Abgrund

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Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit und ein Schritt reichte um sie völlig aus der Ruhe zu bringen. Die Mutter ging extra langsam und sie fiel über die kleine Kante des Steines. Doch für Jaselaya sah sie riesig aus, gewaltig und erschreckend. Sie fielen, doch die Frau ließ sie nicht los. Jaselaya wankte und fiel. Für sie ins Bodensole Schwarz.
Da fing sie eine kräftige Hand auf. Ein Ruck und sie lag sicher in den Armen von Legolas.
Sofort studierte er ihren Hals und hielt seine Hand auf den kleinen Riss.
Wo kam das ganze Blut her?
Jaselaya hatte nicht gemerkt, dass das Messer über ihren Hals geschnitten hatte, als Legolas sie aus dem Griff der Frau geholt hatte. Doch die Frau hielt immer noch das Messer in der Hand und ging nun auf die bewusstlose Miaka zu.
Jaselaya schrie und versuchte zu ihr zu gelangen, doch Legolas hielt sie fest.
„Bitte, du musst sie retten!" flehte Jaselaya und spürte wie es langsam anfing zu schmerzen.
Legolas hielt Jaselayas Hand und legte sie ihr an die Kehle.
„Gut drücken!" sagte er und war mit einem Sprung im Gras neben Miaka. Sie hatte eine kleine Platzwunde auf ihrer Stirn. Die Mutter lief auf den Elben zu und hielt das kleine Messer vor sich.
„Stirb Elb! Die Elbin gehört mir! Ich muss sie IHM bringen und ich habe ja wohl das Recht, meine Tochter zu töten!"
Jaselaya geriet unterdessen in Schnappatmung. Sie sah hilflos zu, wie Legolas die Frau mit seinem Schwert verletzte, nicht tötete.
„Bring Miaka hinter die Mauer! Rasch!" schrie Jaselaya.
„Noro lim!" (Lauf!)
Legolas sah sie angsterfüllt an. Er konnte Jaselaya doch nicht einfach dort lassen!
Jaselaya lächelte flach und flüsterte: „Ich komme schon klar!" sie hoffte, er würde sich beeilen. Sie war nicht zu schwach, auch wenn sie das Wasser nun rufen würde. Sie hatte die Kraft dazu!
Doch sie würde töten und das verstöße gegen eine neue Regel!
Legolas hob Miaka sanft in seine Arme und rannte los.
Jaselaya sah ihnen nach. Sie waren nun in Sicherheit, das ist alles was sie wollte!
Doch die Frau stand tapfer auf und wand sich nun Jaselaya zu. Sie grinste schief.
„Weißt du, ich habe gelernt, so zu tun als wäre ich normal, denn ich habe die Macht des Herrn sehr verehrt, doch meine hirnverbrannte Tochter glaubte uns retten zu müssen. Ich wollte nie gerettet werden! Ich wollte bleiben bei den Orks, als eine von ihnen!" sie hielt das Messer vor sich und lief auf Jaselaya zu. Legolas sah das nicht, denn er war weit weg.
Jaselaya sah die Frau fixierend an. Sie könnte kämpfen... sie war zu verwirrt. Diese Frau war nicht Böse, sie folgte nur dem Falschen und glaubte an das Falsche.
„Ich glaube nicht, das Du sie so sehr hasst! Aber warum willst du mich? Was hast du davon, eine normale Elbe zu töten?"
„Normal? Ich bin nicht die einzige, die versucht normal zu sein, habe ich nicht recht?"
Diese Worte stachen wie Pfeile in sie. Sie hatte recht. Jaselaya verstellte sich.
Ganz langsam ließ sie die Hand von ihrem Hals gleiten. Schon wieder war sie blutverschmiert. Der Schnitt war nicht groß, doch er schmerzte.
„Nekromanten sind auch Menschen, Jaselaya!"
Noch mehr Pfeile!
„Ich will Dich nicht! Er will Dich! Ach ja, töten will ich dich auch nicht!"
„Was hast du für einen Nutzen davon? Was will er von mir?"
„Vieles! Er sehnt sich nach Dir und nach dem stärksten kleinsten Ding!"
Jaselaya dachte, sie spräche von ihr. Doch sie sprach auch von dem Einen und dass Beides kaum voneinander zu unterscheiden war, wusste sie zu dieser Zeit nicht.
„Was willst du tun mit dem Messer, wenn du nicht vor hast, mein Leben zu beenden?"
Die Frau ließ sich nicht beirren und lief wieder auf sie zu.
„Ich habe nicht vor zu plaudern!"
Jaselaya konnte nichts tun, als dort zu stehen und abzuwarten. Was dauerte da nur so lange bei Legolas?
Es war falsch, das wusste Jaselaya. Sie durfte dieser Frau nicht weh tun.
Sie war nur anders...
Jaselaya war auch anders...
Die Mutter von zwei unschuldigen Jungen.
Die Mutter ihrer Freundin.
Die Tyrannin.
Wenn Jaselaya wollte, könnte sie sie jetzt gleich töten.
Sie könnte sich in Sicherheit wiegen und keine Angst davor haben, vom Weg gezerrt zu werden. Denn die Angst kam erst, wenn sie am „Abgrund" stand.
Doch sie regte sich nicht, hob ihre Hand nicht um die Blutung an dem Riss an ihrem Hals zu stoppen. Die Zeit stand still. Dann schnellte der Mensch hervor und... Blut spritzte. Jaselaya riss erschrocken ihre Augen auf. Rotes, schwarz meliertes Menschen-Orkblut spritzte auf ihre Wange und auf die gesamte Wiese um den töten Körper herum. Jaselaya keuchte und war wie betäubt.
„Ich sagte du sollst weiter drücken!" sagte Legolas ärgerlich und hielt schnell seine Hand auf ihren Hals.
„W-i-e-s-o? Wieso hast du... sie...? Du hast sie!" stotterte sie immer noch verwirrt und wahnsinnig geschockt. Ihre Augen waren weit aufgerissen und auf die Leiche gerichtet.
„Schau da nicht hin!" sagte Legolas und drückt Jaselayas Kopf an seine Brust.
„Sie hätte dir weh getan!" sagte der Elb beruhigend und strich über ihre lockigen Haare.
Nein!
Jaselaya war nicht so tapfer, warum war sie so anders gewesen, als sie all diese Nekromanten getötet hatte?
Was war jetzt anders?
War es weil die Frau Mutter gewesen war?
Nein.
War es weil sie an das falsche geglaubt?
Nein.
Es war, weil die Frau gewusst hatte, wie Jaselaya sich fühlte. Sie war ihr so ähnlich gewesen, und war doch so wahnsinnig unterschiedlich.
Eine Weile saßen sie so da. Jaselaya versuchte möglichst wenig zu schluchzen, doch es war schwer, die Tränen fern zu halten. Es fühlte sich so falsch an...
„Wie geht es Miaka?"
„Gut, sie ist aufgewacht und ihre Wunden werden behandelt. Alles wird gut!"
Jaselaya nickte.
Legolas half ihr zu stehen und hielt sie, als sie wacklig lief, wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, die zum ersten Mal auf ihren zierlichen Füßen zu laufen versucht.
Jaselaya hielt ihre Hand stets an ihrem Hals, bis sie im Krankenzimmer auf einem Bett saß und ihre Wunde gesäubert und verbunden wurde. An ihre Händen klebten sie Pflaster und sie wuschen das Blut von ihrer Nase.
Jaselaya schwieg bis sie aufgefordert wurde, sich zu legen und zu schlafen. Sie wurde bewacht und womöglich war dass das letzte Mal, an dem sie alleine zum Unterricht gehen würde.
Sie konnte nicht schlafen und es war auch erst früher Nachmittag. Die Nachmittagssonne schien warm in den Raum und Jaselaya hätte sich am liebsten den Verband vom Hals gerissen. Er fühlte sich eng an, auch wenn er das nicht war, doch alles hier fühlte sich auf die Dauer eng und klein an. Da lehnte Legolas im Türrahmen.
„Ich wusste, du würdest nicht schlafen," er lächelte sie an und setzte sich auf die Bettkante.
„Thranduil und Tauriel haben sich Sorgen gemacht," sagte sein Sohn und sah Jaselaya an, die nicht ihn ansah, sondern verträumt aus dem Fenster ins Weite blickend.
