2. | Ein merkwürdiger Kauz

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,,Da bist du ja!" Emily kam freudestrahlend auf mich zugerannt und zog mich in ihre Arme. Ich würde sie nicht unbedingt als meine beste Freundin bezeichnen, aber wir waren auf jedenfalls so etwas wie engere Bekannte. Ab und zu gingen wir zusammen in einen der völligen kleinen Pubs, die zwischen den viel zu teuren Nachtclubs der Metropole hockten und tranken gemeinsam ein Bier. Aber sonst sahen wir uns eigentlich nie in unserer Freizeit.

,,Und du bist sogar pünktlich!" Ein Blick auf die große weiße Uhr, die an der Wand hing, verriet mir, dass sie Recht hatte.

,,Oh man, ich brauche jetzt erstmal einen Kaffee." Ich stellte meine Tasche auf meinen Schreibtisch ab, hängte meine Jacke darüber und machte mich auf den Weg zur Kaffeemaschine.

,,Was ist denn los? Normalerweise brauchst du so früh morgens noch nicht so viel Koffein." Emily hatte sich an meine Ferien geheftet und beobachtete mit Argusaugen, wie ich eine Tasse in die Öffnung der Maschine stellte, auf ein paar Knöpfe drückte und kurz darauf die braune Flüßigkeit in besagte Tasse tropfte.
Sie war eine absolute Kaffeehasserien, stattdessen schwor sie auf Tee und Räucherstäbchen, die sie, wie ich wusste, in ihrer ganzen Wohnung verteilt hatte. Mit ihren blonden langen Locken und den großen braunen Augen wirkte sie besonders schön und hätte vielleicht noch schöner ausgesehen, wenn sie nicht immer in diesen Hippieklamotten herumgelaufen wäre. Obwohl ihr dieser Look seltsamerweise wirklich gut stand.

Ich drehte mich zu ihr um. ,,Ich hab eben gerade aus Versehen einem fremden Mann meinen Kaffee über sein Hemd geschüttet."

,,Oh nein, der Arme!" Bestürzt sah sie mich an.
,,Was heißt hier 'der Arme'?!" Ich schnaubte. ,,Er hätte genau so gut aufpassen können, wohin er läuft! Außerdem war ich in Eile.", fügte ich maulend hinzu. ,,Und er hat sich dermaßen daneben benommen - das glaubst du mir nicht..."
Emily überhörte mich einfach und schaute verträumt aus dem Fenster. ,,Sah er den wenigstens gut aus? Bestimmt sah er gut aus.", beantwortete sie ihre Frage selbst.

Ich verdrehte die Augen und nahm einen großen Schluck des Kaffees. Manchmal war Emily einfach eine zu große Träumerin.

,,Mach, was du willst. Ich gehe jetzt erst Mal arbeiten." Mit diesen Worten lief ich zurück zu meinem Schreibtisch und setzte mich hinter den Computerbildschirm.

Kopfschüttelnd setzte auch Emily sich an ihren Schreibtisch, der fast am anderen Ende des Raumes stand, was manchmal wirklich gut war, manchmal aber auch so langweilig, dass ich selbst versucht war, zu ihr hinüber zu laufen.

Das sie mir die ganze Zeit merkwürdige Blicke zuwarten und dabei wahrscheinlich an den Kaffeetypen dachte, ignorierte ich gekonnt. Emily schien sich nicht dafür zu interessieren, dass ich einen Freund hatte und verlobt war.

Obwohl der Typ ja auch nicht schlecht aussah...

Halt, Stopp! Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte Josh und war auch glücklich mit ihm, also sollte ich aufhören, an einen anderen zu denken.

,,Entschuldigen Sie, sind Sie Miss Whiteread?", ertönte plötzlich eine fremde Männerstimme.
Verwundert hob ich den Kopf und betrachtete den Mann vor mir genauer. Er hatte die fünfzig bestimmt schon längst überschritten, er näherte sich vielleicht sogar schon der sechzig. Das graue Haar hing ihm leblos auf dem Kopf und die Falten in seinem Gesicht trugen ebenfalls nicht gerade dazu bei, dass er jünger zu sein schien. Er hatte graue Augen, die das einzige lebhafte in seinem Gesicht zu sein schienen, denn sie blickten sich wachsam um und schienen jedes Detail erfassen zu können. Obwohl er schon älter zu sein schien, war er fast noch so groß wie ich, was etwas heißen sollte, denn ich war nicht unbedingt die kleinste.

,,Ja, was gibt es denn?" Neugierig lehnte ich mich vor und betrachtete den schwarzen Anzug, den er trug und das weiße Hemd, auf dem kein einziger Fleck zu sehen war. In seiner linken Hand befand sich eine dunkelbraune, abgewetzte Aktentasche, die er mit seinen faltigen Händen festhielt.

,,Sind Sie wirklich June Whiteread?" Der Mann sah mich misstrauisch an.
,,Wer soll ich denn sonst sein?" Stirnrunzelnd beobachtete ich, wie der Mann sich räusperte und seine Schultern sich automatisch nach oben bogen. ,,Ich muss mit ihnen sprechen, Miss Whiteread."

,,Worum geht es denn?" Inzwischen war ich ziemlich gespannt, wieso ein fremder Mann in mein Büro spaziert kam und unbedingt nur mir reden wollte. Aus dem Augenwinkel konnte ich Emily sehen, die so tat, als würde sie arbeiten, dabei aber immer wieder heimliche Blicke in meine Richtung zu werfen schien.

,,Das möchte ich Ihnen dann sagen. Am besten, wenn wir alleine sind."
Ich hob eine Augenbraue und seufzte. Anscheinend war es ihm wirklich wichtig.

,,Jetzt habe ich keine Zeit, aber in meiner Mittagspause-"
Der Mann unterbrach mich. ,,In Ordnung, dann treffen wir uns unten im Foyer. Bis dann, Miss Whiteread." Er drehte sich um und lief zügig zu dem Fahrstuhl, stieg ein und war kurz darauf aus meinem Blickfeld verschwunden.

Ein merkwürdiger Kauz.

Kopfschüttelnd wandte ich meinen Blick wieder dem Computer zu.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 10, 2019 ⏰

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