Es sind bereits mehr als zwei Wochen vergangen und bis zum heutigen Tag habe ich es geschafft, Colin aus dem Weg zu gehen. Doch wie jede Flucht, neigt auch diese sich dem Ende entgegen.
In Gedanken versunken verlasse ich das Gebäude und die Sonne verabschiedet sich bereits mit ihrem Untergang. Plötzlich stolpere ich fast, als ein großer Schatten sich über mich legt und nach meinem Rücken greift.
Ich schaue in Colins eisblaue Augen und das anfänglich freundliche Gesicht, das ich aufgesetzt hatte, verdunkelt sich.
"Hast du dich verletzt?"
"Nein! Du kannst mich jetzt loslassen!" Winde ich mich wie ein Fisch am Haken, in dem verzweifelten Versuch, ihn abzuschütteln.
Er steht wortlos vor mir und sieht mich an. Sekunden werden in meinem Empfinden zu Stunden. Unbehagen und das Gefühl der Gefangenheit breiten sich in mir aus, während ich starr auf seine Krawatte blicke.
"Wie geht es dir?" Seine Stimme lässt mich erschauern.
"Gut!"
Ich muss hier weg. Weg von ihm, weg von dieser unangenehmen Situation.
Als ich an Colin vorbeigehe, greift er plötzlich nach meiner Hand. "Du fehlst-" Er ringt um Worte. "Du fehlst mir."
Wie soll ich darauf reagieren? Für mich ist dieses Kapitel abgeschlossen. Ich bin durch mit dieser Band. Ich weiß, dass meine nächsten Worte ihn treffen werden, aber es ist notwendig. Ich muss mich schützen, Colin endgültig aus meinen Gedanken verbannen. "Du mir nicht! Und jetzt lass mich gehen!" Seine Hand gleitet von meiner ab. Mit schnellen Schritten entferne ich mich von ihm, seinem Geruch, seiner Wärme.
Mein Herz pocht noch immer heftig. Ich spüre immer noch seine Hand auf meiner.
Warum fühlt sich all das so falsch an? Warum schmerzt jedes gesprochene Wort so sehr? Ein letzter Blick zurück, Colin sieht verloren in meine Augen. Wenn ich ihn so sehe, würde ich am liebsten zurückkehren, ihm sagen, dass ich ihn hasse für das, was er in mir ausgelöst hat und ihn danach einfach in den Arm nehmen.
Aber ich habe keine Zeit, ich bin schon spät dran.
Kaum bin ich die Stufen zu meiner Wohnung hinaufgestiegen, höre ich bereits die Türklingel. Nervosität und eine angenehme Wärme breiten sich in mir aus.
Ich springe Mason freudig um den Hals. Ich habe die Tage, Stunden, Minuten, Sekunden bis zu diesem Moment herbeigesehnt. Kein Auge bleibt trocken. Ich umarme jeden Einzelnen und möchte sie am liebsten nicht mehr loslassen.
Ein zierliches Mädchen steht still hinter Ethan. Sie hat langes braunes Haar, grüne Augen und den Look eines Punkers. "Hallo, und wer bist du?" Frage ich sie lächelnd.
"Mia! Ich bin Mia!" Lächelt sie mich nervös an.
"Willkommen!" Lächle ich sie an und ziehe sie in meine Arme. "Ich freue mich so sehr, dass ihr gekommen seid."
Als wir schließlich in meinem Wohnzimmer ankommen, mustern sie mich von Kopf bis Fuß. In jedem Gesicht ein dummes Grinsen. "Äh... Sexy!" Presst Tyler hervor.
Ich werfe einen Blick auf meine Kleidung. Sie entspricht nicht dem, wie sie mich kennen. Natürlich nicht! Ich hätte selbst nie gedacht, dass ich jemals eine Bluse und einen Damenanzug tragen würde. "Das ist meine Arbeitskleidung."
"Täglich?" Verzieht Ethan leicht angewidert das Gesicht.
"Ähhh... Ja!" Lächle ich.
"Freiwillig?"
"Das ist Vorschrift, Mason!"
"Und das gefällt dir?" Zieht Tyler seine Augenbrauen zusammen.
Dumme Fragen, dummes Lachen, dummes Anstarren.
Ich schlage Tyler mit der Hand auf die Brust. "Hört auf, mich zu ärgern."
Schauend auf meine Freunde, haben sie sich kaum verändert. Mason ist immer noch muskulös, gebräunt, mit schwarzen Haaren und einem modischen Irokesenschnitt. Sein Stil ist immer noch düster. Ein typischer Gothic-Metaller. Ethan ist schlank, braun, mit einem feuerroten Irokesenschnitt. Seine Kleidung ist immer noch mit Löchern übersät. Und Tyler? Ein echter Rocker. Lederjacke, zerrissene Jeans, Tattoos an den Armen und schwarze Kleidung.
"Du hast es dir hier wirklich schön gemacht." Sieht Tyler sich um.
"Danke. Legt eure Sachen irgendwohin und setzt euch."
Ich gehe schnell ins Schlafzimmer und ziehe mich um. Top, kurze Hose, eine rote Socke und eine schwarze. Mit einem Bier in der Hand lasse ich mich neben Ethan auf der Couch nieder und ein Grinsen erscheint auf Masons Gesicht. "So kenne ich dich wieder. Nicht passende Socken mit Löchern und Tattoos überall."
Ich lächle und öffne mein Bier. "Zuhause bin ich immer noch die Alte."
"Und bei der Arbeit die nette Kollegin?" Schmunzelt Ethan.
"Genau so ist es!"
"Dass sie dich trotz deiner Tattoos genommen haben-"
"Mein Chef weiß nichts davon. Meine Kollegen auch nicht. Ich habe ein ganz neues Ich geschaffen." Unterbreche ich Mason sofort.
"Dein neues Ich ist Mist. Ich mochte immer die Saraya, die sich nicht um die Meinungen anderer gekümmert hat." Brummt Tyler genervt.
Ich sage nichts, bleibe still und denke über seine Worte nach. Er hat recht! Ich habe immer mein eigenes Ding gemacht. Ich trug, was ich wollte, zeigte, was ich wollte und vor allem, ich scherte mich nicht um die Meinungen anderer. Und jetzt finde ich mich in einem Job wieder, der mich nicht erfüllt. Und das wurde mir immer bewusster, als ich bei Colin und Adam war. Die Musik, das Spielen, das Kombinieren, das Singen. All das hat mich zu dem gemacht, was ich wirklich bin. Ich verleugne und verändere mich für eine Sache, die mir nicht wichtig ist. Nicht so wichtig wie die Musik...
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Bis spät in die Nacht hinein tauschten wir Geschichten und Erinnerungen aus den vergangenen Jahren aus. Die WG, die wir als Band bewohnt hatten, existiert immer noch. Mia, die vor einigen Monaten hinzukam, brachte frischen Wind in die Band. Mein Ausscheiden aus der Band hatte tiefe Spuren hinterlassen. Nur wenige Tage nach meinem Abgang erhielten sie die Nachricht, dass unsere Band als Vorgruppe eingeladen worden war. Sie gaben ihr Bestes, doch ohne meinen Gesang konnten sie nicht überzeugen. Es war ein schwerer Schlag für die Band und seitdem haben sie es nie wieder geschafft, als Vorgruppe zu glänzen. Sie halten sich mit kleinen Auftritten und Aushilfsjobs über Wasser. Und wieder wird mir eins deutlich: Mit meinem Ausscheiden aus der Band habe ich nicht nur deren Zukunft, sondern auch meine eigene verändert.
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Is It Love - Colin
RomanceIhr Leben war wie ein stürmischer Ozean, geprägt von aufeinanderfolgenden Wellen von Glück und Unglück, die sie bereits im zarten Alter von 16 Jahren dazu zwangen, spurlos zu verschwinden und jede Spur ihrer Existenz auszulöschen. Kein einziger Mens...