Lara Croft

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Ryan:

Der Tag begann wie immer damit, dass ich John aus dem Bett schmeißen musste.

„Ryan, noch fünf Minuten", jammerte er und versuchte sich tiefer in seine Bettdecke zu verkriechen. Ich verdrehte die Augen und zog ihm mit Schwung die Decke weg.

„Die hattest du schon. Los jetzt, steh endlich auf.", schnauzte ich ihn an. Irgendwie war ich heute angespannt, vermutlich wegen des neuen Schülers. Er war allein gesprungen, wohingegen alle anderen immer im Tandem gesprungen waren. Auch ich war nicht allein angekommen.

Nachdem ich John erst zum Frühstück und dann zum Klassenraum geschleppt hatte, beruhigte ich mich ein wenig. John saß neben mir und versuchte verzweifelt, sein Gähnen zu unterdrücken, was ihm aber kläglich misslang. Ich beugte mich zu Liam vor und tippte ihn an.

„Hast du schon was von dem neuen Schüler gehört?", wollte ich wissen, aber nur ein Kopfschütteln antwortete mir.

In diesem Moment betrat Miss Cross den Raum, im Schlepptau eine mir unbekannte Schülerin.

„Wer ist das denn? Lara Croft?", plötzlich war John neben mir hellwach.

Ich musterte sie: Groß, schlank, athletisch und trotzdem an den richtigen Stellen kurvig. Die braunen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, ihre eisblauen Augen wanderten prüfend über die Klasse. Sie war wunderschön und einen Moment lang musste ich gegen meinen Kiefer kämpfen, der voller Erstaunen auf die Tischplatte krachen wollte. Aber nicht nur mir ging es so, Raunen und Geflüster wanderten durch die Klasse. Sie wirkte wie eine ganz normale Schülerin, mit ihrer Tasche und Schuluniform. Wären da nicht die beiden 9mm Berettas, die sie in Holstern an ihren Oberschenkeln trug und eine eiskalte Ausstrahlung, die jeden drei Meter Sicherheitsabstand hielten ließ. John hatte Recht. Vor uns stand Lara Croft.

Miss Cross klatschte in die Hände und bat um Ruhe.

„Dies, ", sagte sie und wies auf das Mädchen, „ist Athena Maroon. Sie wird ab heute in diese Klasse gehen. Bitte seid alle freundlich zu ihr, damit sie sich schnell einlebt." Sie wandte sich an das Mädchen.

„In der mittleren, vorletzten Reihe ist noch ein Platz frei. Bitte setze dich dorthin.", sagte sie und deutete in Johns und meine Richtung. Das Mädchen nickte und wollte gehen, als sie ein Räuspern von Miss Cross zurückhielt. Fragend zog sie eine Augenbraue hoch.

„Ihre Waffen, Miss Maroon, dulde ich in meinem Klassenzimmer nicht. Auch Sie müssen sie abgeben und erhalten sie nach dem Unterricht zurück.", ein süßliches Lächeln hatte sich auf Miss Cross' Züge geschlichen, was niemals etwas Gutes bedeutete. Athenas Gesicht zeigte erst Unglauben, dann verdrehte sie die Augen und legte ihre Berettas in den Weidenkorb, den Miss Cross ihr hinhielt. Sie wollte sich gerade abwenden, als ein „Miss Maroon, alle Waffen, bitte", sie zurückhielt. Seufzend zog sie vier Magazine und ein riesiges Kampfmesser unter ihrer Jacke hervor und legte auch diese in den Korb. Ein leises Raunen begann durch die Klasse zu laufen und John neben mir zog die Augenbrauen hoch, als nacheinander eine 38-er, zwei weitere Messer und acht Wurfdolche in dem Korb landeten. Ich hatte noch nie einen Schüler erlebt, der so schwer bewaffnet war und auch in Miss Cross' Augen spielgelte sich Unglauben. Mit einem verächtlichen Schnauben drehte sich Athena um, und erklomm die Stufen zu ihrem Platz - der genau neben meinem war. Ich bemerkte, wie John vorsichtig etwas von mir abrückte und glaubte, ein „Viel Spaß mit der Verrückten!", zu hören. Feigling! Sie setze sich und fixierte schweigend einen Punk irgendwo über der Tafel. Ich beschloss zu versuchen, die Eiskönigin ein wenig aufzutauen, und wandte mich lächelnd an sie.

„Hi, mein Name ist Ryan Fieldings, ich bin der Klassensprecher. Wenn du ein Problem hast, kannst du jederzeit zu mir kommen, okay?"

Nervös wartete ich auf ihre Reaktion, aber es war, als hätte ich nie etwas gesagt. Nicht einmal eines Blickes aus dem Augenwinkel wurde ich gewürdigt. Mir klappte fast die Kinnlade herunter und John neben mir kicherte. Noch nie war ich so dermaßen aufgelaufen. Eigentlich war es immer dasselbe, wenn ich eine neue Schülerin begrüßte: rote Wangen, ein schüchternes Lächeln, ein gehauchtes „Danke" und der Zettel mit ihrer Telefonnummer, der nach der Stunde in meinem Rucksack auftauchte. Ich konnte nicht bestreiten, dass es mir gefiel, wie die Mädchen auf mich reagierten und dass ich mich gern in ihrer Bewunderung sonnte. Aber Athena Maroon war das alles egal. Sie saß neben mir und füllte stillschweigend ihr Blatt mit Notizen, als wäre sie die einzige Schülerin.

Shadow Children - PrisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt