Kapitel 1: Joy - Der Anruf

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Was für ein perfekter Morgen. Glücklich und mit einem Lied auf den Lippen schlenderte ich zwischen hektischen Geschäftsleuten mit Aktenkoffern und Sonnenbrillen auf ein weißes, etwas altmodisches Gebäude zu. Die städtische Music Academy, an der ich studierte. Genüsslich nahm ich einen Schluck White Mocha Latte aus dem Kaffeebecher in meiner Hand und stieg im Takt zum Lied in meinem Kopf die Treppen zum Eingang hinauf. Ich war froh, endlich im Warmen zu sein. Diese Stadt wurde im Februar noch immer von Eiseskälte heimgesucht und ich konnte den Frühling kaum abwarten, auch wenn ich den Winter mochte. Liebevoll umklammerte ich meinen Thermobecher. Normalerweise trank ich aus den obligatorischen Pappbechern, doch dann lag dieses Schätzchen eine Woche nach Weihnachten unter dem kleinen, künstlichen Baum, den ich in meinem Apartment stehen hatte. Der Becher war goldfarben und darauf stand in glitzernder Schrift „Ballerina".

Zugegeben, es war ein wenig kitschig, aber zählt nicht vor allem der Gedanke? Noel hatte ihn mir geschenkt. Bei dem bloßen Gedanken an ihn musste ich grinsen und mein Herz flatterte ganz komisch. Verliebt sein macht komische Dinge mit uns.

Zielstrebig betrat ich das Gebäude und atmete die wundervolle, kreative Luft ein. Ich war nicht nur verliebt in meinen Freund Noel und meinen neuen Kaffeebecher, sondern auch in mein Studium. Musik und Tanz. Es erfüllte mich einfach. Nach meinem Rauswurf aus dem Weihnachtsmusical hatte ich Angst, nie wieder in einer größeren Show mitwirken zu können. Doch das Leben war momentan zu gut zu mir.

„Guten Morgen, Madame", flötete ich, als ich einer der vielen Balletträume betrat. Er war klein, doch die bodenlangen Fenster ließen unglaublich viel Licht hinein. Die anderen Wände waren mit Spiegeln, Ballettstangen oder Schränken für Utensilien bestückt. Beinahe andächtig schritt ich über das Holz. Ich war die erste, nur meine Ballettlehrerin wärmte sich bereits auf. Madame Étoile war gerade vierzig geworden und hatte eine beeindruckende Ballettkarriere hinter sich. Von Moskau bis Las Vegas hatte sie in großen Rollen auf großen Bühnen gestanden und gab ihr Wissen nun an junge Menschen weiter, die ähnliches erreichen wollten.

„Guten Morgen, Joy. Wie immer überpünktlich."

Lächelnd hob sie eine Augenbraue und beugte sich anschließend wieder hinunter, um sich zu dehnen. Ich begann, mich umzuziehen.

„Selbstverständlich."

„Auf dich kann man sich wirklich immer verlassen", seufzte sie.

„Deswegen habe ich auch entschieden, dass du in unserer kleinen Schwanensee-Aufführung beim Sommerfest Odette spielen wirst."

In mir begann es zu knistern und ich wollte am liebsten losschreien. Ich sprang von der Bank auf, auf die ich mich gerade gesetzt hatte und lief auf meine Lehrerin zu.

„Sind Sie sich ganz sicher, Madame?"

Sie lachte, während ich leicht auf der Stelle hüpfte. Diese Rolle war mein Traum. Noch mehr als Clara.

„Ja, das bin ich. Aber ich erwarte Perfektion."

Ich nickte und umarmte sie. Endlich bekam ich meine große Chance. Beziehungsweise meine zweite große Chance.

Nach dem Unterricht nach ich mein Smartphone heraus, um es gleich Noel zu erzählen. Doch mein Handy klingelte bereits und meine Laune verfinsterte sich. Warum rief meine Mutter mich an?

„Ja?"

Ich klang genervt, denn das war ich auch. Meine Eltern waren nicht gerade meine größten Fans. Wenn es nach ihnen ginge, würde ich Medizin oder BWL studieren, in einem Krankenhaus oder Büro versauern, dennoch früh und reich heiraten, Kinder bekommen. Sie waren verdammt konventionell und meine älteste Schwester lebte genau dieses Leben. Hope war Immobilienkauffrau, hatte eine eigene Firma mit ihrem Mann, der aussah wie aus dem Forbes-Magazine und hatte im Jahr zuvor einen kleinen Sohn zur Welt gebracht. Meine jüngere Schwester Skye studierte Architektur in Europa und datete einen erfolgreichen Kollegen. Es sei ihnen beiden gegönnt. Aber deswegen musste ich es doch nicht genauso machen. Noel war mein erster fester Freund seit Jahren und neben der Verliebtheit hatte ich auch Angst. Angst, ihn zu verlieren.

„Joy, mein Herz", quiekte meine Mutter so laut, das ich das Smartphone ein Stück von meinem Ihr weghalten musste.

„Was gibt's?"

„Rate mal, wer in der Stadt ist."

Beinahe wäre ich gegen eine Straßenlaterne gelaufen, so sehr hatte mich ihr kleines Ratespiel aus der Bahn geworfen. Bitte nicht.

„Brad Pitt?", entgegnete ich so gleichgültig wie möglich.

„Nein, Joy. Wir. Dein Vater und ich. Und wir möchten dich sehen."

Es war eine Katastrophe. Bisher hatte ich meine Eltern immer auf dem Land besucht, seitdem sie aus der Großstadt weggezogen waren und das aus gutem Grund. Ich wohnte noch immer in meinem kleinen Apartment und studierte. Zwar würde ich in diesem Jahr meinen Abschluss machen, doch es war noch nicht sicher, ob ich danach einen Job hätte.

„W-wann?"

„Heute, Spatz. Es ist zwar Valentinstag, aber du hast bestimmt noch nichts vor."

Am liebsten hätte ich mein Telefon an eine Häuserwand geschmissen, so wütend war ich.

„Mum, eigentlich habe ich etwas vor. Mit Noel."

„Der Pianist?", rief meine Mutter entsetzt.

Ich hatte ihr nach Weihnachten ein Foto von mir und Noel geschickt, als wir für das Kinderkrankenhaus aufgetreten sind. Er hatte in einem Weihnachtsmannkostüm Klavier gespielt und ich hatte gesungen. Schon vor Tagen hatte er angekündigt, irgendetwas für heute Abend vorbereitet zu haben, machte aber ein riesiges Geheimnis darum.

„Wie oft noch? Er ist kein Pianist, sondern studiert Informatik."

„Jaja, wie auch immer. Wir werden euch nicht allzu lange aufhalten. Sollen wir zu viert etwas essen gehen?"

Nein.

„D-das muss ich mit ihm besprechen."

„Hervorragend. Bis später, Schatz."

Und da war er hin – mein perfekter Morgen.


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⏰ Last updated: Jan 17, 2020 ⏰

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