Tokio

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Mit aufkommender Genugtuung betrachtete sie die schwarzen Streifen auf dem sonst glänzend, weißpolierten Fußboden eines der wohl teuersten Hotels Tokios, die durch das - durchaus beabsichtigte - Schleifen ihrer Sneaker über den Mamor entstanden waren.
Auch wenn die Schuhe, die sie trug, zu diesem Anlass absolut unangebracht waren, kümmerte sie dies nicht im Geringsten, genauso wenig, wie sie das Kopfschütteln ihres Managers wahrzunehmen schien.
Die junge Frau schien im Allgemeinen ihrer Umgebung wenig Beachtung zu schenken, obwohl diese so manche Leute durchaus beeindruckt hinterlassen hätte.
Aber was war schon noch beeindruckend, wenn man nur mit dem Finger zu schnipsen brauchte, damit ein jeder ihm zu Füßen lag?

Diese und ähnliche Fragen stellte sie sich zur Genüge, und schlussendlich waren es diese Fragen auch, die sie wieder nach Tokio verschleppt hatten.

Tokio, die Stadt, in der sie schon einmal Antworten fand.

Tokio, die Stadt, in der sie hoffte, noch einmal welche zu finden.

Und dieser Wunsch sollte der jungen Frau nicht verwehrt bleiben, nein, sie sollte die Antworten sogar auf eine andere, für sie völlig neue und aufregende Weise erfahren.

Nicht, wie schon einmal, davon ihr berühmtes Ich abzulegen, um in die Rolle einer einfachen Bürgerin, die sich im turbulenten Nachtleben Tokios verirrt hatte, zu schlüpfen, sondern von einer Aufzugbekanntschaft aus einem der teuersten Hotels einer zehn Millionen Stadt.

In besagtem Aufzug traf die junge Frau, die es geschafft hatte mit wenigen, überzeugenden Worten ihren Manager abzuwimmeln, auf keinen Geringeren als Min Yoongi, einen der Führenden in seinem Geschäft.

Sie begrüßten sich mit einer angedeuteten Verbeugung; Worte waren nicht nötig, ihr Ruf eilte ihnen voraus.

Trotzdem schien es Min Yoongi, vor allem unter seinem Pseudonym Agust D bekannt, zu interessieren, was jemanden wie seine Mitfahrerin nach Tokio verschlagen hatte, weshalb er nicht zögerte, diese zu fragen.

»Sie sind in Tokio? Weshalb, wenn ich fragen darf? Mein Manager sagte mir, ich sei der Einzige, der demnächst Konzerte in Japan geben würde«

Ein müdes Lächeln machte sich auf ihren Lippen breit, bevor sie antwortete:
»Am Ende sind diese Manager doch alle gleich; egal ob sie ein beliebtes Idol, oder ein Untergrund Rapper, der sich einen Namen gemacht hat, betreuen: Sorgen nur dafür, dass die Verkaufszahlen stimmen«

»Da haben Sie wohl Recht. Sie scheinen mir das Wesentliche begriffen zu haben, auch wenn sie recht neu im der Branche sind«, sagte er mit leichtem Grinsen und bedachte ihre Kleidung, die aus einem zu großen Pullover, einer Jogginghose und abgetragenen Sneakern, bestand, mit spöttischem Blick, »Obwohl Sie einen eigenen Willen zu haben scheinen, was Kleidung angeht«

»Ich bitte Sie. Auch wenn der Mainstream immer nach dem langweiligen, konservativen Gleichen verlangt, bedeutet das keineswegs, dass man ihn nicht mit kleinen Skandalen füttern darf«, antwortete sie mit einem ähnlich ironischen Unterton in der Stimme, der ihrem Gegenüber keineswegs zu entgehen schien.

»Sie amüsieren mich. Sie haben definitv etwas frisches an sich, das der alten Generation verloren gegangen ist«, sagte er höflich und hoffte inständig, dass das, was er als nächstes sagen würde, nicht umhöflich klingen würde, denn dies war auf keinen Fall beabsichtigt. Doch seine Neugier war zu groß, sodass die Worte seine Zunge doch etwas schroffer verließen, als eigentlich beabsichtigt: »Trotzdem haben Sie mir meine eingängige Frage noch nicht beantwortet. Ich glaube wohl kaum, dass Sie freiwillig hier sind«

»Und wenn Sie es nicht glauben, genau das bin ich.«

Mit diesen Worten wurde es still im Aufzug, dessen Türen sich nach einigen Sekunden weiteren Schweigens mit einem leisen Pling öffneten.
Yoongi stieg aus und betrat den mit einem Teppich ausgelegten Gang, doch kurz bevor sich die Aufzugtüren zur Weiterfahrt schließen konnten, hielt er seinen Arm dazwischen.

Den Kopf hielt er gesenkt, als würde er überlegen, was er noch sagen wollte.
Als hätte er den erwartenden Blick der jungen Dame vor ihm gespürt, richtete er sich etwas auf und fragte schließlich: »Sagen Sie, haben sie heute Abend noch etwas vor? Ich kenne eine gute Bar und würde Sie gerne auf einen Drink einladen«

Ein Grinsen bildete sich auf dem Gesicht seines Gegenüber: »Ich habe zwei Bedingungen, unter denen Sie mich heute Abend ausführen dürfen:
Erstens, ich suche die Bar aus, und zweitens, lassen wir doch das 'Sie' fallen und duzen wir uns«

»Aber gerne doch. Ich müsste trotzdem noch kurz auf mein Zimmer, um etwas zu holen. Du darfst mich aber gerne begleiten«

Zu zweit liefen sie den Gang entlang, bis zu Zimmer Nummer 14, wo Yoongi, erstaunlicherweise, klingelte und nicht selbst die Tür aufschloss.
Ihnen öffnete ein orangehaariger Junge, der wohl ungefähr in Yoongis Alter war. Es war niemand Anderes als Park Jimin, der berühmte (und wie die junge Frau zugeben musste, durchaus begabte) Backroundtänzer von Agust D.

Ihr entging nicht, wie das breite Lächeln, das erschien, als er Yoongi sah, ein wenig schwand, als sein Blick auf sie selbst fiel und fragte sich unwillkürlich, in welcher Beziehung die beiden standen.

»Ich will nur kurz etwas holen«, murmelte der Rapper und drängte sich an Jimin vorbei in das Zimmer.
Jimin begrüßte die Frau vor ihm mit einer kurzen Verbeugung, bevor auch er sich von ihr abwandte, um ins Innere des Zimmers zu gehen.

Dieser Abend wurde ein schöner Abend, und aus ihm wurden mehrere Abende, wann immer es der enge Terminplan von Yoongi zuließ.
Die beiden entwickelten eine tiefe Empathie füreinander, die mit jedem Treffen stetig wuchs, genauso wie das gegenseitige Vertrauen, das sie sich gegenüberbrachten.

—————

»Kann ich dich etwas fragen?«, war das erste, was Yoongi an diesem Abend verlauten ließ, gerade als sie sich auf den Barhockern niedergelassen hatten.

»Sicher«

Er kaute auf seiner Lippe herum, eine Angewohnheit, wie sie festgestellt hatte.
»Ich denke, ich.. Ich habe mich verliebt. Aber ich weiß nicht, wie und ob ich es dieser Person sagen kann...«

»Sag es der Person einfach. Du lebst nur einmal, und irgendwann ist es zu spät«, antwortete sie, ihr schnelles Herzklopfen ignorierend.

»O-okay, also ich-«, fing er an, doch sie unterbrach ihn: »Sag es trotzdem erst, wenn du dich bereit fühlst.«

Nach einer kurzen Gesprächspause setzte er ein sanftes Lächeln auf die Lippen und murmelte leise: »Danke. Für Alles«

Jener besagte Abend war einer der letzten, die sie zusammen verbrachten. Yoongi musste früher gehen, da er am nächsten Tag noch ein letztes Konzert geben würde, für das er ausgeruht sein musste. Seine Begleitung jedoch verschlug es noch bis spät nachts in die Klubs von Tokio, denn es sollte auch einer ihrer letzten Tage Aufenthalt hier sein.
In den frühen Morgenstunden befand sie sich wieder im Hotel, langsam, Stockwerk für Stockwerk die Treppe nehmend, da es ihr Verlangen gewesen war, wenigstens ein Mal durch das pompöse Treppenhaus gegangen zu sein.
Doch als sie im Yoongis Stockwerk angekommen war, sah sie zu ihrer Überraschung noch jemanden auf den Beinen. Genauer gesagt zwei Personen, ein gewisser schwarzhaariger Rapper, der seine Hände in den leuchtend orangenen Haaren vergraben hatte und diesen leidenschaftlich küsste.

Und da wurde ihr bewusst, dass wenn sie diese Etage verlassen würde, sie sich damit nicht nur auf den Weg in eine Neue machen würde, sondern auch auf den Weg in einen neuen Abschnitt ihres Lebens, Min Yoongi und Tokio endgültig hinter sich lassend.
Mit diesem Wissen ging sie Treppenstufen hinauf, doch ihr Blick ging sehnsüchtig zurück.

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Hallo, das ist mein erster Oneshot und überhaupt das Erste, was ich hier so veröffentliche *^*
Würde mich über Feedback und Kommentare freuen!

Frage so am Rande: Wer ist eure Ulti-Band und Ulti-Bias?^^

-Pancake

One FloorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt