Kapitel 63

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„Hallo, du musst Carly sein! Ich bin Lucie, die Leiterin des Programmes und Besitzerin des Gestüts. Freut mich, dass du uns hier für fünf Wochen tatkräftig unterstützen wirst!", wurden Julian und ich herzlich begrüßt. „Genau, die bin ich! Die Freude ist ganz meinerseits!" „Großartig! Einige Teilnehmer sind schon da, anderen werden in den nächsten Stunden eintreffen. Aber komm doch erstmal mit. Ich zeige dir, wo du die nächsten Wochen wohnst." Lucie führte uns über das gesamte Gelände, bis wir an einem Häuschen, am Rande des Gestüts, ankamen. Sie führte uns nach oben und zeigte mir mein ländlich eingerichtetes Einzelzimmer, mit Blick auf die unendlich wirkenden Weiden. „Wow, ist das schön hier! Schade, dass ich hier nicht wohne...", bemerkte Julian und guckte aus dem Fenster. Ich hatte mich um 15 Uhr mit Lucie und den anderen im Wohnzimmer verabredet, wo wir uns alle kennenlernen sollten und wo wir alles andere erfahren würden. Bis dahin packte ich meine Sachen rasch aus und schnappte mir Julian, um mit ihm gemeinsam das Gestüt zu erkunden. Ich war in meiner Kindheit leidenschaftlich gerne geritten, hatte es nur irgendwann aus den Augen verloren. Wir stellten uns gemeinsam an das Gatter der Weide und bewunderten die grüne, pompöse Landschaft, die sich vor uns erstreckte. Nach einiger Zeit trottete ein großes, dunkelbraunes Pferd auf uns zu. Es beschnupperte mich und schnaube einige Male, als ich begann, es zu kraulen. „Ich wusste gar nicht, dass du dich so für Pferde interessierst!", kommentierte Julian bei meinem gekuschel mit dem Pferd. „Ich bin früher lange geritten und war generell nie abgeneigt vom Reitsport. Aber der Fußball war dann dominanter und so habe ich irgendwann aufgehört." „Scheinst aber immer noch ein starkes Band zu Pferden zu haben!", Ich nickte nur leicht und gab Julian einen Kuss. „Ich muss dann auch wieder zurück nach Paris, sonst bekomme ich Ärger..." „Ist schon gut, geh nur! Ich muss das hier schließlich alleine schaffen und glaube, das bekomme ich auch hin! Ich begleite dich noch bis zum Auto, muss dann ja auch schließlich zum Treffen mit den anderen!" Julian lächelte mich an und verschränkte seine Finger mit meinen. Wir liefen ein kleines Stück bis zu seinem Auto, da das Gestüt doch schon ganz schön groß war. „Tschüss, mein Schatz! Wir telefonieren, bis in fünf Wochen!" „Tschüss, Julian! Ich liebe dich!", sagte ich noch, ehe ich ihn zum Abschied küsste und er schließlich losfuhr. Ich schlenderte motiviert zum Wohnzimmer, wo sich schon ein paar andere eingefunden haben. Als Lucie dann den raum betrat, fing die Kennlernrunde an. Außer mir nahmen noch sechs andere Frauen an der Therapie teil. Wir waren eine gemischte Gruppe, nicht nur was das Alter anging, sondern auch vom Charakter und den Interessen. „Hey, also ich bin Carly und bin 22 Jahre jung." „Möchtest du mit uns deinen Grund, für diese Therapie teilen?", fragte die Leiterin behutsam. Ich überlegte kurz, sprang dann schließlich doch über meinen Schatten: „Mhh... Also durch einen Terroranschlag wurden mein Sohn und mein Vater getötet und ich habe an Lebenslust und Motivation verloren und mich ziemlich schweifen lassen. Nach einer Auseinandersetzung mit meinem Freund bin ich zu dem Entschluss gekommen, eine Therapie zu beginnen, und diese schien mir die beste für mich zu sein. Also bin ich hier!" „Danke, dass du den Grund mit uns geteilt hast, auch wenn es nicht einfach war! Das ist der erste Schritt unseres Programmes. Die Einsicht!" Lucie erklärte uns noch den Tagesablauf und teilte uns schließlich jedem ein Pferd zu, um welches wir uns im Laufe der Therapie kümmern sollten. Als Gruppe machten wir uns auf den Weg in die Stallungen, wo wir direkt von mehreren, sogenannten „Grooms", also Stallburschen, in Empfang genommen wurden. Mein Groom, Antoine, zeigte mir, wo mein Pferd stand und gab mir direkt ein Halfter mit Strick. In der Box stand das gleiche Pferd wie vorhin auf der Weide, mit welchem ich ein wenig gekuschelt hatte. Ich las den Namen an der Boxentür und trat schließlich hinein. „Na, du kleiner! Du bist also Antonio und um dich werde ich mich ein bisschen kümmern. Ich glaube, wir werden ein gutes Team! Ich spüre das! Ich nenn dich Toni!", sagte ich zu dem braunen Wallach und führte ihn aus der Box zum Putzplatz. Ich holte noch das Putzzeug und begann, ihn gründlich durchzustriegeln, wobei auch jede Menge Dreck und Staub rauskam. Die anderen Teilnehmerinnen putzen auch ihre Pferde, sodass wir im Anschluss einen kleinen Spaziergang unternehmen konnten, um die Pferde und die Umgebung besser kennen zu lernen. Wir führten die Pferde ein Stück durch den angrenzenden Wald, ehe wir an einer weiteren, riesigeren Weide ankamen. Auf Anweisung von Lucie ließen wir sie alle auf der Weide frei und schauten ihnen noch dabei zu, wie sie voller Lebensfreude und Energie über die Weide schossen und ihren Spaß hatten. Die Pferde hatten eine gewaltige Kraft auf jeden von uns, und schon jetzt spürte ich kleine Veränderungen zu vorher. Gemeinsam, ohne Pferde, gingen wir zurück zu den Stallungen wo wir noch gemeinsam die Boxen ausmisteten und Futter in alle Tröge füllten, bevor wir zum Haus zurückkehrten und gemeinsam das Abendessen kochten. Alle Aktivitäten waren Teamaufgaben, sodass wir lernten, einander zu schätzen, zu vertrauen und anzuvertrauen, falls was war.

In guten, wie in schlechten Zeiten (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt