Act I: Beginn einer Reise

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Es war still. Zu still. Die Bibliothek schien in Schweigen gehüllt, ein trauervolles, fast ängstliches Schweigen, das von Unheil zeugte, nicht von Wissensdrang und Ruhe. Normalerweise erklang in diesem Gemäuer immer irgendwo ein Ton, das Rascheln einer umgeblätterten Seite, Leder und Leinen die über Holz schabten beim Herausnehmen und Zurückstellen, das beständige Schlagen der Seiten der Bücher wenn sie wie Vögel im Wind durch die einzelnen Reihen der hohen Regale ihre trägen Kreise drehten. Nun allerdings erklang nicht einer dieser Laute, fast so, als hätte eine höhere Macht diese heilige Stätte in Schweigen gekleidet um das Übel, welches es nun auch seien mochte, nicht noch mehr zu erzürnen, während es sein Werk hier verrichtete.
Zodd schritt langsam und bedächtig durch die Reihen und Zeilen der Regale der Bibliothek, beschienen durch mehrere strahlend reine Irrlichter, welche in der Luft um ihn herumschwebten. Das Licht, welches spärlich durch die hohe Gewölbedecke hereinschien, fast wie ein ferner Strahl der Hoffnung, reichte kaum aus, um zu sehen zwischen den mehrere duzend Fuß hohen Regalen. Es schmerzte ihn, als er das erste Buch sah, welches zerrissen auf dem Boden vor ihm lag. Die Seiten waren durchblättert worden und anschließend aus Hass, oder vielleicht doch eher Frust, aus dem dunkelgrünen Rahmen getrennt worden. Das Buch regte sich nicht mehr. Und leider war es nur das erste von vielen, die der Bibliothekar erblickte, manche der Bücher noch schlimmer zerstört als das kleine grüne. Der Brünette verspürte mit jedem weiteren Schritt, den er auf diesem Pfad der Zerstörung wandelte, einen Stich im Herzen. Zum einen wegen der Bücher, die er genauso gut kannte wie jeden der Lehrlinge und Gelehrten hier, zum anderen wegen dem Mann, der am Ende dieses Weges zu finden war. Voller Kummer blickte der Blauäugige zu dem Magier hinüber der für diese Verwüstung verantwortlich war.
„Warum musstest du es so weit treiben?" Zodd machte eine ausladende Geste durch den Raum, sein Blick nicht vorwurfsvoll, eher mitleidig zu dem Mann am anderen Ende seines Sichtfeldes gerichtet. Die Stimme des Bibliothekars war von Schmerz erfüllt, hallte viel zu laut durch die leeren Zeilen der Bücherregale und verschwand in den Gängen des Gemäuers. Angespannt wartete der Brünette auf eine Antwort, irgendetwas, was ihm erklären würde, wieso jemand so etwas tun würde. Es entzog sich ihm, die Antwort, der Grund für solch eine blinde Zerstörung, solche Wut. Oder wollte er ihn vielmehr nur einfach nicht sehen, da es ihn brechen würde, den Grund zu erfahren.
Der junge Mann ließ seine Hand sinken, ein altes Buch, zerfleddert von dem vielen tausend Händen, die es bereits durchgelesen hatten vor ihm, kam zum Vorschein. Der karge, braune Ledereinband wirkte genauso trostlos wie die vielen toten Bücher um sie beide herum. Langsam drehte sich der Verantwortliche für dieses Chaos um und blickte seinem alten Lehrmeister in die Augen, ein kaltes, totes Lächeln in seinem Gesicht, welches Emotionen vor so langer Zeit vergessen zu haben schien. Es versetzte Zodd einen Sticht in seiner Brust, den er wusste, dass dieser Mann sehr wohl lächeln konnte. Es war gar nicht all zulange her, das er es das letzte Mal gesehen hatte.
„Verzeiht, dass ich mit einer Gegenfrage antworte, doch; Wieso stellt ihr eine Frage, dessen Antwort ihr schon kennt?" Der Blick des Magiers glitt durch den Raum, blieb an dem Bibliothekar hängen, dem Chaos, was sie beide umgab. „Wollt ihr mir ein schlechtes Gewissen machen, damit ich meine Meinung ändere und es mir vielleicht nochmal anders überlege? Damit ich nichts dagegen tue, dieses Chaos zu verhindern und blind weiter den alten Lehren folge, um lediglich ein Zuschauer zu sein, der nichts unternimmt?" Verachtung und Wut sprachen durch den Magier hindurch, Enttäuschung war ebenfalls zu vernehmen. Die Luft erschien mit einem Mal viel zu dick und schwer um noch zu atmen, zu denken oder zu handeln. Wie Gewichte lagen die Vorwürfe auf dem Bibliothekar, dessen Blick schmerzhafte Züge angenommen hatte.
„Du weißt genau, dass ich ein Ziel habe und das mich nichts davon abhalten wird, alles in meiner Macht stehende zu tun, um es zu erreichen, Zodd. Wenn das erfordern sollte, dich zu töten, werde ich nicht zögern, das zu tun." Der Magier machte einen Schritt auf sein gegenüber zu. „Sag mir einfach, was ich wissen muss. Wo ist das Siegel?"
Zodd seufzte, griff nach seinem persönlichen Buch, ein dicker Wälzer, eingeschlagen in weißes Leder und verziert mit goldenen, blauen und roten Ornamenten. Er schlug das Buch auf und blätterte rasch durch die Seiten, ehe seine Hand über einer verharrte. Die Seiten des Buches begannen in einem gleißen hellem Licht zu erstrahlen und mehrere große, schwere Eisenketten aus strahlend hellem Licht schossen aus der Seite heraus, direkt auf den Brünetten zu. Dieser verzog nicht eine Miene als er zwischen den Ketten hindurch glitt, auch wenn es ihn innerlich zum Schmunzeln brachte. Es erschien ihm eher wie ein verzweifelter Versuch, vielleicht auch eher vergebene Liebesmüh. Ein kurzer Wink seines Handgelenkes, ein Symbol, das an seiner Hand auf flimmerte, und die Ketten zerfielen zu Asche. Der Magier hob erneut die Hand und beschwor ein neues Siegel herauf, groß und gleißend hell stand es starr in der Luft. Zodds Augen weiteten sich, ob vor Angst oder vor Unglaube, dass konnte er nicht sagen. Der Bibliothekar wusste, dass ein solch großes Siegel nur eins bedeuten konnte; ein mächtiger Zauber, mächtig genug um seinen Anwender bei unzureichender Erfahrung umzubringen. Und wenn er traf, konnte das für den, auf den die Magie gerichtet war, ebenso zutreffen.
Zodd wusste, dass er tot nichts nütze, er musste hier lebend herauskommen, um von der drohenden Gefahr zu berichten. Der Magier war noch mächtiger und gefährlicher als er angenommen hatte. Sollte er hier sterben, starb dieses Wissen mit ihm und war niemandem von Nutze. Der Bibliothekar entschied sich für die Flucht und ließ von seinem Vorhaben ab seinen Kontrahenten aufzuhalten. Zodd sprintete zu den Regalen und duckte sich hinter das erstbeste das er fand, blätterte wie besessen durch sein Buch, ließ die Seiten durch seine Finger gleiten, ehe er fand wonach er suchte. Zodd hob erneut seine Hand über die Seite, er musste sich beeilen, und aktivierte die Sigile auf der Seite. Um ihn herum schien die Luft zu schimmern, ehe sich in etwa einem Meter Entfernung eine hauchdünne Wand erhob, ein sachtes schimmern umgab sie. Der Schutzwall umgab ihn wie eine Kuppel, schloß sich gerade noch rechtzeitig, um den größten Schaden des Zaubers abzuwenden, der auf ihn gerichtet worden war.
Ein heller Blitz zuckte kurz durch das Sichtfeld von Zodd, ein ohrenbetäubender Knall folgte diesem, erschütterte die Hallen der Bibliothek bis in ihr Innerstes Mark, trotz des Schutzes musste Zodd seine Ohren mit den Händen zu halten, es hätte ihm bestimmt die Trommelfelle zerfetzt, hätte er dies nicht getan. Der Knall wurde von einem hohen Fiepen abgelöst, das schließlich verstummte, zusammen mit allen anderen Geräuschen. Nur mühsam kam Zodd auf die Beine, taumelte hinter dem Regal hervor, sein Buch krampfhaft festhaltend, auch wenn er wusste, dass er in dieser Verfassung nicht kämpfen konnte. Mühsam hob der Blauäugige den Blick an, bereit, in seinem Buch nach einem Zauber zu suchen und ihn auf sein Gegenüber zu richten. Doch der andere Magier war verschwunden. Zodd blickte sich um, versuchte das Ausmaß der Zerstörung zu erfassen und die Verwüstung einzuschätzen. Ob der Magier im Schutz der Sigile geflohen war oder sich mit Hilfe eines Komplizen aus dem Staub gemacht hatte konnte der Bibliothekar nicht sagen. Rauch waberte träge durch die Hallen der Bibliothek hindurch, die Schwaden wie Geister zwischen den paar Regalen, die noch standen. Im Zentrum der Zerstörung qualmte es am stärksten, Zodd taumelte mühsam zu der Einschlagsstelle des Zaubers hinüber. Die Regale in unmittelbarer Nähe waren wie von Feuer Rußgeschwärzt, der Boden im Zentrum war gespalten, fast so als hätte ein erzürnter Gott mit einem Hammer auf diesen eingeschlagen. Dort, wo vorher der Unruhestifter gestanden hatte, lagen noch mehr zerfetzte Bücher herum, ein unübersehbarer Leichenberg aus nun mehr ehemaligem Wissen. Zodd wurde schlecht bei diesem Anblick. Nicht nur, wegen der vielen toten Bücher, die vor ihm lagen, sondern auch, weil ihm bewusst wurde, wonach der andere gesucht hatte. Und das er verhindern musste, das er es in die Finger bekam, egal was es ihn kostete.
Zodd riss seinen Blick von den Büchern los und eilte, so gut das in seinem Zustand ging, durch die Gänge der Bibliothek, seines Zuhauses, sein Ziel war das fordere Eingangsportal der Bibliothek. Wenn er wirklich verhindern wollte, dass das, was der Magier gesucht hatte, in dessen Hände gelangte, musste er sofort aufbrechen. Und er würde Hilfe brauchen. Nicht nur irgendwelche Hilfe, nein, er brauchte die Hilfe von ein paar ganz bestimmten Leuten. Den Grenzwächtern. Doch vorher würde er noch einen alten Bekannten aufsuchen müssen, der für ihn die Grenzwächter um Hilfe beten sollte. Zodd selber musste diesen Vorfall so schnell es ging dem Zusammenschluss melden und den Schaden, der angerichtet worden war, beheben.


Unweit der Ereignisse in der Bibliothek beendeten gerade zwei Soldaten, die auf Patrouille gewesen waren, ihre Schicht. Die Nacht hatte Sal und Leikeima überrascht und die beiden beschlossen, die Nacht über zu ruhen und morgen früh in Richtung Hauptstadt aufzubrechen, um Bericht über das Grenzgebiet von Akimera und dem Nachbarland Ferenys abzugeben. Sal, der Kapitän der Grenzwächter und ein alter Freund von Leikeima, hatte darauf bestanden in Komar einzukehren, ein kleines Dorf in Akimera nahe der westlichen Grenze zu Ferenys. Leikeima war sich sicher, dass er das nur deshalb verlangt hatte, weil er die Wirte hier am besten kannte, da er häufig hierher abstieg während seiner Patrouillen, doch sie sagte nichts. Zum Rügen ihres Vorgesetzten war sie zu Müde und es würde bei seinem Sturkopf sowieso nichts bringen.
Die beiden Soldaten hatten also das kleine Dorf betreten, ein reger Handelspunkt der beiden Reiche, weswegen es hier vor allem abends in den Tavernen und Gasthäusern vor Leben zu Brummen schien, und sich unter Sals Führung aufgemacht eine Taverne zu suchen, in der der Brünette als Stammkunde bekannt war. Leikeima hörte ihrem Vorgesetzten nur mit halben Ohr zu als er irgendetwas über die Grenze redete und suchte statt seiner mit den Augen nach dem Schild welches „Die Brennenden Wasser" auswies, den Ort, an dem Sal Bier erwartete und Leikeima eine weitere von unzähligen Nächten in denen sie den Trinker aus Barschlägereien herausboxen musste. Wie oft hatte sie das nun schon getan? Die ebenfalls Braunhaarige hatte den Überblick verloren, und obwohl es ein eigentlich trauriger Fakt war brachte er ihr dennoch ein mentales Lächeln ein. Sie betrachtete es eher als eine Art Beweis dafür, dass sie beide, sie und Sal, wirklich Freunde waren, und das schon seit vielen Jahren, länger als die meisten Freundschaften, durch die man im Leben ging.
„Ahhh, da wären wir! Die Brennenden Wasser!" rief Sal erfreut aus. Der Brünette war seit Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen, und das obwohl Die Brennenden Wasser schon fast so etwas wie sein zweites Heim waren. Er kam so oft es ging hierher und stieg hier ab auf einen kleinen Trunk, vielleicht auch zwei oder drei, und ließ die Seele baumeln, weg von all den Pflichten und Aufgaben als Kapitän der Grenzwache. Ja, es war definitiv zu lange her, dass er diesen Ort besucht hatte.
Beim Anblick des Namensschildes, welches sacht im Wind schaukelte und der alten, mit Eisennieten versehenen Holztür welche in die Taverne führte durchströmte Sal Vorfreude. Voller Elan stieß er die Tür ins Innere auf und ließ das Innere der Unterkunft auf sich wirken.
Es war jedes Mal dasselbe, wie ein altes Ritual. Zuerst fixierte er die hintere Wand des Lokals, duzende und aber duzende von Schilden hingen dort, Ferenys'sche, Akimerasche, Sisme'sche, aus ganz Sion schienen sie zu kommen und hier und dort entdeckte Sal sogar neue Schilder, manche sogar aus den Nachbarländern Naofa oder Visindí. Es verwunderte Sal jedes Mal aufs Neue, woher Nik, der Besitzer der Taverne, sie bekam.
Nach der Wand glitt Sals Blick immer zur linken Wand, dort, wo der Tresen war. Eine alte Holzfläche, angeblich aus einem Baum aus den tiefsten Innersten Sions, diente als Servierfläche für die Getränke, genug Platz für genau sechs Gäste und den Wirt dahinter. Drei der Tresenhocker waren belegt, zwei ganz außen links und der äußerste rechts.
Zum Abschluss seines Rituals glitt Sals Blick nur durch die Menge der Taverne, mehrere breite Tische mit einzelnen Bänken an denen bereits unzählige Männer saßen und lachten, sie betranken und Glücksspiele spielten.
Der Soldat marschierte mit einem breiten Grinsen zum Tresen. Hinter diesem stand ein etwas breiterer Mann mit Glatze, der Sal ein zahnloses Grinsen schenkte, als er ihn sah.
„Ahh, der Kapt'n und ihr Problemkind!" feixte er und hielt Sal die rechte Hand zum Einschlagen hin.
„Jaja, halt die Klappe, Nik" lachte der Angesprochene und schlug in die Hand seines Bekannten ein.
„Wieder auf'm Rundgang gewesen?" grinste Nik und holte nebenbei zwei Krüge unter dem Tresen hervor. Leikeima setzte sich rechts neben Sal auf einen der abgewetzten Holzhocker. Sie kannte dieses gefeixe von Nik bereits und sah darüber lächelnd hinweg.
Sal nickte und nahm sein Bier von dem Wirt in Empfang, kippte den Inhalt gierig herunter. Viel zu lange hatte er den Geschmack von Bier nicht mehr auf der Zunge gespürt.
„Ja, Patrouille. Drei Wochen das Grenzgebiet von den Ausläufen des Waldes bis runter zur Küste am Jörmundstrom abgelaufen. Nichts war los. Außer den paar Banditen auf dem Tam, aber sonst Stille. Dass die dafür den Kapitän absetzten mussten..." Ein weiterer Schluck wanderte Sals Kehle hinunter.
„Klingt ja nicht grad spannend. Aber schön, dass du mal wieder vorbeischaust. Hier haben schon alle angefangen dich zu vermissen nach der letzten Schlägerei." Feixte Nik während er Sal ein weiteres Bier hinstellte.
„Zu meiner Verteidigung, ich habe nicht angefangen, der Kerl hatte mich provoziert." Lachte Sal und hob in einer abwehrenden Geste die Hand, als wolle er sich ergeben.
„Nur weil jemand den Wächtergruß falsch aufzeigt bedeutet das nicht, dass du ihm deine Faust ins Gesicht rammen darfst." Tadelte Leikeima und nahm einen kleinen Schluck ihres Biers. Sie fand, es schmeckte etwas zu schal, aber vermutlich lag das eher daran, dass sie generell mehr Wein trank als Bier.
„Es war eine bewusste Provokation." Argumentierte Sal. „Er hat mich als den Kapitän erkannt und dann dämlich grinsend die Hand zum Gruß erhoben, um sich über die Grenzwache lustig zu machen."
„Ist dir vielleicht auch in den Sinn gekommen, dass er eventuell zu den Leuten gehört, die die Grenzwache überflüssig finden und dass er dich deshalb provoziert hat, um einen weiteren Grund zu haben, den er herumgrölen kann, weshalb wir am besten aufgelöst werden sollten?"
Sal warf ihr einen entnervten Seitenblick zu und leerte seinen Krug mit einem Satzt. „Nik! Noch einen!" rief er dem Wirt zu, welcher nickte und ein zweites Bier vor ihn stellte.
Leikeima hatte es schon vor Jahren aufgegeben, ihren Freund zu erziehen, und trotzdem hatte sie damals auf die Stelle als Kapitän der Grenzwache verzichtet und sie Sal überlassen, damit sie als Stellvertreter auf ihn aufpassen konnte. Welch' bittere Ironie. Die Brünette kippte sich den Rest ihres Getränks die Kehle herunter und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Ein schaler Nachgeschmack blieb zurück.

Da fröhliche Gelange in der Taverne wurde jäh unterbrochen, als ein neuer Gast die Absteige betrat. Der Fremde schien hochgewachsen, es war schwer zu sagen da er in einen alten, durchlöcherten Mantel gehüllt war, voller Dreck und zerschlissen, jedoch schien ihn das nicht zu kümmern, welcher seine Statur geschickt verbarg. Sein Blick glitt durch die Runde, blieb an den beiden Grenzwachen hängen, an den Emblem auf ihrer Schulterplatte.
Das Flammenschwert, welches einst dem Gründer der Grenzwache gehört haben sollte. Jedoch war es nichts weiter als eine alte Sage.
Der Fremde bewegte sich zielstrebig durch die Gäste auf den Tresen zu, sein Ziel war unschwer zu erraten für Leikeima. Als er schließlich vor den beiden Wächtern stand hob er seine Hand zum Gruß. Wobei Gruß es eher weniger traf, vielmehr war es eine Ehrerbietung der Wächter untereinander, mit dem sie einander Respekt zollten und auch jedem anderen, dem sie diese Geste zukommen ließen.
Der Fremde hob seine rechte Hand auf die Höhe seiner Brust, etwas über seinem Herzen, und beugte seine Hand mit der Innenfläche nach oben zu dem Tisch hin, den kleinen und den Ringfinger angelegt, der Daumen darüber, Mittel- und Zeigefinger abgespreizt.
Sal blickte von seinem Bier auf zu dem Mann links neben ihm, auf seine Hand und die Geste, die er ihm zeigte. Einen Moment lang schien die Zeit still zu stehen, dann erhob sich Sal von seinem Platz. Der fremde ließ seine Hand sinken, und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Sal jedoch holte mit der Faust aus und schlug ihm ins Gesicht, was den Fremden taumeln ließ. Er hatte wirklich nicht mit diesem Schlag gerechnet.
In der Taverne brach mit diesem ersten Schlag ein Tumult los, die Gäste schienen die Auseinandersetzung eines betrunkenen Grenzwächters äußerst amüsant zu finden und grölten Ermutigungen und Wetteinsätze durch die Gegend. Leikeima ließ ihren Kopf fallen, fasste sich mit der linken Hand an ihren Nasenrücken, sie konnte nicht glauben, dass Sal wirklich so dumm war.
Sal unterdessen holte nochmals aus, um den Brünetten vor ihm erneut zu boxen, doch dieser duckte sich unter der Faust des Kapitäns hindurch und griff nach dem linken Arm von Sal. Der Fremde versuchte aus seiner niedrigen Position heraus hinter Sal zu gelangen und ihm den Arm dabei auf den Rücken zu drehen, um ihn zu demobilisieren, doch Sal riss sein Knie hoch und erwischte die Magengrube des Fremden, welcher seinen Kopf aus der Angriffsbahn gebracht hatte. Ein schmerzerfüllter Laut verließ seine Kehle, der Griff seiner Hand um den Arm des Soldaten lockerte sich. Diese Gelegenheit nutzte Sal aus um seinen Ellbogen auf den Kopf seines Gegners zu stoßen, welcher hinfiel, jedoch versuchte durch eine Rolle wieder auf die Beine zu kommen. Sal wollte dies verhindern und ihn mit Schlägen eindecken, doch der Fremde wich ihm aus, nachdem er bemerkt hatte, dass er dem Kapitän Kräftemäßig unterlegen war. Sal holte frustriert erneut aus, um zuzuschlagen, doch eine Hand auf seiner Schulter lenkte ihn ab. Genug, um sein Gesicht dem Besitzer der Hand zuzuwenden. Leikeima stand hinter ihm, riss ihn an der Schulter herum und schlug ihm mit geballter Faust ins Gesicht. Sals Kopf flog nach hinten, ein ungesundes Knacken war zu hören, dann sackte der Körper des Grenzwächters zusammen. Leikeima hievte den Brünetten auf ihre Schulter, warf einen Blick in die Runde der verstummenden Trinker. Diese schienen sie wortlos zu verstehen. Die Show war vorbei.
Der Fremde näherte sich ihr, seine Haltung deutete jedoch immer noch Vorsicht an, er wusste nicht recht, wie er die Frau vor ihm einschätzen sollte.
„Ich hoffe dass dieser Idiot euch nicht zu sehr zugesetzt hat." Sagte die Wächterin, deutete mit einer Handbewegung an, dass er ihr folgen sollte. Der Fremde schüttelte den Kopf, und verließ hinter der Brünetten die Taverne.
„Es ist nichts, was Zeit und Magier nicht heilen könnten." Sagte er. Leikeimas Nackenhaare stellten sich auf. Magie. Da war es gewesen, das Wort.
Sie drehte sich um, erwischte den Mann gerade noch bei dem Versuch zu Grinsen, welchen er allerdings mit schmerzverzogenem Gesicht unterließ. „Also, wer seid ihr und was wollt ihr?" fragte sie fordernd, musterte ihr Gegenüber angestrengt.
Der Mann vor ihr war kaum älter als 25, und etwa einen halben Kopf kleiner als sie, was allerdings nichts heißen musste. Sie selber war nicht gerade die Durchschnittsgröße einer Frau sondern gut darüber liegend. Die Augen des Fremden wirkten allerdings alt, älter als sie hätten sein dürfen, duzende kleine Falten um diese zeugten von Lachen, die Falten auf seiner Stirn von Nachdenken.
Der Fremde versuchte erneut zu Grinsen, unterbrach sich jedoch selber, als er sich an den Schmerz in seinem Gesicht erinnerte. „Verzeiht, meine Manieren." Sagte er stattdessen entschuldigend, seine Stimme hatte einen ruhigen, sonoren Klang angenommen. „Mein Name ist Schung Acadie, ich bin als Vertreter des Blibliothekars Asrasos hier um die Grenzwächter um Mithilfe zu bitten." Argwohn regte sich in Leikeimas Blick.
„Ihr seht nicht aus wie ein Angehöriger der Bibliothek."
Schung, wie sich der Mann vorgestellt hatte, verzog leicht die Mundwinkel, ein schwaches Lächeln. „Die Bibliothekare haben keine einheitliche Robe, auch wenn das viele Glauben, und ich bin eher praktisch veranlagt als akademisch, weswegen ich Feldforschung übernehme für den Bibliothekar in Asraso. Zodd steckt halt lieber hinter Bücherregalen als hinter Bäumen." Scherzte Schung. Leikeima glaubte ihm immer noch nicht. Scheinbar merkte Schung dies ebenso, weswegen er in seine Manteltasche griff, langsam und gut sichtbar, damit die Frau vor ihm die Geste nicht falsch auffasste. Aus seinem Mantel heraus zog er einen versiegelten Brief, stark zerknittert, jedoch ungebrochen. „Zodd hat mir das hier gegeben, als offizielles Hilfegesuch an die Grenzwächter. Falls es euch nicht überzeugt-„ Leikeima nahm, Schung den Brief ab und brach das Wachssiegel auf, entfaltete das Papier und las. Sie murmelte leise vor sich hin beim Lesen.
„Es gab einen Überfall auf die Bibliothek?" sie warf einen fragenden Blick zu Schung.
„Nicht direkt. Ich weiß auch nicht viel mehr als ihr, Zodd war ziemlich in Eile als er mir die Situation erklärt hat. Scheinbar hat jemand die Unteren Stockwerke der Bibliothek verwüstete und mehrere Bücher zerstört bevor er geflohen ist. Zodd sagte, dass der Kerl nach etwas gesucht hat, doch er ist nicht näher darauf eingegangen."
Leikeima lass den Brief erneut durch, prägte sich den Wortlaut ein und zerknüllte das Papier in ihrer linken Faust. Ein Funken entfachte, als der Brief Feuer fing und in Sekunden zu Ascheflocken zerfiel. Schungs Augen weiteten sich.
„Ihr könnt-„ Die Wächterin warf ihm einen warnenden Blick zu, was den Mann zum Verstummen brachte.
„Ich kann euch die Hilfe der Grenzwächter nicht zusagen, das ist mir aufgrund meiner Position nicht möglich. Doch er hier-„ sie warf einen schnellen Blick auf ihre Schulter, wo Sal immer noch bewusstlos hing. „-er kann das. Ich verstehe, dass das eine äußerst beunruhigende Nachricht ist, die ihr überbracht habt, doch wir müssen warten." Schung war ihr einen gequälten Blick zu, scheinbar war das ganz und gar nicht in seinem Interesse. „Morgen früh. Das ist der Deal. Morgen früh werden wir spätestens entscheiden können. Gebt euch damit zufrieden oder last es." Leikeimas Stimme war hart und unnachgiebig. Sie würde sich nicht über Sal hinwegsetzten, und da dieser aktuell keine Entscheidung fällen konnte, da er ausnüchtern musste, hieß das Warten.
Schung knirschte mit den Zähnen, gab jedoch nach. „Einverstanden. Morgen früh bei Sonnenaufgang erwarte ich die Entscheidung eures Kapitäns. Falls er zusagt, brechen wir unverzüglich auf, falls er ablehnt werde ich dies Zodd ebenfalls mitteilen." Die Wächterin nickte. Morgen früh wurde die Entscheidung ihres Kapitäns fallen, so wie sie ihn kannte würde er auf die Hilfe pochen, selbst wenn sie oder die Oberen Wächter gegen seine Entscheidung waren. Zum Glück war dies jedoch nicht nötig.

Schung begleitete Leikeima aus Komar heraus zu einer westlich gelegenen Uferböschung, an welcher die beiden Wächter ihr Lager aufgeschlagen hatten. Es waren zwei Zelte, einfache Ausrüstung, nicht groß oder komfortabel, sie waren da um Nachts gegen Wind und Regen zu schützen, mehr jedoch auch nicht. Auch sonst schien die Ausrüstung der Beiden für die Grenzpatrouille eher leicht auszufallen, kein Feuermaterial oder Jagdausrüstung, die eigentlich von Nöten gewesen wäre, da die Grenzwächter häufig mehrere Tage von den nächsten bewohnten Siedlungen entfernt waren. „Ihr habt eine Schlafgelegenheit?" fragte die Brünette, welche den Bewusstlosen achtlos in sein Zelt verfrachtete. Es schien sie nicht im entferntesten zu stören, dass die Nacht frischen Wind aus Richtung Süden mitbrachte und somit kalte Luft auf die wärmere hier traf und es vermutlich gewittern würde. Schung nickte. „Dann ruht friedlich." War alles was sie im noch sagte, bevor sie in ihrem eigenem Zelt verschwand.
„Ihr ebenso."  

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