Besuch von ganz oben

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In der heißen Sommersonne leuchtet die Fassade des riesigen, vierstöckigen Hauses so weiß wie die Unschuld auf - so unschuldig wie die vielen Kinder, die in diesem Heim leben. Die großen, weißen Holzfenster sind allesamt geöffnet, die Vorhänge flattern wie Fahnen in der leichten Brise dieses wunderschönen Tages. Ich sehe mich selbst, wie ich im Garten in der Nähe des Eingangs zum weitläufigen Areal spiele. Ich bin gerade mal acht Jahre alt, aber man lässt mich jetzt schon spüren, dass ich anders bin.

Bei meiner Geburt war ich blond und hatte große, tiefblaue Augen, zumindest hat mir das eine der Betreuerinnen erzählt. Doch mit acht Jahren ist das Blond schon längst einem tiefen Schwarz gewichen. Aber schwarzes Haar ist nicht arisch und inmitten der äußerlich perfekten, arischen Kinder, die heute ebenfalls im Garten des großen, unpersönlichen Hauses spielen, falle ich auf wie ein bunter Hund. Kein Wunder, dass ich zu den Ältesten im Heim gehöre. Mich will keiner von denen, die herkommen, um ein Kind zu adoptieren. Es grenzt an ein Wunder, dass ich noch nicht verschwunden bin, wie die anderen, die keiner wollte, weil sie, als sie älter geworden sind, nicht mehr so aussahen, wie sie sollten.

Auf einmal fährt ein lackschwarzer Wagen vor dem Haus vor, ich weiß noch, dass ich mich gewundert habe, warum das Verdeck bei so einem schönen Sommertag nicht offen war. Neugierig beobachtet mein 8-jähriges Ich, wie der Chauffeur hinausspringt und zum Rücksitz eilt, seinem Passagier die Tür aufhält und zackig salutiert. Hinaussteigt mit der lässigen Eleganz eines Raubtiers ein Mann in feldgrauer Uniform, aufmerksam lässt er seinen Blick über das Haus und anschließend über den Garten schweifen, ehe seine leuchtend hellblauen Augen an mir hängen bleiben.

Einige Sekunden starren wir einander an, während er seine Uniformjacke rafft und kaum merklich den Kopf schieflegt. Zwar werde ich rot, doch ich erwidere den seltsam durchdringenden Blick dennoch kühn. Selbst als 8-Jährige recke ich das Kinn bereits stolz in die Höhe und kneife die Augen ein wenig zusammen, um gefährlicher zu wirken, als ich es bin. Eigentlich genauso, wie Dima es immer tut. Vielleicht hat er diese blöde Angewohnheit ja am Ende gar nicht von Grischa und Sascha, sondern von mir?

Der Mann scheint sich ein Schmunzeln nicht verkneifen zu können, für den Bruchteil einer Sekunde wird sein strenges Gesicht etwas weicher. Doch als die Leiterin des Heims persönlich hinausgelaufen kommt, um ihn zu begrüßen, ist dieser Ausdruck schon wieder verschwunden. Interessiert beobachte ich, wie er ihr ins Haus folgt, ehe ich mich wieder meiner Puppe zuwende. Aber allzu lange ist mir dieses Vergnügen nicht vergönnt, denn zwei Betreuerinnen kommen bald angesaust, packen mich an den kindlichen Ärmchen und zerren mich ins Haus, wo sie mich baden und hübsch herrichten.

Im dämlichsten Kleid der Welt und mit den passenden Schleifchen an meinen zwei blöden Zöpfen werde ich nach einer Weile ins Büro der Heimleiterin geschubst, wo der Unbekannte auf einem der beiden Stühle vor dem kleinen Schreibtisch der Frau sitzt. Leger hat er ein Bein über das andere geschlagen, doch als ich in den kleinen Raum eintrete, erheben sowohl er als auch die Leiterin sich sofort und mustern mich eingehend.

Der Mann ist ungeheuer groß, das 8-jährige Mädchen muss den Kopf in den Nacken werfen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Jetzt, wo er die Schirmmütze abgenommen hat, erkenne ich auch, dass sein Haar genauso dunkel ist wie meins, was mich rückblickend durchaus amüsiert - so viel zum Thema, schwarzes Haar sei nicht arisch. Bei dem ganzen Wirbel um ihn ist mir schon damals klar, dass er ein Offizier sein muss, doch natürlich weiß ich noch nicht, was der leere rechte Kragenspiegel oder die vier Rangsterne am linken Kragenspiegel zu bedeuten haben.

Was ich damals allerdings bereits wusste, war, wie man herausfordernd seine Augenbraue hochzieht, was ich mit größtmöglichem Erfolg auch tue. Nervös, ja gar schon schwitzend gafft mich die Heimleiterin an, während der Unbekannte absolut ruhig seine kalten Augen in meine bohrt. „Elisabeth, würdest du unseren Gast bitte begrüßen?", plärrt die Frau mit ihrer unerträglich schrillen Stimme.

Strelok - Die SchützinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt