Kapitel 1

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Die Bibliothek war umhüllt von Stille. Ericas Augen brannten vom Lesen der vielen kleinen Buchstaben im künstlichen Licht der Deckenlampe. Ihre Fingerspitzen waren taub und trocken, fühlten sich an wie das Papier der Seiten die sie umgeblättert hatte.

Sie seufzte tief.

Hey, kann man dir helfen?

Ericas Kopf schoss hoch. Eine junge Frau hatte sich unbemerkt an ihren Tisch geschlichen, während Erica in ihre Arbeit vertieft gewesen war. Ihr Gesicht kam Erica wage bekannt vor, doch sie konnte es beim besten Willen keinem Namen zuordnen.

Ich befürchte mir ist nicht mehr zu helfen, murmelte sie leicht verlegen.

Ein Grinsen stahl sich auf die Lippen der anderen Frau.

Ich bin Anna, sie hielt Erica ihre Hand hin.

Erica, erwiderte sie und ergriff die Hand der anderen Frau.

Darf ich?, fragte Anna, als sie den Händedruck lösten und zeigte vor Erica auf den Tisch.

Ihre sonnengebräunten Finger griffen nach einem der Papiere die momentan vor Erica auf dem Tisch lagen und drehten es langsam zu sich. Ihre Augen musterten Ericas Gesicht neugierig, gaben ihr die Change ihre Einwände kund zu tun, doch sie schwieg.

Wirtschaftspolitik?

Sie ergriff ein weiteres Blatt, und dann noch eins.

Philosophie? Literaturkritik? Medizin? Für wie viele Studiengänge hast du dich denn eingetragen?, fragte sie neugierig, als sie damit fertig war, den Inhalt der Papiere zu überfliegen.

Für ein paar, gab Erica zu. Sie rollte ihren Kugelschreiber zwischen Daumen und Zeigefinger; ein nervöser Tick ihrerseits.

Ja das sehe ich, die andere Frau grinste. Ihre weißen Zähne bildeten einen krassen Gegensatz zu den dunklen Strähnen die ihr gebräuntes Gesicht einrahmten.

Ich weiß einfach nicht genau, was ich später einmal machen möchte. Es gibt so viele Optionen und ich hab keine Ahnung wie ich die Richtige finden soll. Mein Vater ist Steuerbeamter und hätte gerne, dass ich Wirtschaft oder sowas studiere. Meine Mutter ist Neurologin und will, dass ich Medizin nehme und in einen beeindruckenden Fachbereich wähle.

Erica stütze ihren Kopf in beide Hände und schloss ihre Augen. Als wenn der Gedanke an eine ungewisse Zukunft nicht schon erschreckend genug wäre. So oder so würde es Enttäuschungen geben und dann war da noch die Frage danach, wie gut ihre Leistungen in dem Fach das sie wählen würde, sein würden.

Anna nickte mitfühlend. Eine Strähne dunklen Haares fiel ihr ins Gesicht und wurde von langen Fingern wieder hinter ihre Ohren gestrichen.

Druck von der Verwandtschaft ist nie schön. Aber am Ende des Tages geht es nur darum was du willst.

Erica schnaubte.

Wenn ich nur wüsste was ich will.

Anna lachte.

Meiner Erfahrung nach muss man einfach mal den Kopf frei kriegen, um sich darüber klar zu werden, was man will.

Das ist bei so vielen Leuten, die angespannt auf eine Entscheidung warten, gar nicht so einfach, murmelte Erica entmutigt.

Klingt für mich so, als bräuchtest du dringend Abstand. Von allem.

Leichter gesagt, als getan. Wie soll ich den Abstand denn gewinnen?

Ein schelmisches Grinsen stahl sich auf Annas Lippen.

Wie wäre es denn mit einer kleinen Reise?

MéxicoWhere stories live. Discover now