Gelangweilt drehte Sarah das kleine, silberne Ding zwischen den Händen und suchte nach dem, was besonders an diesem Teil sein sollte.
Klar, ihr Großvater hatte ihr schon aufgezählt was dieses Schmuckstück von den vielen anderen unterschied, die sie bereits besaß und es deshalb auch so besonders teuer gewesen war.
Es war eines von vielen Geschenken, die sie zu ihrem sechzehnten Geburtstag bekommen hatte.
Ihre Großeltern scheuten keinen Preis, wenn es darum ging, ihr einen Wunsch zu erfüllen und meist bekam sie auch einfach zwischendurch etwas mitgebracht von den Reisen, die ihr Großvater oft machte.
Bei all den Geschenken hätte man meinen müssen, dass Sarah wunschlos glücklich sei, doch da irrte man sich.
Es gab etwas, dass sie sich noch mehr wünschte als all die kostbaren Gegenstände, die wertlos und vergessen in den Regalen ihres großen Schlafzimmers verstaubten.
Sehnsüchtig blickte das Mädchen aus einem der Fenster und drückte ihre Handfläche an die kühle Scheibe. Sarah beobachtete den Herbstwind, der die Äste hin und her wiegen ließ, als würden sie tanzen.
Sie sah, wie die Wachposten, die vorne am Tor postiert waren miteinander quatschten und dabei laut lachten. Wie ihnen von den kalten Temperaturen die Wangen und Nasen gerötet waren.
Wie gerne sie doch bei ihnen dort unten gestanden hätte um den Wind und den leichten Nieselregen auf ihrer Haut zu spüren.
Sarah durfte seitdem sie im Alter von sechs Jahren mit ihren Großeltern in die abgegrenzte Ecke von ganz Manhattan gezogen war nicht einmal mehr das Haus verlassen. Nicht einmal ein Fenster hatte sie je öffnen dürfen und Sarah fand, dass diese Verbote äußerst unnormal waren. Sie hatte den Verdacht, dass es mit der Krankheit ihrer Oma zu tun hatte, denn auch sie ging selten vor die Tür.
„Hach.“, seufzte sie traurig und zog den Vorhang zu, weil sie den Anblick nicht ertragen konnte und es sie nur noch mehr deprimierte.
Müde legte sie sich in ihr Bett und vergrub ihr Gesicht unter tausenden von Seidenkissen.
In nur wenigen Minuten war sie weggetreten und träumte von der Welt, die sich hinter den dicken Mauern des Hauses verbarg.
„Sarah, mein Schatz.“ Jemand rüttelte an ihrer Schulter. „Wach auf!“
Als Sarah die Augen öffnete waren das erste, was sie sah zwei graue, buschige Augenbrauen, die sich angespannt zusammenzogen.
„Na endlich!“, rief ihr Großvater und klatschte lachend in die Hände. Er hatte schon seit längerem versucht seine Enkeltochter wachzurütteln.
„Tut mir leid, Großvater. Ich muss wohl eingeschlafen sein.“, entschuldigte sie sich gähnend und führ sich mit einer Hand durch ihre blonden Locken.
„Geht es dir auch wirklich gut?
Deine Omama macht sich sorgen, weil du in letzter Zeit immer so müde bist und so viel schläfst.“
Sarah strich über die faltige Wange des alten Mannes und sagt: „Ja, mir geht es wirklich gut.
Ich habe mich heute einfach nur etwas überanstrengt.“
„Dann ist gut.“ Er tätschelte liebevoll ihr Gesicht und lächelte sein Opapa-Lächeln. „Es gibt Abendessen und Oma will, dass du wenigstens abends mitisst, da du das Mittagessen ja schon verschlafen hast.“
„Ich bin gleich unten. Ich mach mich nur noch mal eben frisch.“
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ließ Sarah sich erleichtert zurück ins Bett fallen, um eine Sekunde später wieder aufzuspringen und ins Bad zu spurten.
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Geflügelt
عاطفيةAus einem Zufall heraus begegnet Colin, ein Geflügelter, einem Menschenmädchen. Ohne es zu wissen verliert er sein Herz an Sarah mit dem zerbrechlichem Gesicht und den traurigen Augen. Zwei verschiedene Wesen, beide auf der Suche nach Freiheit und d...