Glas

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Die Flasche dreht sich langsam in der Mitte unseres Kreises. Benommen und wie hypnotisiert schaue ich auf sie. Ich trinke. Die ganze Zeit schon. Genauso wie die anderen. Der Alkohol durchströmt meinen Körper mit wärmender Energie.
Sie bleibt beim Reh Jungen stehen. "Wahrheit oder Pflicht?", gröhlt der Dürre, der mittlerweile schon aufgestanden ist und mit seinen Armen wild herum fuchtelt. "Pflicht.",schreit er und lacht laut auf. Sie scheinen schon ziemlich betrunken zu sein. "Küss mich.", schreit Radieschen und stellt sich taumelnd hin. Mit einem schnellen Ruck zieht er sich seine kurze, beige Caprihose, inklusive seiner Boxershorts herunter. Wuhu! Ein Anblick der mir wirklich lieber erspart geblieben wäre. "Auf den Arsch!", nuschelt der Rote und kichert aufgeregt. Der Reh Junge schaut erst ein wenig verwirrt, dann breitet sich das typische Grinsen auf seinem Gesicht aus und er läuft zu seinem Freund. Der Anführer und der Dürre lachen laut los und auch Nico schmunzelt. Ich schaue entsetzt, und leicht angewidert zu den beiden. Kasi, beziehungsweise Rehjunge, spitzt seine Lippen und schleckt den Hintern des Radieschens ab. "Ahh yeah mach weiter Süßer.", stöhnt dieser laut. Ich bin in der Irrenanstalt. Und ja, ich könnte abhauen. Ja, ich könnte fliehen. Warum tue ich das nicht? Warum will ich von diesen Typen nicht weg? Vielleicht, weil sie mir Spaß machen. Weil ich Spaß habe. Ach Quatsch! Ich stoppe meine hirnspinstigen Gedanken. Spaß mit meinen Entführern? Nach einem Tag? Wer weiß was diese Psychopathen mit mir machen? Durch ein lautes johlen schrecke ich zusammen. "Jonas und Basti. Ihr seid beide dran.", brüllt Kasi. Der Dürre und der Anführer sehen sich schmunzelnd an. "Wir nehmen auch Pflicht." Kasi reibt sich seine Hände. "Strippen! Vor uns und zwar so richtig gut." Schnaufend greife ich zu der Sektflasche und trinke um die drei, vier Schlücke. Langsam vergesse ich die Sorgen. Und alles andere um mich herum. Der Anführer und der Dürre gehen schleichend in die Ecke und leeren zusammen die nächste Flasche. Sie lächeln verschmitzt und der Blonde streicht sich sein T-Shirt zurecht. "Musik an bitte." Auch der Dürre zupft ein wenig hektisch an seiner Kleidung. Radieschen fummelt irgendetwas an der Musikanlage herum. Mit lauten Rufen von den anderen, ertönt Musik. Ein dröhnender Bass. Uhh. Dieser Song. Ich vergrabe mein Gesicht in meine Hände. Kasi zieht mich zu sich heran und schubst mich in die Richtung eines, plötzlich allein stehenden, Stuhles. Angeschwippst setze ich mich hin. Ginuwine, der Sänger des Songs, krächzt die ersten Töne. Die zwei Jungs kommen verführerisch und mit kreisenden Oberkörper auf mich zu. Ich lache. Ja zum ersten Mal lache ich. Gut vermutlich wird es auch an meinem, zugegebenermaßen hohen Alkoholpegel liegen. Der Dürre kommt näher an mich heran. Passend zum Auftakt des Refrains ziehen beide ihre T-Shirts aus. Ich jubel. Irgendwie schon kurios? Leise singe ich den Refrain mit. "If you're horny, let's do it, ride it, my pony, my saddle's waiting, come and jump on it." Ein Prusten von den anderen. Auch ich kann mir das Grinsen und das leichte rot werden nicht zurückhalten. Irgendetwas fällt von mir ab. Während ich zwei weitere Schlücke des Sektes trinke. Irgendetwas. Die Last möglicherweise. Möglicherweise ja der Druck immer perfekt sein zu müssen. Der Anführer geht mit schwingenden Schritten auf mich zu, während der dürre Typ sich in der gleichen Zeit selbst begrapscht und es scheinbar gar nicht mehr abwarten kann sich im Spiegel betrachten zu können. Er fährt sich durch seine blonden Haare, und mit seiner Zunge über seine Lippen, und lässt sich auf mein Schoß fallen. Ein Freudenschrei ertönt in meinem Ohr. Und er ist von mir. Ich habe gute Laune. Wirklich richtig gute Laune. Passend zum Rhythmus reibt sich der Anführer, wie ein wildes Tier, an meinem Oberschenkel. Wieder ein Lachen. Ich strahle zu den anderen, die ebenfalls grinsen und jubelnd um uns herum stehen. Dann schleicht sich der andere heran. "Oh du willst uns, oder?" Mit einem lüsternen Ton flüstert er. Prustend betrachte ich seinen Körper und trinke noch ein Schlückchen. Sie tasten sich an meinen Nacken heran. Er sieht mir eindringlich in meine Augen. Höchstens ein paar Zentimeter sind unsere Lippen entfernt. Ich beiße mir auf die Lippe. Macht mich das gerade ernsthaft an? Der Blondschopf legt seine Hand in meinen Nacken Und zieht mich noch ein Stück näher an sich. "Los pack das Geschenk aus." Gröhlen. Jubeln. Klatschen. Ich nehme alles nur rauschend und unklar wahr. Grinsend höre ich auf ihn und ziehe langsam die Gürtelschnale heraus. Während der Dürre sich immer noch mit meinen Haaren beschäftigt, und an ihnen riecht, was ein wenig beängstigend ist, spüre ich den warmen Atem von dem Anführer. Er schnauft schwer aus. Hui, das scheint er angenehm zu finden. "Wenn du es nicht willst, schrei auf." Daraufhin atmet er noch einmal kurz aus und presst seine Lippen auf meine. Intensiv und mit schmeidigen Bewegungen küssen wir uns. Er steckt seine Zunge in meinen Hals. Und ich meine in seine. Mein Entführer. Mein scheiß Entführer. Warum lasse ich das überhaupt zu? Warum stoße ich ihn nicht weg? Doch nichts. Er küsst mich immer noch. Plötzlich ein Windhauch und ein leichter Druck. Ich reiße meine Augen auf. "Sag mal bist du bescheuert?"
Der Anführer steht wütend, und ohne Hose, Nico gegenüber. "Mir sagen das ich zu sentimental sei und bloß keine verfickte Bindung zu unserer Geisel aufnehmen soll, aber selbst mit ihr rummachen?"
"Was willst du von mir? Sie hat doch mitgemacht!" Genervt atmet Nico aus und schubst ihn von sich weg. "Was soll sie denn machen? Sie hat doch überhaupt keine Chance."
Der Anführer lacht laut. Ich kauer mich auf den Stuhl. "Alter was ist dein scheiß Problem? Ich kann nichts dafür das dich kein Mädchen ran lässt. Noch nicht mal unsere Geisel würde dir einen runter holen. Mir schon, mein lieber!"
Ein Schlag. Mit seiner geballten Faust schlägt Nico seinen Freund, so das dieser sich schockiert an die blutende Nase fasst. Die anderen, und auch ich, sind still. Nur wenige Augenblicke vergehen dann setzt auch der Anführer zum Schlag aus. Er tritt ihm in die Magengrube und stürzt sich auf ihn. Kämpfend liegen sie am Boden und reißen sich an ihre Arme. Schockiert sehe ich zu, wie der Dürre und die anderen sie auseinanderreißen. Ich sehe mich im Raum um, dann zur Tür. Mein Kopf pocht und ich weiß, dass es falsch war. Falsch meinen beschissenen Entführer zu küssen. Vor allen anderen.
"Ihr seid solche Vollspacken. Wir müssen morgen unsere Aktion durchplanen und ihr prügelt euch um dieses verschissene Mädchen?" Ich schlucke und sehe verzweifelt auf den Boden. Meine Augen und meine Kehle brennen. Ich will schlafen, nach Hause in mein Bett. "Warum?", frage ich. Sie sehen zu mir. "Warum ich? Ich hab doch nichts."
Tränen füllen sich in meinen Augen auf. Ich kann sie nicht zurückhalten.
Ich fühle mich, wie als wäre ich auf einem Trip. Erst hatte ich Spaß. Spaß mit den Menschen, die mich gefangen halten. "Warum? Ich sollte Angst vor euch haben. Ich sollte euch hassen und versuchen zu fliehen. Ich verstehe das nicht." Ich stehe von meinem Stuhl auf. "Warum macht ihr das? Sagt es mir!", schreie ich sie laut an. Die Tränen kullern ungefragt hinunter. Nichts. Keine Rechtfertigung. Keine Antwort. Gar nichts. Nur ein peinliches: " Ich glaube wir gehen jetzt lieber ins Bett. Es war heute ein wirklich komischer Tag." Komisch? Es war doch nicht komisch. Es war irre. Krank. Scheiße. Und dann ist sie wieder da. Die Waffe liegt an meinem Rücken. Gehalten von dem Radieschen. Mein geschnürrter Atem. Wir schleichen nach oben, die beiden Treppe hinauf. Alles ist so perfekt. Das Haus. Die Stufen. Die Farben. Und doch hasse ich es. Ich hasse es so sehr. Und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es an der Entführung liegt. Irgendetwas hat es an sich. Etwas kaltes. Und gruseliges. Und doch irgendetwas bekanntes. Zu gern würde ich wissen wem es gehört. Sie schubsen mich in einen etwas kleineren Raum, der in der dritten Etage liegt. "Ich schlafe mit ihr in dem Raum.", sagt Nico. "Warum du?", fragt der Anführer. "Weil du so sie vergewaltigen würdest.", antwortet er und hält mich fest an sich. Er schließt die Tür. Dann legen wir uns in das Bett. Ich auf die linke, er auf die  rechte Seit. Er mit dem Kopf an meinen Füßen. "Warum?", flüster ich nochmal. Ein Schnaufen. "Schlaf jetzt.", sagt er. Stille. Schlafen? Als würde ich jetzt noch schlafen können.

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