Klingen

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Ich schiebe die riesigen, weißen Türen des Kleiderschrankes auf. Mir stockt der Atem. So unfassbar vielfältig, groß, aber trotzdem viel zu dunkel, nach meinem Geschmack. Zwischen Männer Jacken, Jeans und Schuhen entdecke ich einen wunderschönen Pulli. Weiß, ziemlich locker und aus irgendeinem hochwertigen Stoff. Wow. Ich krame in der unteren Schublade, in der ich neben edlen  BH's, ein schwarzes Spitzen Top finde, herum. Vorsichtig stülpe ich es mir über den Kopf und stelle fest, dass es überhaupt nicht zu mir passt. Doch um ein scheiß Outfit mache ich mir jetzt doch keine Gedanken. Ich werfe den Pulli über meinen Körper und ziehe noch eine dunkel blaue Jeans an, die mir an den Fußknöcheln ein wenig zu groß ist. Auch Socken wechsel ich. Das Einzige, was mir ein wenig komisch vorkommt, ist meine Unterwäsche, die ich schließlich anlasse. Klar BH ist okay, aber einen Slip? "Gott warum mache ich mir darüber Gedanken?", murmel ich vor mich hin und stoße die Türen des Schrankes zu. Noch einmal schaue ich mich um. Nur ein kleines, wirklich winziges Fenster. Keine Chance. Da würde ich niemals durchpassen. "Und was würde es mir bringen? Ich würd mich so wieso verlaufen!" Ich erschrecke. Jetzt führe ich schon Selbstgespräche. Ohh Gott ich werde ein Psycho. Heulend lasse ich mich auf den Boden nieder. Als ich mich wieder beruhigt habe, atme ich tief ein, stehe auf und schaue entsetzt in den großen Spiegel. Ich gehe einen kleinen Schritt zurück. Bin das wirklich ich? Meine Augen sehen rot und verquollen aus. Mein Gesicht ist mit Dreck überseht. Meine Haare sind fettig. Und unter meinen Augen bilden sich Augenringe, so groß wie ein Krater. Traurig. Fertig mit den Nerven. Wie eine Irre. So sehe ich aus. Ich fahre mir mit meinen Fingern unter meinen Augen, schnappe mir eine Bürste, die auf einem weißen Schminktisch liegt, und kämme meine knottigen Haare. Wenige Minuten später sehe ich ein bisschen besser aus. Ich beschließe nach unten zu gehen und schleiche langsam die Treppe hinunter. Ich halte kurz inne. "Ja und wollen wir es dann morgen machen?" Kurz denke ich nach. Vermutlich das Radieschen. Oder der Dürre. "Ja machen wir. Ich geh heute in der Nacht zu Lars, ein paar Hilfsmittel holen." Mein Atem wird wieder schneller. "Kann sie mitkommen?" Der Anführer? "Nein auf keinen Fall. Wir können ihr doch gar nicht trauen." Ich höre angestrengt ganz genau den dunklen Stimmen nach. "Glaube ich nicht. Und außerdem was sollen wir mit ihr machen? Zwei müssten bei ihr bleiben. Das können wir uns überhaupt nicht leisten. Sie kommt mit!" Ich beiße mir auf die Lippe. Wo wollen die mich denn bei haben? Einem Mord? "Nein wird sie nicht." Das ist Nico's Stimme. Hundert Prozent. "Nico bist du dumm?" Ein Schnaufen. "Nein bin ich nicht. Sie wird nicht mitkommen. Punkt. Das ist zu gefährlich." Dann ein Lachen. "Wir haben sie verfickt nochmal entführt. Sorgst du dich etwa um sie?" Vorsichtig beuge ich mich etwas vor und spähe durch den Spalt der Treppe. Ich sehe wie Nico und der Anführer sich nah gegenüberstehen. Mit ernstem Blick starren sie sich an. "Nein. Sie bleibt hier. Basti passt auf sie auf." Eine empörte Stimme ertönt. "Ne. Ich hab alles vorbereitet. Ich werde garantiert nicht hier auf das Püppchen aufpassen während ihr euren Spaß macht." Das reicht. Ich gehe die Treppe hinunter und spüre wie die Blicke auf mir liegen. Sie bemustern mich von oben bis unten. Ich will gar nicht wissen was gerade in ihren Walnuss Gehirnen abläuft. Sie widern mich an. Alle. Sie alle widern mich an. Ich lehne mich an die große Säule. "Wo soll ich mitkommen?" Nacheinander schaue ich ihnen in die Augen. Unsicher, starr, böse, gleichgültig und amüsiert. Die Blicke von ihnen sind alle verschieden. "Ziemlich aufmüpfig die Kleine.", meint der dunkelblonde Anführer. Er kaut, wie eine abartige Kuh sein Kaugummi. "Aufmüpfig?" Ich sehe ihn auffordert an. Er schüttelt mit dem Kopf. "Süße, wir machen hier die Regeln." Ich atme genervt und hörbar aus."Ich hab Hunger." Ein lautes Magenknurren. Wir schauen zu Kasi, der mich mit einem komischen Lächeln anschaut. "Du kochst." Er blickt zu den Anderen herüber die grinsend nicken. "Das ist deine Aufgabe. Du kochst uns ein richtig geiles Menü." Ich muster sie und gehe kurz entschlossen zur Herdplatte. Pah! Die können mich nicht verarschen und so abartig verachtend behandeln. Ich muss einfach ruhig bleiben. Ruhig und total gechillt. Ich öffne ein großes Glasregal, in dem alles mögliche ordentlich sortiert steht und nehme mir drei Packungen Lachs Nudeln, eine frische Butter, Pilze und Fondor heraus. "So lieben wir es." Während das Lachen von ihnen langsam verhallt hocken sich die Jungs an den großen Tisch und reden genüßlich über ihre Bettgeschichten. "Die eine Blonde von letzter Woche. Jungs, die war echt der hammer. Ihr Körper. 1a. Ihre Augen. Ohh Gott. Und dann noch ihr grazilles Lächeln." Ich verkneife mir ein Kopfschütteln ."Grazill? Was is'n das für ein Wort?" Die Typen prusten. Verzweifelt suche ich eine Milchpackung. Genau deshalb liebe ich meine kleine, unkomplizierte Küche. "Ja und wie war die so?" Endlich finde ich sie. In der hintersten Regalecke hat sich die freche Milch versteckt. Freche Milch? Ich bin so durch, würde jetzt wahrscheinlich Nicki zu mir sagen. Der Gedanke an meine beste Freundin lässt mich tief seufzen. Ich vermisse alle so schrecklich. Und das nach gerade Mal einem Tag. Ob sie mich suchen? Oder schon die Polizei verständigt haben? Wobei ist es nicht so, dass eine Vermisszenanzeige bei Erwachsenen erst später in Betracht gezogen wird? Während ich den kochenden Nudel zuschaue, höre ich dem Gespräch der Jungs weiter zu. "So ein Fetisch kann aber auch ganz nice sein." Ich stutze. "Alter, die wollte das ich sie wie so'n Welpe anwinsel. Das ist nicht geil! Das ist krank!" Alle Lachen. Eigentlich hätte ich mit gelacht. Hätte vermutlich jeder. Wobei eine Bekannte von mir bei diesen "privateren" Themen komplett überfordert ist. Isabell. Oder Isabella? Ohh man kann man von einer Entführung eine kurz Demenz bekommen? Jedenfalls hat sie immer zusammen gezuckt, wenn irgendjemand auch nur das Wort Sex oder Selbstbefriedigung in den Mund nahm. Ich lächele, wobei dieses schnell wieder verschwindet. Das werde ich wohl nie wieder erleben können. "Ich weiß überhaupt nicht was Mädels scharf macht. Gute Körper, lautes Stöhnen oder Tiergeräusche? Man, ich bin so beschissen überfordert." Ich blicke über meine Schulter den Dürren an. Unbeholfen sieht er auf den Tisch, bis sich sein Blick zu mir nach oben wendet. "Du." Schnell schaue ich zu den Spaghettis und der Rahmsoße, in der ich die geschnittenen Pilze vorsichtig mit hineinrühre. Die wollen doch jetzt keine Sex Tipps von mir? "Du bist meine Rettung." Ich höre wie Schritte auf mich zu kommen. Mein Körper spannt sich an. "Erklär du mir mal die Frauenwelt." Kurz blicke ich ihm in die Augen. "Uns die Frauen welt.", ruft der Anführer grinsend zu uns herüber. "Wann is'n überhaupt das Essen fertig?" Ich schnappe mir einen Durchschlag und gieße schweigend die Nudeln hinein. "Ich deck auch schon mal den Tisch, Mademoiselle." Zwinkernd sieht er mich an und sucht nach der Geschirrschublade, bis er sie schließlich findet. Fünf Minuten lasse ich die Sauße noch auf dem Herd bis ich schließlich Teller aus dem Schrank, neben dem Kühlschrank, hole und Portionen verteile. Die Jungs kommen nacheinander angedackelt. Alle bis auf der eine. "Dankeschön Süße." Der Anführer streicht grabschend meine Hand. Das ich nicht vor Eckel kotze ist ein wahres Wunder. Auch die anderen, bis auf dieser unschuldige Kasi, mustern mich flirtend an. Als ich meinen Teller auffüllen möchte und alle anderen sich an den Tisch versammeln, spüre ich eine Hand auf meinen Rücken. "Bisschen unhöflich." Ich wirbel herum und sehe in sein Gesicht. "Was?", frage ich leise. Er nickt auf meinen Teller. "Man gibt sich doch als letztes das Essen, oder nicht?" Schief lächelt er mich an. Ich spanne meinen Kiefer und versuche mich zu beherrschen, um ihm nicht gleich eine zu klatschen. Dieser Typ macht mich wirklich aggressiv. Genervt drücke ich ihm einen Teller in die Hand, schnappe mir die Kelle und belade Nico's Teller mit einer großen Portion. "Vielen Dank, liebe Magt." Provokant schaut er auf meinen Ausschnitt, macht einen ironischen Knicks und dreht sich dann weg, um sich zu seinen Kumpels zu setzen. Ungläubig schaue ich ihm hinterher, bis ich mir selbst Essen auf dem Gedeck gebe und mich an die Kücheninsel setze."Was soll das denn?", ruft der Anführer laut. Ich zucke zusammen. Versalzen? Ne. Zu fad? Eigentlich auch nicht. Was hat er denn? "Du kommst hier hin Süße. Genau zwischen uns." Er zeigt auf sich und dem Radieschen. Zögernd stehe ich auf und gehe zu dem freien Platz herüber. Ich lasse mich nieder fallen und beginne zu essen, wobei ich die Brocken wirklich schwer herunter bekomme. "So jetzt kann es losgehen." Der Blonde Anführer reibt sich die Hände und sieht mich sabbernd von der Seite an. 

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