Staffel 3 - 2 Die Hölle

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Ich liege im Bett. Elliott hat mich am Abend gelungen von der Tatsache, das ich nicht genau weiß, wo mein kleiner Bruder ist, abgelenkt. Ich habe lange nicht mehr so gelacht. Jetzt kommen die Sorgen mit voller Wucht zurück. Wie es ihm wohl geht? Ob er Angst hat? Ob er traurig ist? Ob er lieb behandelt wird? Aber eine geballte Ladung ‚ob' bringt mich nicht weiter. Trotz der vielen Gedanken, die mich alle, alle verdammt nochmal, in eine Sackgasse führen, drifte ich weg, in einen Schlaf, voller düsterer Träume.

Ich wache auf, weil mir jemand mit der flachen Hand ins Gesicht schlägt. Verwirrt öffne ich die Augen, blicke in Elliott's. Ich sehe die Sorge in ihnen, die Sorge um mich.

„Lou! Verdammt nochmal, alles okay? Lou?"

Die Worte brauchen einige Zeit, bis ich sie verstehe.

„Äh...ja. Elliott, wieso schlägst du mich?"

„Weil du geschrien hast!"

„Was?"

„Im Schlaf!"

„Ich äh...habe von Louis geträumt."

Er seufzt und nimmt mich in den Arm.
Er redet beruhigend auf mich ein, als ob er ein kleines Kind besänftigen wollte.
Aber genau so fühle ich mich. Wie ein hilfloses Kleinkind.

Ich reiße mich zusammen. Wenn ich mich nicht täusche, müssen wir uns für die Schule fertig machen. Ich löse mich sanft, aber bestimmt von Elliott, wische mir die Tränen aus den Augen, verbanne jeden Gedanken an meinen Bruder aus meinem Kopf.

„Hilf mir bitte ins Badezimmer zu gehen."

Er nickt und zieht mich hoch, achtet darauf meine Narbe nicht zu berühren.

Mit seiner Hilfe ziehe ich mir zur braunen Perücke eine verblichene Jeans und das weiße Poloshirt an, das mir Elliott's Mutter zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hat. Die langen Haare sind sehr gewöhnungsbedürftig, aber es kümmert mich nicht im Geringsten.

‚Mum' hat uns beiden Porridge gemacht, das habe ich gerne gegessen, als ich in der Volksschule war, und es weckt so etwas wie Sehnsucht in mir. Sehnsucht, nach meinem alten, guten Leben.

Sie bringt uns in Jack zur Schule und dieses Mal verweigere ich die Hilfe meines besten Freundes. Ich will den Anderen zeigen, dass ich nicht schwach, dass ich stärker als sie bin.

Ich muss mich auf dem Weg zu meinem Spind an der Wand abstützen. Süffisantes Lachen begleitet jeden meiner wackligen Schritte. Was sie über mich sagen, muss ich ausblenden, ich muss.

Zum ersten Klassenraum zu kommen ist echt eine Herausforderung. Ich muss in den dritten Stock. Manche Lehrer sehen meinen Aufstieg mit Belustigung, andere mit Ärger, sie denken wohl ich bin wehleidig oder simuliere irgendetwas.

Biologie. Der Aufbau einer Zelle. Mein Kopf dröhnt, ich kann mich nicht konzentrieren. Also zeichne ich. In mein Buch. Andere tuscheln miteinander.

„...ist einfach so behindert."
„...schade, das sie nicht verreckt ist..."
„...kindisch, wie sonst was. Und egoistisch..."
„Ich wette, sie erfindet das einfach nur."

Nur ein einziger Blick trifft mich, der nicht feindselig ist. Es ist der eines Jungen, mit ganz kurz geschnittenen, dunklen Haaren.

Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, aber ich glaube sein Name ist Scott.

Shut up everyoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt