6 - ... ihm zu widerstehen

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Dana schluckte. Mit immer noch feuerrotem Gesicht trat sie auf ihn zu. Sie nahm ihm das Hemd ab und hielt es ihm offen, damit er mit seinen Armen hineinschlüpfen konnte. Als er sich erneut zu ihr drehte, hielt sie immer noch den Blick gesenkt und knöpfte ihm langsam das Hemd zu. Sie war froh, dass das langärmlige Kleid ihre Gänsehaut verdeckte.
Eine kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte das, was ihr ebenfalls schon aufgefallen war. Sie hatte ihn vorhin in der Küche gesehen wie er sich sein Hemd selbst angezogen und zugeknöpft hatte. Vielleicht erledigten seine Diener und Dienerinnen im Schloss jede Kleinigkeit für ihn, aber er war definitiv dazu imstande sich selbst einzukleiden.
Dennoch bestätigte diese kleine Stimme ihr das, was sie schon wusste. Sie hätte diese Tatsache nichtmal angesprochen, wenn sie tatsächlich sprechen würde.
Sie verstand nicht, warum, aber die Angst, die sie zu Beginn gefühlt hatte, schwand langsam. Er würde ihr nichts tut. Dazu war er nämlich nicht imstande. Zumindest glaubte sie das. Hoffte es.
»Danke, mein Engel.« Bildete sie sich das nur ein oder war seine Stimme tatsächlich tiefer geworden?
Der Blick aus seinen verhangenen Augen, die dunkel glitzerten, verwirrte sie. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, während sie seinem Blick standhielt.
»Ach ja, stimmt«, murmelte er dann, »Wir hatten uns auf 'Liebste' geeinigt.«
Sie nickte nur langsam. Ihr war zwar bewusst, dass ihre Verwirrung nicht vom falschen Kosenamen herrührte, aber sie klärte das Missverständnis nicht auf.
Sein Blick verharrte noch einige Sekunden auf ihr, ehe er sich räusperte und sich abwandte. »Lass uns wieder nach unten gehen.«
Unten angekommen wurden sie bereits von einem ungewöhnlich gut gelaunten James erwartet.
»Na, was habt ihr zwei Turteltäubchen denn so lange getrieben?« Er grinste bis über beide Ohren und Dana fand, dass er in dem Moment einem kleinen Jungen glich, der etwas im Schilde führte.
»Wir haben uns umgezogen«, antwortete Nicolas ruhig, ohne eine Spur von Unsicherheit in der Stimme, »Wie man sehen kann.«
»Ihr habt euch also zusammen umgezogen«, grinste James weiter und sah nun Dana mit wackelnden Augenbrauen an. Diese errötete augenblicklich.
»Aha!«, machte er plötzlich laut und zeigte mit dem Finger auf sie. »Ihr habt euch gemeinsam -«
Ein harter Stoß hinderte ihn am Weitersprechen. Belämmert sah James nun von seiner neuen Position am Boden zu seinem Freund, der den Blick jedoch nicht erwiderte. Stattdessen galt seine Aufmerksamkeit dem Mädchen vor sich.
Mit immer noch geröteten Wangen traute sie sich unter ihren Wimpern hervorzulugen. Sein intensiver Blick sorgte dafür, dass ihr ein Schauder über den Rücken lief. Und obwohl sie davon überzeugt war, dass er ihr nichts tun würde, wollte sie sich in dem Moment am liebsten in irgendeine Ecke verkriechen.
»Was sollte das, Nic?«, wollte James empört wissen.
Der Angesprochene wandte sich ihm nur zur Hälfte zu. »Hör auf, solche unangemessenen Bemerkungen zu machen.«
Dann drehte er sich um und betrat den Raum. Ein verwirrter James und eine verschreckte Dana blieben im Flur zurück.
»Was war denn das gerade?«
Mit hängendem Kopf wandte Dana sich von der eben vonstatten gegangenen Szene ab und lief unsicheren Schrittes in die Küche. Das merkwürdige Verhalten des Prinzen ging ihr, während sie das Essen zubereitete, nicht aus dem Kopf. Sein Blick ließ ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen, wenn sie daran zurückdachte.
Er würde ihr nichts tun. Er würde ihr nichts tun.
Sie wiederholte das Mantra so lange bis sich ihr Herz wieder beruhigt hatte und sie ihm zumindest ansatzweise Glauben schenken konnte. Doch es fiel ihr nach der Situation, von der sie unweigerlich Zeugin geworden war, sichtlich schwer.
»Alles in Ordnung, Dana?«, holte sie die Stimme ihrer Mutter aus ihren trübsinnigen Gedanken.
Sie nickte. Natürlich war alles in Ordnung. Es war schließlich nicht so, als würde ihr eigener Gefährte, der dazu bestimmt war, sie bedingungslos zu lieben, ihr Angst machen.
Seufzend ließ sie ihren Kopf hängen. Er würde mich niemals akzeptieren, ging es ihr durch den Kopf. Der einzige Grund, der ihn hier behält, ist, dass er immer noch denkt, er müsste bei mir bleiben. Der einzige Grund, warum er hier bleibt, ist, dass er immer noch an das Schicksalsband glaubt ...
Nala konnte ihrer Tochter die Zweifeln aus dem Gesicht ablesen. Sie wusste, dass es ein steiniger Weg für die zwei Gefährten sein würde. Der eine glaubte, vertraute und war bereit zu lieben; die andere zweifelte, misstraute und schaffte es nicht einmal sich selbst zu lieben.
Doch Nala wusste auch, dass das Schicksalsband - so mysteriös und verworren seine Wege auch sein mögen - stets die richtigen Menschen miteinander verband. Und es würde nicht damit aufhören, die Seelen der zwei Auserwählten zueinander zu führen bis diese selbst einsehen würden, dass sie zusammen gehörten.
»Wenn du dich gegen das Schicksalsband wehrst, mein Schatz, wird es dich und deinen Gefährten nur noch enger aneinander binden und eure Seelen dazu bringen einander zu rufen.«
Dana legte das Messer, womit sie die Tomaten, die Nicolas nicht massakriert hatte, geschnitten hatte zur Seite, um ihrer Mutter besser zu hören zu können. Diese lächelte, als sie das sah.
»Du musst dich von ihm leiten lassen, glaub mir. Ich hab genauso wenig daran geglaubt. Es klang stets zu schön, um wahr zu sein. Doch eines Tages fand auch ich meinen Gefährten und auch wenn der erste Tag nicht unbedingt der schönste war, war er doch einer der besten. Denn ich konnte mich endlich jemandem hingeben, jemanden bedingungslos vertrauen, ohne jedes Mal darauf zu achten, ob ich nicht zu viel Vertrauen in diese Person setzte. Dein Gefährte soll dein sicherer Hafen sein. Die Arme, in die du flüchten kannst, auch wenn du keinen bestimmten Grund dafür hast. Und glaub mir, das Schicksalsband weiß, was es tut. Jedes Mal.«
Dana schenkte ihrer Mutter ein halbherziges Lächeln. Sie war berührt von dem, was diese gesagt hatte. Dennoch konnte sie sich zu keinem echten Lächeln aufraffen. In ihrem Kopf hallte nur ein Gedanke wider.
Aber bin ich bereit dazu, mich jemandem mit Leib und Seele hinzugeben ...

Die stumme Prinzessin (2nd Draft)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt