Kapitel 49

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Jess:

Schnell schaute ich noch einmal nach den Pferden, bevor wir los fuhren. Und kaum hatten wir den Turnierplatz verlassen, schliefen Sue und Johannes auch schon tief und fest.

"Das ging jetzt aber schnell!", bemerkte Thomas.

"Ja. Das war ein hartes Wochenende.", erklärte ich.

"Wochenende? Wie lang ward ihr denn da?"

"Ich bin am Freitag Nachmittag schon die ersten Prüfungen geritten. Den Morgen haben wir um vier Uhr angefangen alles zu packen und sind seit dem nur auf Achse."

"Und was ist mit dir? Du bist immerhin die ganze Zeit ge-ritten und du siehst auch ziemlich fertig aus."

"Ja, aber ich bin es mittlerweile gewohnt. Ich mach das so ziemlich jedes Wochenende."

"Die anderen Beiden doch auch oder nicht?"

"Johannes ja, aber Sue nicht. Die ist nur dieses Mal mit, weil das mit Johannes momentan so eine Sache ist."

"Wieso?"

"Johannes steckt gerade im zweiten Heroin Entzug."

"Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist mit jemanden zusammen zu sein, der das gleiche Problem hat? Er könnte dich doch auch wieder in Versuchung bringen."

"Nein. Ich fass das Zeug nie wieder an. Die Überdosis hat mir die Augen geöffnet. Das mach ich nicht nochmal durch. Ich hab jetzt die ganze Woche mit Johannes und Kyle ge-kämpft. Das reicht mir."

"Wer ist Kyle?"

"Der Drogendealer Kumpel von Johannes. Den hab ich auch zum Entzug gebracht. An sich ein wirklich sympathischer Mann."

"Und du betreust ihn?", fragte er.

"Nein. Das macht Sue. Ich bin nur die Hilfe im Hintergrund und besuche ihn einmal am Tag."

"Und du wohnst alleine mit Johannes und den drei Tieren in einer riesigen Villa?"

"Ja. Momentan wohnt Sue auch bei uns, weil sie mir ein bis-schen geholfen hat, aber normalerweise wohnen wir alleine. Nach dem Entzug wird aber auch Kyle wahrscheinlich erstmal bei uns wohnen. Wieso? Willst du bei uns einziehen?"

"Ne, ne. Ich will euch doch nicht stören."

"Tust du nicht. Ganz im Gegenteil. Dann bin ich nicht die einzige im Haus, die kochen kann."

"Wieso? Kann Johannes nicht kochen?"

"Nein. Nur Tiefkühlpizza und Instant Nudeln."

"Wie überlebt die dann alleine?"

"Wirklich verstehen kann ich das auch nicht."

"Doch, aber der arbeitet von morgens um sechs bis abends um sieben. Da haut das von der Zeit her nicht so hin."

"So lange?"

"Ja. Er hat halt zwischendrin Pausen. Also insgesamt kommt er auch auf acht Stunden Arbeitszeit."

"Und wie sind deine Arbeitszeiten so?"

"Momentan noch nicht wirklich zu definieren, aber wenn ich meine Prüfungen durch hab und in der anderen Klinik anfange, arbeite ich von morgens um acht bis nachmittags um vier mit einer halben Stunde Mittagspause dazwischen."

"Aber deinen Job stell ich mir auch echt hart vor."

"Ja, aber er ist toll. Ich helfe damit Menschen, denen es so geht, wie mir damals und das ist toll."

"Es ist echt schön dich so glücklich zu sehen!"

"17 Jahre ist es jetzt her."

"Unglaublich."

"Und was willst du jetzt so machen?"

"Das weiß ich ehrlich gesagt selber nicht. Irgend einen Job finden bei dem ich so viel verdiene, dass ich davon vernünf-tig leben kann und mir irgendwann eine größere Wohnung leisten kann."

"Das mit der Wohnung kannst du schonmal streichen. Du wohnst ab jetzt bei uns. Wir haben so viel Platz und jemanden, der mir ein bisschen im Haushalt hilft und auch mal was kochen kann, kann ich immer gebrauchen."

"Und dein Freund ist damit auch einverstanden?"

"Der ist froh, wenn ich Hilfe bekomme. Er schimpft schon immer, dass ich zu viel arbeite."

"So schlimm?"

"Momentan ist es schon heftig. Gleichzeitig arbeiten, drei Pferde reiten, lernen und den Haushalt in Schwung halte, ist nicht so einfach. Aber jetzt hab ich frei und nächste Woche sind die Prüfungen. Dann wird es auch wieder ruhiger und wir haben dann zusammen erstmal drei Wochen frei."

"Und was habt ihr dann vor? Fahrt ihr irgendwie weg?"

"Nein. Mein Urlaub sieht so aus, dass ich den ganzen Tag im Stall bin und in Ruhe mit den Pferden arbeite. Ich kann bei den ganzen Pferden nicht so einfach weg fahren."

"Und das nennst du dann Urlaub?"

"Ja. Für mich gibt es nichts schöneres, als den ganzen Tag mit den Pferden zu verbringen. Da mach ich dann auch nicht ganz so hartes Training, sondern gehe mal locker ausreiten. Dieses Jahr soll Johannes vernünftig reiten lernen."

"Und du unterrichtest ihn dann auf deinem Pferd?"

"Nein. Ach du lieber Himmel! Das überlebt der nicht!"

"Wieso? Der ist doch ganz brav."

"Nur wenn du weißt, was du tust. Halim war früher ein Pro-blempferd. Den konnte lange niemand außer mir anpacken."

"Jetzt echt?"

"Ja. Da kannst du keinen Anfänger drauf setzen. Johannes lernt das auf einem älteren Pferd von meiner Chefin, das ich vor Jahren ausgebildet hab. Der ist mittlerweile in Rente und auf dem kann man ganz gut üben."

"Achso."

"Und was machst du so, wenn du nicht gerade arbeitest?"

"Die Umgebung erkunden und Zeitung lesen."

"Oh wie spannend!"

"Absolut. Aber was soll ich sonst machen? Wenn man frisch aus dem Gefängnis kommt, ist es schwierig jemanden zu fin-den, der einen nicht sofort verurteilt."

"Dabei kannst du eigentlich gar nichts dafür. Genau genommen bin ich sogar irgendwo schuld."

"Bitte was?"

"Wäre ich nicht gewesen, hättest du nicht stehlen müssen und wärst nie ins Gefängnis gekommen."

"Wenn irgendwer daran schuld ist, dann unsere Erzeuger, aber du kannst da garantiert nichts für! Du warst es, die mich noch aufrecht gehalten hat. Hätte ich nicht für dich sorgen müssen, wäre ich genauso untergegangen, wie er."

"Ich hätte dich zumindest im Gefängnis besuchen sollen."

"Nein. Das hättest du nicht verkraftet. Du hast alles rich-tig gemacht."

"Wieso?"

"Wenn man im Gefängnis einen Entzug macht, sieht man nicht gut aus. Es ist gut, dass du mich so nicht sehen musstest."

"Jetzt siehst du auf jeden Fall echt gut aus. Ich hätte dich fast nicht wieder erkannt."

"Da geht es mir mit dir auch nicht anders. 17 Jahre sind eine lange Zeit und Heroin verändert Menschen."

"Ja. Das sehe ich jeden Tag."

"Das ist schon ziemlich hart, oder?"

"Manchmal schon, aber ich liebe es trotzdem."

"Das ist das Wichtigste. Dass du glücklich bist."

"Jetzt, wo ich dich endlich wieder habe, bin ich sogar mehr als das. Ich glaube das war heute einer der besten Tage mei-nes Lebens. Einige, richtig tolle Ritte mit meinen Vieren und als krönenden Abschluss noch der Sieg in meiner ersten Meisterschaft auf S**** Niveau. Und dann kamst auch noch du."

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