106|den Kampf gewonnen

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Ich schnaubte und warf mich zurück und mein Kopfkissen auf mein Gesicht, doch dieses Mal schrie ich nicht hinein.
Kenan war ein Trottel. Der größte Trottel, dem ich je begegnet war.

~

Ich raufte mir durch die Haare und schwenkte sie an die Seite, dass mein Mittel- zu einem Seitenscheitel wurde, während ich die Treppen hinunterging.

„Ich gehe zu Alina!", rief ich durch das Haus und griff nach meinem Boots,„Lara und Ella sind auch dort." Ich zog den Reißverschluss hoch und als ich mich wieder aufrichtig hinstellte standen meine Eltern vor mir. Verwundert sah ich in ihre traurigen Gesichter.

„Wieso seht ihr mich so an als würdet ihr mir sagen müssen, dass ich bald sterben würde?", fragte ich vorsichtig und sah zwischen ihnen hin und her.

„Red keinen Unsinn Seren.", griff meine Mutter ein und drehte sich um,„Wir müssen reden." Mein Vater folgte ihr und ich nahm die Tasche von meiner Schulter.
Mir hätte klar sein müssen, dass sie heute darüber sprechen wollen würden. Es hatte mich auch gewundert, dass sie mich heute morgen nicht wachrüttelten um mich anzuschreien.
Lustlos trat ich ins Wohnzimmer und setzte mich gegenüber von ihnen auf die andere Couch.

„Also meine lieben Eltern.", fing ich an und legte die Hände auf meinen Knien ab,„Ich habe nicht so viel Zeit. Mein Bus kommt in-.. oh okay. Ich nehme einfach den nächsten." Meinen Bus würde ich garantiert verpassen.

Mein Vater sah meine Mutter an und deutete auf mich und lehnte sich zurück. Mit dieser Geste hatte er ihr den Vorrang gelassen.
Sie sah von ihm zu mir und lehnte sich ein Stück vor.

„Du hast mir gestern Abend gesagt, dass du wieder mit Kenan zusammen bist.", fing meine Mutter vorsichtig an und ich nickte.

„Und heute Morgen ist es immer noch so.", fügte ich hinzu. Mein Vater lehnte sich nun vor und meine Mutter öffnete den Mund, doch er legte seine Hand auf ihre um ihr zu signalisieren, dass er nun sprechen wollte.

„Wie lange seit ihr schon zusammen?", fragte er. Ich überlegte.

„Wir haben uns an Barans Hochzeit ausgesprochen und ein paar Tage danach waren wir zusammen.", antwortete ich aufrichtig und sah ihn kalt an. Wenn ich Angst oder Trauer zeigen würde, dann würden sie sich nur mehr aufspielen.

„Meine wunderschöne Tochter..", fing er wieder an und rutschte ein Stück vor,„Wieso er? Es gibt so viele Männer auf der Welt und du wählst genau den, der dich immer ein Stück mehr zerbrechen lässt." Ich atmete tief durch.
Mittlerweile nervte es mich immer wieder erklären zu müssen, wieso ich Kenan liebte.

„Weil er mir Halt gibt. Weil er mich liebt. Weil er nichts weiter von mir verlangt, als Ehrlichkeit und Treue. Weil er immer für mich da ist.", zählte ich auf und zeigte auf meine Eltern,„Wieso habt ihr euch gewählt? Weil der andere perfekt für euch ist. Kenan ergänzt mich und mit ihm kann ich auch wirklich ich sein, egal wann." Mein Vater sah auf den Boden.

„Aber Kenan hat dich auch so oft zum weinen gebracht.", flüsterte meine Mutter und sah auf ihre Finger, die sie ineinander verschränkte,„Er hat dich so oft traurig gemacht und du hast so viel Leid erlebt, wegen ihm." Ich atmete tief durch.

„Das gehört doch dazu.", meinte ich und zog die Augenbrauen schmerzlich zusammen,„Es wird niemals perfekt laufen. Ich werde auch bestimmt irgendwann wieder traurig sein, aber am Ende immer versuchen eine Lösung zu finden, weil ich ihn liebe. Ich liebe Kenan so sehr, dass ich in uns immer eine Hoffnung habe und es immer wieder versuche. Weil ich ihn einfach nicht verlieren will und ihn brauche." Mein Vater sah mich an und ihm stand Besorgnis ganz groß ins Gesicht geschrieben.

„Bitte versteht mich.", bat ich sie flüsternd. Weshalb meine Eltern so skeptisch waren, verstand ich. Sie hatten immer wieder nur mitbekommen wie ich weinte oder was für einen Mist er gebaut hatte.
Aber sie hatten nie mitbekommen wie glücklich er mich auch machte und was er alles für mich tat. Sie hatten den wahren Kenan nie kennengelernt.

„Versuchen wir.", murmelte meine Mutter und stützte ihr Gesicht in den Händen ab,„Uff Seren. Wieso musstest du nur diese Gefühle entwickeln?" Diese Frage stellte sie so leise, dass ich den Anschein hatte, dass sie gar keine Antwort von mir wollte. Außerdem hatte ich es auch eben schon erklärt.
Sie sah wieder auf und stützte die Ellbogen an den Knien ab.

„Du weißt was wir von ihm halten und dir jemand anderes wünschen.", sagte meine Mutter erneut und ich nickte abweisend,„Aber du selbst entscheidest am Ende, wen du an deiner Seite behältst. Du bist unsere Tochter und wir möchten nicht gegen dich ankämpfen." Ich legte den Kopf schief und betrachtete sie. Meine Mutter war kein Stück angespannt. Ich würde sogar behaupten sie war leicht eingesackt und sah mich erschöpft an.

Spielte ich im falschen Film mit?
Erst Baran und nun auch meine Eltern? Sie hatten doch irgendetwas geplant. Anders konnte ich mir nicht erklären, weshalb sie alle nun aufgaben und mich in Frieden ließen.

„Du bist eine erwachsene Frau und wenn du der Meinung bist, dass sich all dieser Schmerz für ihn lohnt, dann.. können auch wir dich nicht aufhalten.", kam mein Vater wieder zu Wort und schenkte mir ein schwaches und erzwungenes Lächeln,„Du hast für diese Beziehung schon zu viel gekämpft und auf dich genommen. Selbst gegen uns, deine Eltern, hast du dich gestellt um mit ihm zu sein. Er muss wirklich besonders für dich sein, dass du nach allem noch für ihn einstehst." Erstarrt sah ich ihn an.

„Ich will ihn aber trotzdem kennenlernen!", warf er noch ein,„Er soll mal zum Abendessen vorbei kommen." Ein Abendessen mit meinen Eltern und Kenan? Plötzlich kam mir dieser Gedanke gar nicht mehr so irrsinnig vor.

„Irgendwo sind wir auch stolz auf dich.", fügte meine Mutter hinzu und legte ihre Hand auf die meines Vaters, der sie fest drückte,„Du stehst für deine Gefühle ein und kämpfst um die Personen, die du liebst. Stolzer hättest du uns nicht machen können." Meine Augen fingen an zu brennen und ich blinzelte hektisch. Es fühlte sich an als würde mir eine Last von den Schultern fallen.

Verzweifelt stieß ich die Luft aus, die ich einatmete. Sie waren stolz auf mich?
In meinem Kopf kreiste kein einziger Gedanke mehr. Sie waren stolz auf mich.
Meine Sicht verschwamm und ich ballte Fäuste um mich vom weinen abzuhalten. Es fühlte sich unfassbar befreiend an hier zu sitzen und ihre Worte noch einmal durchzugehen.
Meine Eltern waren stolz auf mich, weil ich Kenan bedingungslos liebte.
Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag und meine Unterlippe bibberte.

„Seren.", flüsterte mein Vater und sie beide standen auf. Meine Eltern setzten sich neben mich und hielten mich in den Armen während mir die Tränen über die Wangen kullerten.
Ich weinte und mein Vater drückte mir einen Kuss auf die Schläfe während meine Mutter mir beruhigend übers Haar fuhr.
Mein Wimmern wurde heftiger und ich konnte es nicht unterdrücken zu weinen.

Ich fühlte mich wie von einer Last befreit. Als hätte ich einen unendlich langen Krieg gewonnen. Das hatte ich auch.
Ich hatte gewonnen, für Kenan und mich.

Hand aufs Herz ich war einige Male selbst kurz davor zu heulen in diesem Kapitel.
Meine Augen haben einfach durchgehend getränt.
Serens Eltern halten sich nun raus und ein Familienessen steht vor der Tür!

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