Kapitel Eins

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Keuchend bewegte ich einen Fuß vor den Anderen. Mittlerweile war es schon wieder Tag geworden. Die Sonne schien durch das Geäst und wärmte mich. Das Laub unter meinen Füßen jedoch war noch feucht und kühl. Die Bäume um mich herum standen eng zusammen und ich konnte nur wenige Meter voraus sehen. Dies war Vorteil und Nachteil zugleich. Ich wurde von möglichen Verfolgern nicht gesehen, aber auch ich sah niemanden. Jederzeit könnte jemand hinter einem Baum hervorspringen und mich festnehmen. Meine Beine schmerzten und ich bekam kaum noch Luft, aber es hallten in mir noch die Worte meiner Mutter nach: Ramura! Lauf weg! Lauf und halt nicht an! Und genau das tat ich. Ich lief, obwohl alles in mir schrie anzuhalten und eine Pause zu machen. Das Schwert an meinem Gürtel war immer schwerer geworden, aber ich wollte es auch nicht abmachen, weil ich mich mit einer Waffe sicherer fühlte.

Nach einiger Zeit, die Sonne stand mittlerweile im Zenit, kam ich auf einer Lichtung an, durch die auch ein Fluss floss. Ich hielt an. Nicht einmal zehn Pferde hätten mich dazu bewegen können weiterzulaufen. Mir tat einfach alles weh, meine Kehle war ausgetrocknet und ich atmete viel zu schnell. Nach ein paar Minuten, in denen ich einfach nur da stand und atmete, ging ich langsam zu dem Fluss, kniete mich hin und schöpfte mit den Händen Wasser. Erst wusch ich mir mein Gesicht ab, aber dann siegte der Durst und ich nahm ein paar kräftige Schlucke. Sobald ich fertig war, schlich ich ein paar Schritte zurück und legte mich auf den Boden. Fast sofort schlief ich ein.

Es war Nacht, als ich aufwachte. Jeder einzelne Muskel tat weh. Ein kleines Stechen in meinem Rücken ließ mich kurz aufstöhnen. Mit meiner linken Hand fasste ich unter meinen Rücken, an die Stelle, wo das Stechen war. Meine Finger stießen gegen etwas hartes und kleines. Langsam umfasste ich den Gegenstand, welcher sich als Stein herausstellte. Unsanft drückte mein Schwert in meine Seite, weshalb ich mich unter Stöhnen aufrichtete. Alles wehrte sich dagegen aufzustehen, aber irgendwie gelang es mir dann doch. Mit kleinen, langsamen und qualvollen Schritten ging ich zum Fluss, bei dem ich mich wieder hinkniete und etwas trank. Nachdem der Durst gestillt war, meldete sich mein Magen. Suchend sah ich mich um, doch um die Lichtung herum waren nur Bäume. Kein einziger Strauch mit Beeren war zu sehen. Seufzend stand ich auf und überlegte, was ich tun sollte. Zurück zum Schloss konnte ich nicht, da König Mading wahrscheinlich nicht so schnell aufgibt, und das wir verloren hatten, glaubte ich nicht. Dafür waren unsere Truppen zu gut ausgebildet. Also blieb mir nichts anderes übrig, als durch den Wald zu gehen, so lange, bis ich ein Dorf fand, in dem ich bleiben konnte. Ein letztes mal suchte ich die Gegend nach Sträuchern ab, aber es war nichts zu sehen. Langsam machte ich mich auf den Weg. Das Gras der Lichtung wich schon bald wieder dem rauen Laub und stechenden Nadeln. Mit Wehmut dachte ich an meine Eltern, während ich weiterging. Links und rechts von mir hörte ich immer wieder ein Rascheln, wenn ein Tier vor mir floh. Schritt für Schritt ging ich weiter, meine Angst und meinen Magen ignorierend. Ein paar mal lief ich gegen einen Baum, da ich nichts sehen konnte. Die Nacht im Wald war durchdringend. Einmal stolperte ich auch über eine Wurzel und fiel hin. Im letzten Moment konnte ich mich aber mit den Händen abfangen, damit ich nicht auf mein Gesicht fiel. Mein rechter Fuß tat seitdem bei jedem Schritt weh, aber ich wollte nicht stehen bleiben.

So marschierte ich die ganze Nacht hindurch. Die aufgehende Sonne tauchte alles in ein helles Licht und wärmte mir den Rücken. Die Vögel erwachten langsam und beglücken mich mit ihren Gezwitscher. Einmal lief sogar ein Reh an mir vorbei. Ich selbst quälte mich immer wieder nach vorne und hoffte darauf, dass der Wald bald zu Ende war und ich ein Dorf fand.

Als die Sonne im Zenit stand, sah ich endlich den Rand des Waldes. Die Bäume lichteten sich und ich stand endlich wieder unter freiem Himmel. Heiß brannte die Sonne auf mich herunter und wärmte mich. Das Gras war weich und warm. Glücklich grub ich meine Zehen hinein, bevor ich mich einfach an Ort und Stelle hinlegte. Ein Grinsen erschien in meinem Gesicht, als ich zum strahlend blauen Himmel hochsah. Langsam schloss ich meine Augen und genoss den Moment. Ich dachte an meine Eltern und fragte mich, wie es ihnen wohl ging. Ich fragte mich, ob ich sie wohl jemals wiedersehen würde. Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich konnte es nicht mehr zurückhalten, ein Schluchzen verließ meine Kehle und ich fing an zu weinen. Langsam löste ich mein Schwert von meinem Gürtel und legte es neben mich. Dann rollte ich mich zu einem Ball zusammen und versank in Selbstmitleid, bis ich endlich einschlief.

»Ramura!«, rief meine Mutter.

Schnell ging ich zu ihr. Ihre Haare wehten sacht in Wind. Lächelnd sah sie mir entgegen.

»Da bist du ja. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht«, flüsterte sie.

Als Antwort nahm ich sie einfach in den Arm. Ich fühlte, wie sie die Arme um mich legte und dann sanft ihren Kopf auf meinen stützte. So standen wir eine Zeit lang, bis sie sich leicht von mir löste, einen halben Schritt zurückging und mir auf den Scheitel küsste. Dann strich sie mir mit ihrer linken Hand durch meine langen Haare, nur um diese kurz darauf an meine Wange zu legen und mir mit dem Daumen über den Wangenknochen zu streichen. Ihre Hand schmiegte sich an meine Wange und meine Mutter lächelte mir noch einmal zu. Danach drehte sie sich um und bedeutete mir, ihr zu folgen. Neugierig, wo sie hin will, folgte ich ihr. Ich hakte mich bei ihr unter und so gingen wir beide weiter. Erst schien es, als wollte sie mit mir nur durch den Garten spazieren, dich bald schon bog sie nach rechts ab in Richtung Tor. Irritiert folgte ich meiner Mutter. Meine Schritte wurden immer langsamer, je näher wir dem Tor kamen. Ich bin noch nie aus dem Palast raus gegangen. Doch wie es schien, wollte mir meine Mutter die Welt hinter den Mauern zeigen oder eher einen kleinen Teil davon. Drei Schritte vom Tor entfernt blieb ich stehen und zwang meine Mutter damit dazu, das gleiche zu tun. Verwundert sah sie mich an, runzelte kurz ihre Stirn, bevor sie verstand, wieso ich stehen blieb. Daraufhin lachte sie und zog mich einfach mit.

Sobald wir durch das Tor waren, sah ich mich mit offenem Mund um. Ich wusste zwar, dass unser Schloss auf der einen Seite an eine Stadt grenzte und hatte diese auch schon vom Fenster oder vom Turm aus gesehen, aber unten zu stehen und zu sehen, wie die ganzen Menschen hin und her hechten, ist dann doch was anderes. Wir waren gerade mal drei Schritte in die Stadt hineingegangen, als laute Rufe erschallen, dass man uns Platz machen soll. Viele verneigten sich auch vor uns.

Der rote MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt