Viktor lag noch lange wach, nachdem Luca bereits, mit dem Kopf gegen die Seite des Vampirs gedrängt, eingeschlafen war. Er streichelte den Rücken des Jungen mit einem Finger und fragte sich, ob die Entscheidung, die Nacht mit ihm zu verbringen, tatsächlich so eine gute Idee gewesen war. Luca hatte sich voll und ganz auf ihn eingelassen, hatte Dinge mit sich anstellen lassen, die nur jemand zuließ, der seinem Partner zu hundert Prozent vertraute.
Hatte Viktor ihm am Ende sogar damit geschadet, dass er so egoistisch gewesen war, ihn für sich haben zu wollen? Denn er wollte dem Jugendlichen nicht das Herz brechen, sollte der sich wider Erwarten in ihn verguckt haben.
Der Vampir wusste, dass Menschen in der Lage waren, innerhalb nur weniger Minuten oder Stunden zu wissen, ob sie jemanden lieben konnten und diese Person in ihrem Leben haben wollten. Womöglich war es besser, diese kleine Liaison zu unterbinden, bevor sie beginnen konnte. Wer war er, einen unschuldigen Jungen mit in seine Welt zu ziehen und ihn den Gefahren auszusetzen, die es mit sich brachte, einem Unsterblichen nahezustehen?
Obwohl man bei einem mondänen Milliardär und angesehenen Künstler der klassischen Musikszene nicht an Gefahr denken würde, war sie da. Immer und überall in den Schatten lauerte sie, ob durch Viktor selbst oder durch die, denen er an den Karren gefahren war.
In den Kreisen derer, die die Gemeinschaft der Vampire kontrollieren sollten, hatte seine Meinung Gewicht. Und obwohl die Clans vorgaben, in friedlicher Koexistenz mit den Menschen leben zu wollen, zählte das Leben eines einzelnen für diese Blutsauger wenig. Der Schutz der Sterblichen diente einzig und allein der Geheimhaltung der Vampire, nachdem man sie über Jahrhunderte hinweg wie Vieh gejagt und abgeschlachtet hatte.
Auch Viktor wusste, wie belastend und nervenaufreibend es sein konnte, vor einem Jäger auf der Flucht zu sein. Und er kannte die Methoden, die sich in der Neuzeit nur durch die Verwendung modernerer Waffen geändert hatten. Diese Leute schreckten nicht davor zurück, einen Menschen zu töten, der dem Vampir nahestand, wenn sie damit dem Ziel, den Blutsauger zu vernichten, einen Schritt näher kommen konnten.
Nicht zu vergessen die, die aufgrund einer Entscheidung Viktors durch die Clans bestraft worden waren und etwas oder jemanden verloren hatten. Die Ältesten, die Unsterblichen, die weit über fünfhundert Jahre alt waren, machten keine halben Sachen, wenn es um Verstöße gegen die von ihnen aufgestellten Regeln ging. Sterbliche, die von der Existenz der Vampire wussten, wurden nach diesen entweder selbst verwandelt oder rigoros getötet.
Der Adlige blickte auf den Jungen hinunter, dessen gerötete Wangen sogar im Schummerlicht des Mondes zu sehen waren, und lächelte leicht.
Nein, vermutlich war es besser, zu gehen und ihn in dem Glauben zu lassen, eine schöne Nacht mit einem einfachen Studenten verbracht zu haben.
Lautlos seufzend schob Viktor Luca etwas von sich und zog die Decke über seine nackten Schultern. Der Jugendliche brummte leise und rollte sich etwas mehr zusammen.
Ohne das Licht im Zimmer einzuschalten, erhob der Vampir sich und schlüpfte geräuschlos in seine Kleider. Bevor er jedoch die Klinke hinunterdrücken konnte, um den Raum zu verlassen, hielt er inne und blickte erneut auf Luca.
Es wäre unfair, ohne ein Wort zu gehen. Viktor fuhr sich über die Taschen seiner Hose und lächelte leicht, als er ein Kärtchen aus der Jeans zog. Wie wunderbar doch der Zufall spielte, dass er sich erst gestern Musterbeispiele für neue Visitenkarten angesehen hatte.
Er fand einen Kugelschreiber auf dem Nachtschrank und schrieb eine Nachricht zum Abschied, die er an die Lampe lehnte.
»Ich danke dir, amic«, flüsterte der Vampir fast lautlos, drückte seine Lippen sanft auf Lucas Stirn und verließ die hübsche Stadtvilla, ohne dass ihn jemand bemerkte.
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VAMPIRES Book of Eternity I. - White Bird
Vampir- derzeit pausiert- Graf Viktor Draganesti, durch die Jahre seiner Existenz überdrüssig geworden, lebt so vor sich hin, pendelt zwischen Rumänien und England hin und her und vertreibt sich die Zeit mit Abendgesellschaften, Klavierkonzerten und Party...