daran fanden, ihre Lieben nach und nach mit Erde zu bedecken.
Er beobachtete, wie Felix' Mutter vor dem Loch in sich zusammemsackte, und ihr Rücken vor Schluchzern erbebte.
Um sich abzulenken, lies er den Blick über die Menge streifen, konnte aber weder Frodo und Vanessa, noch Niklas, Sina, oder Niilo entdecken. Sie gaben genauso wenig auf Beerdigungen wie er selbst, doch er hatte das Gefühl gehabt, dennoch kommen zu müssen, nicht zuletzt, weil er sich selbst die Schuld am Tod seines Freundes gab.
Die Schlange war zuende, und langsam wurde wieder gewagt zu sprechen. Grueppchen wurden gebildet, und die Masse ohne Gesicht setzte sich in Bewegung, Richtung Leichenschmaus. Noch so ein Wort, das Jako Wuergereiz bereitete.
Hinter den Gästen gingen langsam Felix' Eltern, und an ihrem langsamen, gebeugten Gang konnte Jako sehen, wie sehr die Trauer sich auch auf ihren Schultern eingenistet hatte. Felix' Vater schenkte Jako ein kurzes, angestrengten Lächeln. Jako konnte in seinen Augen lesen, dass auch er ihm die Schuld gab. Er senkte den Blick.
Als alle weg waren, ging er herüber zu dem Grab mit der frischen Erde und lies sich davor nieder.
"Warum." Sagte er flüsternd. Es war keine Frage.
"Warum muss es mein Auto gewesen sein"
Er raufte sich die Haare, während seine Gedanken zu jenem schrecklichem Tag zurück glitten.
Jako war betrunken gewesen, zu betrunken um zu fahren. Felix hatte es gewusst. Versucht, ihn aufzuhalten. Sich ihm in den Weg gestellt.
Und Jako hatte nicht gestoppt. Nach dem Aufprall war er sofort aus dem Wagen gestürzt, und ab dem Moment, als er Felix' Körper sah, war es ihm klar. Das ihn dieser Moment nie wieder loslassen würde. Felix war sofort tot gewesen, hatte man ihm gesagt, hatte fast nichts gespürt, hatte man ihm später gesagt, um ihm die gröbsten Schuldgefühle zu nehmen. Doch natürlich wusste er, das alle ihm die Schuld gaben. Denn es war seine Schuld. Es gab keine andere Perspektive, keine andere Weise, in der man dem Vorfall betrachten konnte.
Jako hatte das Gefühl, als würde etwas in ihm zerbrechen.
"Jako", hörte er plötzlich eine Stimme neben sich.
Sina hielt ihm die Hand hin. "Komm wir gehen nach Hause."
Aber Jako machte keine Anstalten, ihre Hand zu ergreifen.
"Sina. Ich kann nicht zurück in eure Wohnung. Ich... Ich bin ein Mörder."
Jako sah ihr ins Gesicht und erschrak, als er ihren fast liebevollen Blick sah.
Sina zog ihn im eine Umarmung.
"Jako. Du bist kein Mörder. Sag das nicht."
Jako rieb sich heftig die Augen, in der Hoffnung, dass die Tränen endlich Fliessen wuerden, sich nichts geschah. "Ich kann auch nicht heulen. Das hat nichts damit zu tun, dass du ein schlechter Mensch oder so bist." Sina lächelte ihn an, ein ehrliches Laecheln
"Ich wette, er würde wollen, dass wir wieder so weiter machen wie bisher."
"Sina, ich kann nicht einfach so weiter machen. er fehlt."
"Lücken schließen sich, Jako. Wir werden weitermachen können. Wir werden das hier vergessen."
"Ich will nicht vergessen.", sagte Jako mit plötzlich fester Stimme.
"Nicht ihn vergessen. Die Trauer. Du wirst dich an sein Lachen erinnern, und du wirst die Erinnerung an ihn in eurer gemeinsamen Musik wiederfinden."
Sie sahen sich gegenseitig an. Laechelten, als sie beim anderen die Tränen fliessen sahen, und Jako wurde klar, dass man echte Tränen nicht aus Trauer, Wut, oder Verzweiflung, sondern aus Sehnsucht weint.
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