„Ich weiß das das womöglich alle sahen, aber du solltest ein wenig schlafen!"
Die Bilder des Blutes und die Worte, die sie austauschten gingen ihr nicht aus dem Kopf. Wieso nur, litt sie nun so sehr darunter?
„Jaselaya?" Legolas erwartete nicht, das sie antwortete.
„Wie geht es Miaka? Ist sie schlimm verletzt? Was ist mit ihren Brüdern?"
Legolas war überrascht und sagte schnell: „Es ist alles in Ordnung. Miaka wird es bald besser gehen und ihre Brüder sind bei einem Freund ihres Vaters untergebracht, sie werden dort leben, ebenso Miaka, wenn sie etwas Ruhe bekommen hat." Jaselaya atmete zufrieden und erleichtert ein und lange aus.
Eine Zeit lang schwiegen sie...
„Wie kann man vergessen?" Die Elbe drehte sich zu ihm und er sah in ihre glasigen Augen, die wegen der warmen Sonne beinahe grün aussahen.
Legolas schaute sie mitleidig an und sagte: „Manches vergisst man, manches bleibt bis man weise genug ist, zu wissen wie man es vergisst. Es ist nicht unsere Entscheidung, was wir vergessen! Denn aus Erinnerungen kann man viel lernen! Doch das ist nicht, was du hören wolltest nehme ich an."
Jaselaya verstand nicht, was er ihr sagen wollte, doch wusste auch nicht was sie davon halten sollte.
Sie wendete sich wieder dem Fenster zu.
„Ich verstehe es nicht...
Warum und woher wusste die Frau davon? Weiß er es?
Ich frage mich, ob sie nicht vielleicht eine gute Mutter war, die nur durch die Folter im Orkstollen den falschen diente und an das Flasche glaubte. Vielleicht wollte sie nie, das es so weit kommt. Miaka hatte nie vor, sie zu töten, das hatte ich auch nicht, denn wir hatten sie verstanden und wir hatten gelernt, dass es nicht nur zwischen Gut und Böse zu unterscheiden gab. Jetzt ist sie Tod und alles was sie für ihre Söhne tat ist gestorben. Es hätte niemals so weit kommen dürfen!"
„Ich verstehe Dich!"
„Nein tust du nicht und das ist in Ordnung..."
Sie hasste es, wenn jemand sie beruhigen wollte mit diesen Worten. Sie konnten es nicht verstehen, auch wenn sie es nett meinten, es war dumm und bloß ein leeres Versprechen.
„Du hast die Regel nicht gebrochen..."
„Hm, nein... aber beinahe," sagte sie monotonlos.
„Du hast die Kontrolle bewahrt und sie nicht getötet. Du bist wirklich stark."
„Nein, bin ich nicht. Ich hatte Angst! Ich habe geschrien und gezappelt wie ein kleines Kind und ich war schwach!"
„Du bist nicht schwach und Angst zu haben zeigt nur, wie menschlich du bist."
„Menschlich, hmm... Ich glaube nicht, das es etwas starkes ist, Kontrolle zu bewahren," Jaselaya war von sich selbst ziemlich enttäuscht.
„Du hast sie nicht getötet. Du bist nicht weggerannt. Du hast getan, worum wir dich baten."
„Ich hasse Regeln!" sagte Jaselaya mürrisch.
Legolas kicherte belustigt.
Jaselaya sah blitzartig wieder diese blauen tiefen Augen und diesen abstoßenden Blick, der nicht an sie gerichtet war, sondern durch sie durch zu blicken schien. Es reizte Jaselaya beinahe ihre Hand aus zu strecken um die, so nah scheinenden, tiefen wunderschönen blauen Augen, berühren zu können und das Gesicht, welches sie nur bis zum Nasenrücken und dem dunkelbraunen welligen Haarschopf sah. Sie wollte ihre Augen schließen und das, so weich aussehende Haar berühren und sich weiterhin in diesen Augen verlieren.
Das half um die Augen zu schließen und zu schlafen.


Ûdun Unterwelt, Tiefe

Die Elbe des Wassers ___Meine größte SehnsuchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt