Sebastian, Graf Viktors Butler, war schon lange auf den Beinen, als sein Herr schließlich seine Gemächer verließ und sich, nur gekleidet in ein zerknittertes Hemd und eine Pyjamahose, an den Küchentisch setzte.
»Guten Morgen, mein Herr. Ich wollte Euch gerade das Frühstück im Esszimmer auftragen ...«
»Spare es dir, bitte. Ich möchte nichts. Nur einen starken Tee. Oder nein, gib mir Kaffee.«
Der Diener ließ seinen Blick kurz über den Grafen wandern und servierte ihm dann das Gewünschte.
»Ihr kamt spät zurück. Habt Ihr Euch amüsiert?«
Der Vampir strich sich eine Strähne seiner langen und ungekämmten Haare aus dem Gesicht und rieb sich über die Bartstoppeln an seinen Wangen.
»Könnte man so sagen. Die Party war natürlich reine Zeitverschwendung ...«
»Aber es war vier Uhr morgens, als ich Euren Schlüssel in der Tür hören konnte ...«
»Ja, ja ... ich weiß. Ich ... hatte ein kleines Stelldichein.«
Sebastian machte ein überraschtes Gesicht. Sein Herr war überaus anziehend für die Damenwelt, was nicht nur an seinem prall gefüllten Bankkonto lag, denn er war ungemein attraktiv. Doch niemand in den feinen Kreisen Londons wusste, dass Graf Viktor Männer bevorzugte und er hielt sich in diesen Angelegenheiten auch stets sehr bedeckt. Obwohl die Gesellschaft heute weiter entwickelt war und ein Homosexueller nicht mehr gleich Verfolgung und Tod zu fürchten hatte, lagen diese finsteren Zeiten und die vielen, jahrzehntelang mit sich herumgetragenen Schuldgefühle deswegen noch immer schwer auf den Schultern des Adligen. Außerdem reichte es ihm bereits aus, dass manche Damen der Gesellschaft, die zu viel Zeit hatten, darüber munkelten, weil Viktor noch immer ledig war. Als wäre sein Liebesleben interessanter und er für die Leute kein junger Mensch von gerade einmal Ende zwanzig. Wer wollte denn in diesem Alter heutzutage heiraten?
»Ihr hattet ein Date? Mit einem Mann?«
Der Vampir zog eine seiner dunklen Augenbrauen hoch und blickte seinen Diener missmutig an. »So nennt man das wohl heute, ja. Doch es ging etwas über das übliche Kaffeetrinken hinaus, wenn du verstehst.«
»Oh, ich verstehe sehr gut. Doch warum seht Ihr dann aus, als läge Euch etwas quer im Hals? Solltet Ihr nicht ... entspannter sein?«
»Du bist ein Ferkel«, knurrte Viktor dunkel, konnte ein vages Schmunzeln aber nicht unterdrücken. »Vermutlich trifft mich gerade das, wovon alle reden, die einen ... wie sagt man? ... One-Night-Stand hatten. Absolute Selbstverachtung.«
»Weil Ihr Euch amüsiert habt?«
»Weil ich einem Jungen, der gerade mit der Schule fertig geworden ist, die Unschuld genommen habe ...«, Viktor trank die Kaffeetasse aus und hielt sie Sebastian zum Nachschenken hin, »Erinnerst du dich an diese langweilige Party im Mai? Bei diesem ... Himmel, wie hieß er noch ... egal.«
Sebastian nickte.
»Dieser Junge. Luca. Ich habe ihn gestern wiedergetroffen.«
»Ihr habt ihm damals die Erinnerung genommen ...«
»Was es umso schlimmer macht. Ich bin ein Betrüger. In jeder Hinsicht. Ich habe ihm gestern nicht einmal meinen richtigen Namen genannt.«
Ohne auf den mürrischen Gesichtsausdruck seines Herrn zu achten, stellte der Butler einen Teller mit belegten Broten vor dem Vampir ab, während er ihn fragend ansah.
»Habt Ihr seine Erinnerungen dieses Mal auch bereinigt?«
»Nein. Das wäre schäbig gewesen. Sein Körper wird sehr deutlich spüren, was in der Nacht geschehen ist und ... nein. Dafür war das, was wir hatten, zu ... hmm, na ja ... «, der Adlige schmunzelte.
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VAMPIRES Book of Eternity I. - White Bird
Vampire- derzeit pausiert- Graf Viktor Draganesti, durch die Jahre seiner Existenz überdrüssig geworden, lebt so vor sich hin, pendelt zwischen Rumänien und England hin und her und vertreibt sich die Zeit mit Abendgesellschaften, Klavierkonzerten und Party...