Viktor hatte sich, nachdem er den neugierigen Blick des jungen Mannes auf sich gespürt hatte, mit einem feinen Schmunzeln eine Weile von ihm bewundern lassen, bevor er ihm das Gesicht zuwandte und ihn direkt ansah.
Er lachte leise, als der blonde Jugendliche erschrocken den Kopf senkte und sich offenbar gerade selbst zur Schnecke machte. Durch die viel zu laut eingestellte Musik konnte der Adlige die Worte allerdings nicht hören, die der Junge zu sich sprach. Die guten Vampirohren hatten gegen Techno keine Chance.
Viktor wollte jedoch nicht riskieren, dass der junge Mann ihn weiter beobachtete. Er hatte den leisen Verdacht, dass der Junge spürte, dass sie einander bereits einmal begegnet waren. Es war noch nicht lange her und das Gehirn eines Menschen funktionierte wie ein Schwamm. Alles, was man einmal erlebt hatte, blieb darin gespeichert. Auch wenn man sich im ersten Moment nicht daran erinnern konnte. Oder ein Vampir einem die Erinnerung an etwas genommen hatte. [*]
Während der Jugendliche noch immer ungläubig auf sich selbst einredete, bewegte der Adlige sich von seinem Platz fort. Vielleicht war es an der Zeit, die Party zu verlassen. Niemand von den jungen Leuten, mit denen er gearbeitet hatte, hatte wirklich Notiz von ihm genommen und er glaubte, seine höfliche Pflicht getan zu haben.
Langsam ging er durch die Feiernden, in der Absicht, sich für den Heimweg noch etwas vom Buffet zu holen. Er würde zu Fuß nach Hause gehen. Es war nicht so weit und die Nacht war angenehm.
Im Hintergrund bemerkte er jedoch wieder den blonden jungen Mann, der trotz seiner dunklen Kleidung so hell und filigran wirkte, dass der Drang, etwas näher an ihn heranzukommen, wieder in dem Vampir aufkam. Wie bereits einige Wochen zuvor. Er wusste nicht genau, warum das so war. War es der Geruch des Jungen? Das Blut, von dem der Adlige wusste, wie süß es war?
Viktor beobachtete, unbemerkt in den Schatten, eine Konversation zwischen dem Jugendlichen und einer aufgedonnert wirkenden jungen Frau, die ihn herbe beleidigte.
»Luca«, flüsterte der Vampir versonnen und schmunzelte. Er bewegte sich durch die Leute und in der Sekunde, als der junge Mann einen Schritt machte und nicht auf den Weg achtete, stellte er sich vor ihn. Sie prallten gegeneinander und als der blonde Jugendliche den Kopf hob, stammelte er eine Entschuldigung. Die feine Röte auf seinen Wangen verstärkte seinen pudrigen und süßen Geruch und der Vampir musste sich schwer zusammenreißen, sich nicht über die Lippen zu lecken.
Bei jedem anderen Menschen, der so köstlich duftete, würde der Jäger in Viktor wach werden, er würde ihn in die Schatten locken und sein Blut nehmen, vielleicht sogar bis zum letzten Tropfen. Zu seiner Schande jedoch musste der Adlige sich eingestehen, dass es nicht das war, was er von dem Jungen wollte. Etwas anderes, noch triebhafteres als Hunger, war da in ihm. Er wollte den jungen Mann besitzen, ihn festhalten und sein Blut zum Kochen bringen.
»Es würde zumindest Verletzungen vermeiden«, entgegnete Viktor sanft und machte einen Schritt zurück. »Du hast dir nichts getan?«
»N-Nein. Sorry. Alles noch dran. So schlimm war es ja nicht. Ich bin dir nicht auf die Füße getreten? Keine geprellten Rippen?«
Der Adlige lachte leise. »Nein. Allerdings finde ich, du schuldest mir ein Bier. Weil du in mich reingerannt bist.« Er zwinkerte und konnte zu seiner diebischen Freude feststellen, dass die blasse Haut seines Gegenübers rosa wurde.
»Oh ... klar ... äh. Ich ... ich wollte eigentlich abhauen. Aber vorher was essen. Wir könnten einander Gesellschaft leisten? Ist doch langweilig hier.«
Viktor schob sich eine Strähne seiner Haare hinter das Ohr und nickte. »Hört sich gut an.«
»Mein Kumpel wollte mir eigentlich was vom Grill holen, aber ich glaube, der ist mal wieder irgendwo versackt. Setzen wir uns da hinten hin und essen ein Würstchen?«

DU LIEST GERADE
VAMPIRES Book of Eternity I. - White Bird
Vampiro- derzeit pausiert- Graf Viktor Draganesti, durch die Jahre seiner Existenz überdrüssig geworden, lebt so vor sich hin, pendelt zwischen Rumänien und England hin und her und vertreibt sich die Zeit mit Abendgesellschaften, Klavierkonzerten und Party...