Oh Gott. Mum ist verrückt geworden. Nicht wie sonst, nicht wie normal Mum-verrückt. Normal Mum-verrückt geht so: Mum sagt, „Lasst uns zusammen diese tolle glutenfreie Diät machen, von der ich in der Daily Mail gelesen habe!", und kauft drei glutenfreie Brote, die so widerlich schmecken, dass sich uns im Mund alles zusammenzieht. Die Familie tritt in einen Hungerstreik, Mum versteckt ihr Sandwich heimlich im Blumenbeet, und eine Woche später sind wir nicht mehr glutenfrei. Das ist normal Mum-verrückt. Aber diesmal ist es ernst. Sie steht am Schlafzimmerfenster, das auf die Rosestreet hinausgeht, so heißt die Straße in der wir wohnen. Wobei „sie steht" viel zu normal klingt. Und was sie tut, ist definitiv nicht normal. Sie lehnt sich bebend aus dem Fenster und hat einen irren Gesichtsausdruck in den Augen. Vor ihr auf dem Fensterbrett balanciert der Computer von meinem Bruder Arian, der sich in einem gefährlichen Winkel dem Abgrund entgegenneigt. Er kann jeden Moment in die Tiefe stürzen. Ein siebenhundert Dollar teurer Computer. Ist ihr das klar? Siebenhundert Dollar! Ständig hält sie uns Vorträge darüber, dass wir keinen blassen Schimmer haben davon hätten, was das Leben heutzutage eigentlich kostet, und sagt solche Sachen wie „ Habt ihr überhaupt eine Ahnung wie hart es ist, zehn Dollar zu verdienen?" oder „ Ihr würdet nicht so verschwenderisch mit Strom umgehen, wenn ihr selbst dafür zahlen müsstet". Tja, wie stehts damit,siebenhundert Dollar zu verdienen und sie dann freiwillig-und buchstäblich-aus dem Fenster zu werfen? Unter uns rennt Arian aufgelöst auf dem Rasen vor der Villa hin und her, rauft sich die Haare und redet verzweifelt auf Mum ein. „ Mum." Seine Stimme überschlägt sich vor Entsetzen. „Mum das ist mein Computer." „Natürlich ist das dein Computer!", schreit Mum hysterisch. „Denkst du vielleicht ich wüsste das nicht?" „Mum bitte lass uns darüber reden, ja?" „Ich habe versucht, darüber zu reden!", gibt Mum aufgebracht zurück. „Ich habe es auf die nette Tour versucht, mit vernünftigen Argumenten, mit Bitten und Betteln,mit Bestechung...Ich habe alles versucht! ALLES Arian!". Aber ich brauche meinen Computer!". „Nein du brauchst deinen Computer nicht!", kreischte Mum so laut, dass ich zusammenzucke. Mittlerweile stehen die Woods, unsere Nachbarn,vor der Tür und starten zu uns rüber. „Neeeiiin!", schreit ihr dreizehnjähriger Sohn Jayden, als er sieht, was Mum vorhat. „Nicht,Mrs. Blood!". Er kommt über die Straße in unsere Vorgarten gerannt und schaut gemeinsam mit Arian zu ihr hoch. Jayden und Arian treffen sich manchmal online, um Apex Legends zu spielen,wenn Arian sich gnädigerweise dazu herablässt, weil er gerade niemanden anderes zum Zocken hat. Jayden sieht sogar noch panischer aus als mein Bruder. „Bitte tun sie das nicht, Mrs. Blood", ruft er mit zitternder Stimme. „Auf dem Computer sind alle Game-Kommentare von Frank drauf. Die sind echt witzig". Er sieht Arian an. „Danke", murmelt Arian. „Deine Mutter ist wie...die Goddes Warrior im siebten Level". „Ich bin was?", will Mum wissen. „ Das war ein Kompliment", zischt Arian und verdreht die Augen. „Was dir klar wäre, wenn du schonmal gespielt hättest. Im achten Level",korrigierte er Jayden. „Ach ja stimmt", beeilt sich Jayden zu sagen. „Im achten". „Du kannst dich ja schon garnicht mehr in deiner Muttersprache unterhalten!", flippt Mum aus. „ Das echte Leben besteht nicht aus einer Reihe von Leveln!". „Mum bitte", ruft Arian. „Ich mache alles was du willst. Ich räume den Geschirrspüler ein,rufe jeden Abend Granny an. Ich...". Er überlegt verzweifelt. „Ich lese tauben Menschen vor". Er will tauben Menschen vorlesen?! Hört er sich überhaupt selbst reden? „Du willst tauben Menschen vorlesen?", explodiert Mum. „Tauben Menschen? Wenn hier irgendwas verdammt nochmal taub ist,dann bist du das!
Nie hörst du, was ich dir sage-ständig hast du diese elenden Stöpsel in den..."
„Amy!"
Dad greift in die hitzige Debatte ein, die mittlerweile noch mehr Nachbarn aus ihren Villen gelockt hat. Wir sind besser als jede Reality-Show. „Amy!", versuchte es Dad noch einmal. „Lass mich das Regeln, James", sagt Mum warnend, und ich sehe, wie Dad schluckt. Mein Vater ist groß,sieht aus wie einen Auto-Werbespott entstiegen und macht den Eindruck, als hätte er das Sagen, aber im Grunde seines Herzens ist er kein Alphatier. Nein, das ist gemein. Ich glaube, dass er in ganz vielen Dingen ein Alphatier ist. Nur ist Mum eben ein nochmal größeres. Sie ist durchsetzungsstark, dominant, hübsch und dominant.
Habe ich gerade zweimal dominant gesagt? Naja zieht eure eigenen Schlüsse draus.
„Ich weiß, dass du wütend bist,Darling", sagt Dad. „Aber findest du nicht das du ein bisschen übertreibst?". „Ich übertreibe es? Er ist derjenige der es übertreibt! Er ist süchtig,James!". „Ich bin nicht süchtig!",protestiert Arian. „Ich meinte ja nur..."
„Was?". Mum funkelt Dad böse an. „Wenn du ihn genau hier runterwirfst, triffst du möglicherweise den Wagen". Der Gedanke lässt Dad sichtlich zusammenzucken. „Könntest du vielleicht etwas weiter nach links zielen?".
„Was kümmert mich der Wagen! Hier geht es darum, aus Liebe drastische Maßnahmen zu ergreifen!". Sie kippt den Computer in eine noch gefährlichere Schräglage und wir-inklusive der zuschauenden Nachbarn- keuchen kollektiv auf.
„Liebe?",ruft Arian zu Mum hoch. „Wenn du mich wirklich liebst, würdest du nicht meinen Computer zerstören!". „Tja, und wenn du mich wirklich liebst Arian, würdest du nicht nachts um halb zwei aufstehen, um online mit irgendwelchen Leuten aus Korea zu spielen". „Du bist um zwei Uhr nachts aufgestanden?",fragt Jayden mit großen Augen. „Um zu trainieren", antwortet er achselzuckend.
„Ich habe bald ein Turnier und du hast dich immer gesagt, dass ich mir im Leben ein Ziel setzen soll! Und genau das hab ich!
„Apex Legends zu spielen ist kein Ziel!Oh Gott...". Sie lehnt die Stirn gegen den Computer. „Was habe ich nur falsch gemacht?".
„Hey, Zara", ruft Jayden, als er mich entdeckt. „Wie gehts so?". Ich weiche erschrocken zurück. Ich hatte gehofft das niemand mich bemerken würde. „Da ist ja unser Filmstar!", witzelt Jaydens Dad Rob. So nett er mich schon ewig, obwohl Mum und Dad jeweils getrennt zu ihm rüber sind und ihn gebeten haben aufzuhören. Er hält es für witzig und glaubt, meine Eltern haben keinen Sinn für Humor.
(Mir ist aufgefallen, dass man „Sinn für Humor haben" mit „ein unsensibler Vollidiot" vergleichen kann). „Wach auf Arian!". Ihre Stimme halt schrill und fast unheimlich durch das Viertel. „ Du wirst nicht an internationalen Turnieren teilnehmen! Du wirst damit kein Geld verdienen! Und du wirst deinen Lebensunterhalt nicht mit Computerspielen verdienen! AUF GAR KEINEN FALL!!!
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Schau mir in die Augen, Zara
Random„Zara fürchtet sich vor der Welt-bis ihr ein besonderer Junge zeigt, was das Leben zu bieten hat" Zara wächst in einer liebevollen,verrückten, leicht durchgeknallten Familie auf: Ihr Bruder ist ein Computernerd,ihre Mutter ist eine hysterische Gesu...