Kapitel 1 | Part 2 ✔

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Ursache waren die riesigen Flügel, aufgrund deren ich kurze Zeit später nach Luft schnappte. Es fiel mir schwer den Blick von den tiefschwarzen Federn abzuwenden, die sich undurchdringlich in einer gigantischen Spannweite aneinanderreihten. Der Mann, der drei Meter entfernt stehengeblieben war, musterte mich mit seinen, im ersten Moment schwarz wirkenden, Augen. Er war wunderschön mit seinen tiefdunklen Haaren und den markanten Gesichtszügen, die ihm zu seiner Größe noch eine gewisse Strenge verliehen. Mir fiel erst auf, dass er sich neben mich gekniet hatte, als zwei starke Hände gegen die Wunde an meinem Bauch pressten.

„Du hättest die Glasscherbe nicht entfernen sollen", meinte er mit zusammengepressten Zähnen und nahm ein Stück Stoff, um die Blutung abzupressen. Dieses engelsgleiche Geschöpf konnte nicht real sein, vermutlich war es eine Fantasie meines Unterbewusstseins, das versuchte den Unfall zu verarbeiten. Ich hob, ganz versunken in meine Gedanken, eine Hand und strich über seine Wange, woraufhin er mich genauer musterte. Dann schien er die Wunde an meinem Kopf zu bemerken und fluchte vor sich hin. Selbst dabei wirkte er majestätisch.

„Dieser Mistkerl", knurrte er und legte eine Hand auf meine Stirn. Seltsamerweise schmerzte es nicht, im Gegenteil, es beruhigte das Pochen und eine prickelnde Wärme breitete sich in meinem Körper aus. Immer wieder sagte er etwas, doch ich achtete nicht darauf. Lieber wollte ich seine Anwesenheit noch etwas genießen, bevor ich in die Realität zurückkehren und er verschwinden würde. „Diese verdammte Blutung will nicht stoppen. Das wird nicht einfach", murmelte er und erhöhte den Druck. Was würde nicht einfach werden? Er hob den Kopf, sah mich an, als hätte er meine Gedanken gehört.

„Dich ins Krankenhaus zu bringen, bevor du in meinen Armen verblutest, das wird nicht einfach", meinte er und ich konnte eindeutig sagen, dass echte Sorge darin mitschwang. Schade, dass ich in der echten Welt niemals so jemanden für mich finden würde.

„Nein, bleib da!", hauchte ich, als sich mein Sichtfeld langsam verkleinerte und weiße Schleier das Beobachten seines makellosen Gesichts verhinderten. „Aylin, bleib wach!", hörte ich ihn noch rufen, aber es war wohl der Blutverlust, der sich hier bemerkbar machte. Oder die Wirklichkeit, die nach mir verlangte.

Ein merkwürdiges Piepsen und flackerndes Licht, dass durch meine Augenlider drang, waren das erste, das ich im Krankenhaus wahrnahm. Mir ging es erstaunlich gut, auch wenn es mir schwerfiel die Augen zu öffnen. Es fühlte sich an, als hätte man mir sie zugeklebt. Das Zimmerlicht war grell und unangenehm, sodass ich mein Gesicht sofort mit meinen Händen bedeckte. Jedes einzelne Körperteil war so unheimlich schwer, dass ich mich am liebsten direkt umdrehen und weiterschlafen würde.

„Aylin?", fragte jemand und ich drehte meinen Kopf leicht nach links. Es war meine Mutter, die mich erleichtert anlächelte und mir eine Hand entgegenstreckte. Sofort ergriff ich diese und atmete erleichtert aus. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass sich ein riesiger Kloß auf mein Herz gelegt hatte. Mit dem Blick auf meine Mutter und meinen Vater, die die Betten rechts und links von mir besetzten, schien immer mehr von dem Druck auf meiner Brust zu entweichen. Es ging ihnen gut, Gott sei Dank. Zwar schlief mein Vater, aber er schien wohl einfach sehr erschöpft zu sein.

„Wie fühlst du dich?", fragte sie und betätigte einen Knopf, vermutlich, um die Krankenschwester zu rufen. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich bin sehr müde und alles erscheint mir so weit entfernt", antwortete ich leise. Sie nickte. „Das sind die Medikamente und die Gehirnerschütterung", sie hielt inne, warf einen Blick zur Tür und wandte sich dann wieder mir zu. „Erinnerst du dich an den Unfall?" Auf diese Frage runzelte ich die Stirn. Es war nicht die Wortwahl, die mich stutzig machte, sondern die Art wie sie es sagte.

„Ist alles in Ordnung?", fragte ich sie vorsichtig, nachdem die Schwester das Zimmer verlassen hatte, um den Arzt zu holen. Meine Mutter hatte durch die Störung nichts mehr gesagt und mein Vater starrte mich mittlerweile ebenfalls mit diesem undefinierbaren Blick an. „Aylin, du warst fast eine Stunde vor uns im Krankenhaus. Hast du eine Ahnung, wie das sein kann?", wollte mein Vater wissen. Ich konnte meinen Ohren kaum trauen. Plötzlich flackerten kurze Bilder des vergangenen Abends auf. Ich erinnerte mich wieder an die Gestalt mit den Flügeln, den Mann mit den schwarzen Haaren. War es möglich, dass ich ihn mir doch nicht einfach nur erträumt hatte?


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Black -mein SchutzengelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt