27. Wiedersehensfreude

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Angelehnt an den Holzzaun schauen Juli und ich Flashlight dabei zu, wie er in der Ecke seines kleinen umzäunten Stückchens Wiese steht und die anderen Pferde in der Ferne beobachtet. Er wirkt unruhig und bläht nervös seine Nüstern auf. Er tut mir leid.
„Könnten wir ihn nicht wenigstens wieder hier weg bringen? Er mag es so dicht bei den anderen nicht." Ich stütze meinen Kopf auf meinem Arm ab und mustere das Pferd besorgt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Juli den Kopf schüttelt.
„Wo soll er denn hin? Zurück in seine Box? Er muss raus, das ist alles an Freiheit, was er hat. Die will ich ihm nicht auch noch nehmen." Sie wirkt erschöpft. Ich bin es zugegeben auch etwas. Die Hitze ist die letzten Stunden zu einer drückenden Schwüle geworden, die das ganze Dorf einzuschläfern scheint. Die Vögel singen nicht mehr, die Grillen haben auch aufgehört zu zirpen und die Pferde weiter hinten stehen nur faul unter den Bäumen herum. Wolf hat sich in den Schatten des Stallgebäudes verzogen und liegt ausgestreckt auf dem Boden im Staub.
„Und hinten die Weide? Auf der er vorher auch immer stand?" Ich lege den schwarzen Reithelm, den ich noch in der Hand halte neben meine Tasche und stütze mich dann wieder auf den Balken des Zauns.
Auf Melody reiten war nicht angenehm gewesen, weder für mich, noch das Pony. Nach einer halben Stunde hatte Juli uns dann auch schon erlöst. Ihrer Meinung nach, wäre der heutige Tag für nichts mehr zu gebrauchen. Bei dem Wetter gut verständlich. Am liebsten würde ich mich jetzt in einen Kellerraum verkriechen und die Füße in kaltes Wasser halten. Jetzt bei so warmem Wetter erkenne ich die Nachteile der schwarzen gummiartigen Stiefel.
„Vater will es nicht. Ich weiß nicht, ob er vielleicht denkt, die Täter könnten immer noch wieder kommen und Flashlight diesmal wirklich schaden, aber ich will keinen Streit mit ihm anfangen. Am Anfang wollte ich ihn ja auch erstmal hier behalten, aber langsam fände ich es auch besser, wenn er wieder zu dir könnte. Dann würde er bestimmt auch wieder ein bisschen mehr fressen. Hier hinten nimmt der keinen Bissen auf." Sie seufzt und beobachtet Flashlight nachdenklich.
Bei dir. Ich muss kurz grinsen, als sie das sagt.
„Die nächsten Tage werden wir unseren Alltag dreiteilen. Eine Sparte für dich, um das Reiten zu lernen, eine für Flashlight und eine für Hausaufgaben und Schule", wechselt Juli das Thema und kommt zum Geschäftlichen. Ich lasse meinen Blick über die Landschaft schweifen und schaue dann runter zu meiner Tasche. Aus der einen Ecke lugt ein Zettel heraus. „Reiten geht vergleichsweise schnell und einfach, wenn der Schüler erstmal oben sitzt, deswegen sollte das kein Problem sein. Flashlight hingegen wird viel Zeit beanspruchen. Ich will dich zumindest noch ans Ansaugen kriegen bis Ende nächster Woche. Diese Woche wäre mir aber lieber, dann kann ich mir vielleicht das Turnierwochenende freischaufeln, um Kilian zu begleiten..." Ich bücke mich und ziehe die zwei DIN A4- Seiten aus dem Innenfach. Die Ecken sind leicht zerknickt.
„Hier", unterbreche ich Juli und halte ihr die ausgedruckten Seiten hin. „Das habe ich im Internet gefunden. Ich glaube, dass könnte Flashlights Problem sein." Juli wirkt skeptisch, nimmt die Blätter trotzdem ohne Kommentar an sich. Sie überfliegt die erste Seite des Blogeintrags, den ich heute direkt nach der Schule ausgedruckt habe, und legt die Stirn in Falten.
„Das könnte passen", murmelt sie. „Aber das hatten wir ja auch schon vermutet." Sie will mir die Seiten zurückgeben. Ich schüttle den Kopf.
„Lies weiter", fordere ich sie auf und beobachte genau jede Bewegung in ihrem Gesicht. Sie entdeckt nun auch die zweite Seite und beginnt auch diese zu lesen. Die Falten vertiefen sich, aber sie liest aufmerksam weiter.
„Und selbst wenn genau das hier sein Problem sein sollte, was erhoffst du dir davon?" Sie deutet auf das Logo des Blogs, was groß neben der Überschrift prangt.
„Er kann das doch bestimmt lernen. Das mit der Körpersprache, meine ich. Du hast es ja schließlich auch gelernt. Und ich, ich muss das sowieso noch lernen. Man könnte das ja verbinden." Ich versuche zuversichtlich zu klingen. Als wäre es ganz einfach und der letzte Satz würde nicht wie ein dunkler Schatten über uns hängen. Ich weiß, dass Juli ihn auch gelesen hat.
„So einfach ist das nicht. Er ist ausgewachsen und Tiere lernen nun mal schneller, wenn sie jung sind. Vor allem diese sozialen Sachen. Dafür sind die Mütter und Tanten innerhalb der Herde zuständig." Sie faltet die gedruckten Seiten und steckt sie in die hintere Hosentasche ihrer komischen Jogginghose. Oder, wie sie es nennt, Reithose. Für mich ist es trotzdem nur ein feineres Wort für Jogginghose.
„Aber Pferde bekommen doch auch als ausgewachsene Tiere was beigebracht! Du kannst mir nicht erzählen, dass Abacano diese komischen Tricks schon als Fohlen konnte." Juli verdreht die Augen und schüttelt den Kopf.
„Natürlich nicht. Aber es geht hier um überlebenswichtige Sozialkompetenzen und nicht um verdammte Dressurhilfen." Sie stößt sich vom Zaun ab und wandert an mir vorbei zurück Richtung Wohnhaus und Kiesplatz. Wolf hebt den Kopf und springt auf, um seinem Frauchen zu folgen. Anscheinend ist die Diskussion hier für sie beendet.
„Es ist doch egal, was dieser Blog über die Wahrscheinlichkeiten einer Heilung schreibt. Wir sollten es ihm zuliebe doch wenigstens probieren. Und danach nerve ich dich auch nie wieder mit dem Thema, versprochen!" Ich hebe meine Tasche und den Reithelm vom Boden auf und laufe Juliane nach. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nicht zu betteln, schon gar nicht Juli anzubetteln, aber jetzt lässt es sich nicht mehr rückgängig machen. Hoffentlich hat sie das nicht allzu sehr mitbekommen.
Sie lacht bitter auf, als ich ihr nachlaufe.
„Wenn du von Heilung redest, hast du deine Hoffnungen aber sehr hoch gesteckt. Wir können froh sein, wenn es wir ihn zumindest soweit bekommen, dass er im Stall keine Zicken mehr macht. Bei seinem jetzigen Zustand wird es nur zu einer Besserung des Problems kommen, aber nie zu einer vollständigen Heilung." Sie kickt einen Stein vor sich her und Wolf springt hinterher. Allerdings verliert er dessen Spur auf dem Kiesweg.
Ich schultere meine Tasche und spiele etwas nervös mit dem Verschluss des Helmes.
„Aber wir versuchen es?", frage ich nach und weiche einem direkten Blickkontakt aus. Von Juli kommt lange keine Antwort und Seite an Seite laufen wir in der schwülen Sommerhitze am Stallgebäude vorbei auf den vorderen Platz.
Jemand hat ein Auto ziemlich schräg unter der Eiche geparkt und einen Pferdehänger angehängt. Scheriff liegt im Schatten des Wohnhauses und hebt kurz den Kopf, als wir in seine Sichtweite kommen. Juli sagt immer noch nichts. Sie lächelt kurz und hebt die Hand, als Aaron mit einer Schubkarre aus dem Pensionsstall kommt und als Gruß zurück nickt. Aus der Entfernung bilde ich mir ein, ihn auch grinsen zu sehen.
Sie scheint meiner Frage immer noch auszuweichen.
„Juli?" Langsam mache ich mir Sorgen, dass sie es nicht mal versuchen möchte.
„Warte mal einen Moment, Brook." Juli hat das grüne Stalltor am Gebäudearm entdeckt, was, anders wie vorhin, weit offen steht. Von drinnen dringen Stimmen nach draußen, die sich laut und lachend unterhalten.
Juli wirft einen Blick zurück zum Auto und wirkt angespannt. Vorsichtig nähert sie sich dem offenen Tor. Kurz bevor sie den Stall betritt, schaut sie erneut argwöhnisch zum schiefgeparkten Auto, sodass ich die Falte zwischen ihren Augenbrauen deutlich sehen kann. Irgendetwas macht sie misstrauisch.
„Ist was?" Juli wirft mir einen kurzen Blick über die Schulter zu und beißt sich auf die Unterlippe. Antworten tut sie mir nicht. Langsam betritt sie den Stall und ich folge ihr.
Als wir sehen, wem die Stimmen gehören, scheint plötzlich alle Sorgen von Juli abzufallen, denn sie wirkt sofort viel entspannter.
In der Stallgasse stehen Kilian und Sebastian, beide mit einem breiten Grinsen im Gesicht und lachen über irgendwas. Die kleine braune Hündin Mrs. Shepherd, die ich letztes Mal bei Erika und Sebastian kennengelernt habe, hüpft uns bellend entgegen und wirft sich gegen Julis Beine, die sie kaum beachtet. Deswegen versucht der Hund sofort danach, an mir hochzuspringen. Ich bücke mich, um den Hund wieder runterzuschieben und streichle ihm dabei kurz über den Rücken. Mrs. Shepherd wedelt mit dem Schwanz, winselt leise und trottet dann zu Wolf, der sich bereits an Kilians Beine drückt, um von ihm gestreichelt zu werden. Als sich die kleine Hündin ihm jedoch nähert, macht er unsicher einen Schritt zurück und geht zurück zu Juli. Kilian lacht, dann treffen sich unsere Blicke. Er lächelt mich an und ich lächle kurz zurück. Dann schaue ich schnell auf den Boden.
„Kilian, bist du gefahren, oder warum steht der Wagen zu schlecht geparkt unterm Baum?" Sie lacht, als er ihr die Zunge raustreckt. „Was macht ihr denn schon wieder hier?"
Sebastian lächelt breit und tauscht verschwörerische Blicke mit Kilian, der auch über das ganze Gesicht grinst.
„Wir haben dir jemanden mitgebracht", meint ihr Großvater und deutet mit einer Kopfbewegung de Stallgasse herunter. In seiner Hand hält er ein dunkelblaues Halfter. Juli schiebt sich an ihrem Bruder vorbei und scannt mit ihrem Blick die Boxen. Dann quietscht sie auf und läuft los.
„Was ist denn jetzt los?", frage ich lauter, als ich beabsichtigt hatte und Kilian winkt mich zu sich.
„Das ist los." Ich trete neben ihn und sehe, wie Juliane an einer der Boxen steht und den Hals eines großen dunkelbrauen Pferdes umklammert. Sie streichelt dem Tier über Hals und Kopf und drückt ihre Stirn gegen die des Pferdes. Das Pferd seinerseits drückt seine Nase gegen Julis T-Shirt, Schulter und versucht mit seinem Maul, Julis Haare durcheinander zu bringen. Als würden die beiden sich wie alte Freunde begrüßen.
Ich werfe kurz einen Blick rüber zu Kilian und sehe, dass er zufrieden lächelt. Auch Sebastian scheint zufrieden, doch irgendetwas in ihren Blicken wirkt auch schmerzlich.
Schniefend wendet sich Juli wieder uns zu und legt ihre Hand auf die Nase des Tieres.
„Wa- Wann wart ihr den bitte in der Klinik, ich meine- Warum..." Sie hat keine Chance auszusprechen, dafür ist sie viel zu aufgewühlt. Sie weint, aber ich bin mir sicher, vor Freude.
„Die Klinik hatte gestern Abend angerufen, dass alle Test durch waren und keine ihrer Vermutungen sich bestätigt hat. Deswegen sind wir heute losgefahren, als du noch in der Schule warst. Kilian hatte ich entschuldigt." Sebastian lächelt und nickt stolz, glücklich darüber, dass seine Überraschung gelungen ist.
„Du Arsch hast erzählt, du hättest einen Arzttermin!" Juli versucht empört zu klingen, aber sie kann nicht anders wie zu lachen. Sie drückt dem Pferd einen Kuss auf den weißen Fleck auf seiner Nase. „Gott sei Dank...", murmelt sie und kann sich immer noch nicht von dem Pferd losreißen. „Haben sie sonst noch etwas gesagt?"
„Nein, alles gut. Vorerst. Sollte uns nochmal etwas auffallen, sollen wir aber sofort anrufen und vorbeikommen", antwortet Kilian. Ich beginne mich wie ein Störenfried in diesem intimen Familienmoment zu fühlen.
„Wer ist das denn?", frage ich etwas dümmlich, um mich selbst irgendwie zu integrieren. Einfach zu verschwinden wäre jetzt keine Option, schließlich ist das mit Flashlight noch nicht geklärt.
„Das ist Ambra, das Pferd unserer Mutter. Sie ist schon etwas älter, deswegen muss man da ein bisschen genauer drauf achten, wenn sie krank wird." Wieder antwortet Kilian. Er schaut immer noch zu Juli und Ambra. Jetzt bemerke ich die grauen Haare ums Maul des dunkelbraunen Pferdes und die leichten grauen Strähnen in der geschnittenen schwarzen Mähne.
„Juli hängt sehr an dem Pferd, deswegen ging es ihr nicht so gut, als sie vor einigen Tagen in die Klinik musste", fügt Sebastian hinzu.
„Was hatte sie denn?" Kilian zuckt mit den Schultern.
„Anscheinend nichts. Eigentlich hat der Tierarzt nur eine Routineuntersuchung gemacht, aber dann schien ihm ihr Blut zu dünn und hat uns in die Klinik geschickt. Aber da hat sich keine seiner Vermutungen bestätigt." Er schaut noch einmal zu Juli und ruft dann leise nach Mrs. Shepherd. Er verlässt den Stall und Sebastian macht sich auf den Weg, das Halfter wegzubringen. Freundlicherweise nimmt er mir auf dem Weg den Reithelm ab, den ich immer noch in der Hand halte. Juli steht immer noch weinend vor Freude bei Ambra.
Unsicher folge ich Kilian. Schweigend laufen wir über den Platz aufs Wohnhaus zu.
„Wohnt eure Mutter auch hier?" Ich komme mir etwas komisch vor, das zu fragen. Aber als ich in der Gewitternacht der blonden Frau im Haus begegnet bin, hatte Juliane mich ja angefaucht, dass das nicht ihre Mutter sei. Und so viel mehr weibliche Personen im richtigen Alter kann dieses Haus ja nicht beherbergen.
„Nicht... Nicht mehr. Sie...", Kilian stockt kurz, beißt sich auf die Unterlippe, redet aber schließlich mit zusammengebissenen Zähnen weiter. „Sie ist vor vier Jahren gestorben." Kilian schluckt schwer und ich merke, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt, aber gleichzeitig eine Gänsehaut meinen Rücken runter jagt. So war das nicht geplant.
„Sorry, ich wollte nicht... Du hättest auch nicht, also..." Ich klemme meine Hände unter meinen Armen ein und atme geräuschvoll aus. Hab ich ihn mit dieser Frage zu sehr bedrängt? Oh, verdammt das wollte ich garantiert nicht mit meiner verdammten Neugierde erreichen. „Scheiße, tut mir leid, Kilian." Wir sind stehen geblieben und er lächelt mich schwer an.
„Du musst dich nicht entschuldigen, es sind inzwischen vier Jahre... Du hättest es eh irgendwann erfahren und ich dachte, wenn ich ehrlich bin, verstehst du es vielleicht besser." Ja, ich verstehe es viel besser. Diese Blondine aus dem ersten Stock muss also sowas wie die neue Freundin ihres Vaters sein, was Juli zumindest einen kleinen Grund für das abwertende Verhalten damals geben würde. Aber vor allem erklärt es die Sache mit Ambra. Das Pferd wird das letzte sein, was Juli mit ihrer Mutter verbindet. Und mit dem Reiten muss es dasselbe sein.
„Oh Gott, ich nehme auch jedes Fettnäpfchen mit, was eure Familie hat, oder?" Ich vergrabe mein Gesicht hinter meinen Händen, um mich vor der Welt zu verstecken, und höre, wie Kilian leise kichert.
„Du konntest es ja nicht wissen. Mir wäre das auch passiert, ganz bestimmt." Ich nehme die Hände wieder von den Augen und ringe mir ein Lächeln ab.
Mir fällt auf, wie verschieden er und Juli doch sind. Er gibt sich Mühe, dass ich mich nicht schlecht für ihn und meine eigene Dummheit fühle, während Juli wahrscheinlich wieder dafür gesorgt hätte, dass ich mich in Grund und Boden schäme.
Eine peinliche Stille entsteht zwischen uns und wir weichen unseren Blicken aus, unsicher was wir sagen wollen. Als Kilian Luft holt, um das Schweigen zu unterbrechen, hören wir eine fröhlich gepfiffene Melodie und Kilian klappt seinen Mund wieder zu. Sebastian ist aus dem Stall aufgetaucht und kommt auf uns zu. Mrs. Shepherd, die vorher noch in einem Beet herum geschnüffelt hat, hüpft auf den Rentner zu und läuft kläffend um seine Beine. Kilian schaut seinem Großvater entgegen.
„Willst du noch zum Essen bleiben, Brook? Es ist bestimmt gleich fertig. Heute gibt es Auflauf." Ich atme ruhig ein und aus, um die restliche Röte aus meinem Gesicht zu vertreiben und schüttle den Kopf.
„Danke, aber ich habe versprochen heute pünktlich wieder zu Hause zu sein." Sebastian nickt verständnisvoll und klopft Kilian auf die Schulter, sodass dieser leicht das Gesicht verzeiht und ich mir ein ehrliches Grinsen verkneifen muss.
„Aber du weißt, dass du jederzeit herzlich eingeladen bist. Du kannst immer nach dem Reiten zu uns rein kommen, es ist meist immer jemand da. Nicht wahr, Kilian?" Sebastian lächelt breit und schaut mit leuchtenden Augen zwischen seinem Enkel und mir hin und her.
„Ja, ähm, danke...", murmle ich unsicher, werde aber glücklicherweise von dem Nachrichtenton meines Handys abgelenkt.
Ich hole es aus einem der Innenfächer meiner Tasche und lasse den Sperrbildschirm aufleuchten. Eine Nachricht von meiner Mutter.
DENK DARAN, WEGEN DEN MEERSCHWEINCHEN ZU FRAGEN. KUSS, MAMA
Ich stöhne leise auf. Diese verdammten kleinen Nager hatte ich eigentlich verdrängt. Ich hatte nicht vor, die Familie meiner Schulfreunde darum anzubetteln, die zukünftigen Haustiere meiner Brüder aufzunehmen. Eigentlich hatte ich auch gehofft, Mama hätte es vergessen.
„Was ist? Stress mit der Familie?", fragt Kilian nach, als er meinen verkniffenen Gesichtsausdruck sieht, aber ich schüttle den Kopf.
„Meine Mutter hat mich nur eben darin erinnert, das wegen den Meerschweinchen zu klären, aber..." Ich lasse den Rest des Satzes in der Luft hängen.
„Aber was? Was ist denn mit Meerschweinchen?" Sebastian wirkt hochinteressiert. Ich seufze. Okay, wird schon schief gehen...
„Meine Brüder wollen sich Meerschweinchen anschaffen, aber meine Eltern weigern sich, dass die Jungs das Gehege in unseren Garten bauen. Deswegen hatten sie gestern die großartige Idee, ich soll mal hier nachfragen, ob ihr noch Platz für einen Meerschweinchenstall habt, aber ich habe denen schon gesagt, dass die sich keine zu großen Hoffnungen machen sollen, ich meine, ihr habt bestimmt genug zu tun und vom Platz her -" Sebastian klatscht freudestrahlend in die Hände und unterbricht mich.
„Das ist doch alles kein Problem! Ich mache das mit deinen Brüdern. Wir können gemeinsam einen Stall bauen, hinten neben unseren Hühnern."
„Hühner?" Ich bin zu überrumpelt, um Sebastians Worte wirklich zu verarbeiten. Eigentlich hatte ich schon mit einer freundlichen, aber konsequenten Absage gerechnet.
„Du kannst deinen Brüdern direkt sagen, dass wir morgen Nachmittag anfangen. Ich habe noch Drahtnetze vom Umbau des Hühnerstalls übrig, die können wir verwendet und zur Not fahre ich mit denen noch in den Baummarkt und wir holen uns schöne Holzlatten." Sebastian ist völlig außer sich vor Freude wegen dem kleinen Bauprojekt.
„Holzlatten..." Ich werfe einen unsicheren Blick zu Kilian, der kaum merklich mit den Schultern zuckt, als wolle er sagen: ‚Wenn er das so sagt, wird er das auch so meinen.'
„Ja, du und deine Eltern, ihr müsst euch keine Sorgen machen, ich helfe den Jungs dabei. Und wenn die Meerschweinchen dann erst mal da sind, können sie gerne so oft sie wollen, vorbeischauen und sich um sie kümmern. Und wenn ihr mal in Urlaub fahrt, übernehmen wir dann natürlich die Pflege, bis sie wieder da sind." Er lacht mich zuversichtlich an und verabschiedet sich dann von mir. Mit großen Schritten geht er zum Haus und verschwindet.
„Bei ihm klingt das, als würde er ein Großprojekt planen", murmle ich und Kilian grinst schief.
„Bei dem wird das auch ein Großprojekt, keine Sorge. Aber ab jetzt kannst du dir sicher sein, dass deine Brüder in guten Händen sind. Opa weiß schon, was er da tut. Mit den anderen Kindern im Ort hat er früher auch immer Hasenställe gebaut. Manchmal durften Juli und ich auch helfen." Er schaut seinem Großvater hinterher und fängt an zu lächeln.
„Dein Großvater scheint ein guter Mann zu sein", meine ich in die nachdenkliche Stille hinein, die sich über den Hof und über den frühen Abend gelegt hat. Kilian schaut zu mir und nickt.
„Er ist der Beste."

Mit Herz und Huf - GefundenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt