Kapitel Fünf

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»Wer bist du?«, fragte sie vorsichtig.

»Darf ich dir Prinzessin Ramura vorstellen, Mama?«, antwortete Satumar für mich.

Die Augen seiner Mutter weiteten sich vor Schreck und ich bemerkte, dass sie die gleiche Farbe hatten, wie Satumars Augen. Mit offenem Mund starrte sie mich an. »Bist du wirklich Prinzessin Ramura?«, flüsterte sie ehrfürchtig.

Bestätigend nickte ich, als sich der Blick von der Frau verfinsterte. Verwirrt blickte ich kurz zu Satumar, doch der zuckte nur mit den Schultern und konnte mir auch nicht erklären, was plötzlich los war.

»Du!«, fauchte die Frau. »Du und deine Familie! Ihr seid Schuld, dass mein Sohn jetzt im Krieg als Soldat kämpft und ich jeden Tag um sein Überleben bangen muss! Wie konntest du sie hereinlassen?«, wandte sie sich an Satumar.

Erschrocken blickte ich die Frau an. Mit so einem Wutausbruch hatte ich nicht gerechnet. Mir war klar, dass sie nicht so begeistert davon sein würde, aber dass sie so in die Luft ging, damit hatte ich nicht gerechnet.

»Mama, beruhig' dich«, versuchte Satumar sie zu beschwichtigen, aber es brachte nichts.

Wütend stand sie auf und kam mit drohend erhobenem Zeigefinger auf mich zu. »Wie kannst du es wagen hier her zu kommen, als wäre alles in Ordnung? Mein Sohn stirbt da draußen!«, kreischte sie. Ihre Stimme sprang eine Oktave höher und wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich jetzt nicht mehr da. In ihrer Stimme schwang so viel Hass mit, wie ich es noch nie erlebt habe. Ich wusste nicht mal, dass man jemanden so abgrundtief hassen konnte, obwohl man diese Person nicht mal kannte.

»Mama?«, fragte da Vraldes, die wohl auch nicht so ganz verstand, was hier passierte.

»Halt dich da raus«, fauchte ihre Mutter und Vraldes zuckte zurück, als hätte sie jemand geschlagen. In ihren Augen sammelten sich Tränen, die sie aber wütend wegwischte.

Währenddessen kam ihre Mutter immer näher und hielt mir drohend den Finger unter die Nase. In ihren Augen schimmerte der blanke Hass, ihre Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Normalerweise wäre ich einen Schritt zurück gewichen, doch auch ich wurde so langsam wütend. Woher nahm sich diese Frau das Recht, mich für etwas zu beschuldigen, an dem ich noch nicht einmal Schuld war?

»Verlass sofort mein Haus«, knurrte sie leise.

»Mama...«, fing Satumar an, doch er wurde unterbrochen.

»Hast du vergessen, dass sie deinen Bruder genommen haben, um ihn als Kanonenfutter einzusetzen? Hast du vergessen, dass Leute wie wir sterben müssen, weil die keinen Frieden schließen können? Hast du deine Augen vor dem Rest der Welt verschlossen, nur weil du auf sie stehst?«, fauchte sie und ihr drohender Blick war nun auf ihren Sohn gerichtet.

Dieser zuckte zurück, doch dann veränderte sich etwas in seinem Blick. Seine ansonsten freundlich dreinblickenden, blauen Augen schienen jetzt zu Eis gefroren zu sein. Selbst seine Mutter schien überrascht zu sein. Sonst musste er ein netter Sohn sein, der seiner Mutter nicht widersprach, doch heute nicht. Heute legte er es darauf an. Satumar hier zu mir. Um dies zu verdeutlichen, stellte er sich neben mich und legte einen Arm um meine Schulter.

»Sie bleibt«, meinte er mit einer Kälte in der Stimme, die ich niemals bei ihm erwartet hätte. »Ramura ist nicht Schuld daran, dass ihr Vater mit König Mading im Krieg liegt. Wenn du dich bei jemandem beschweren willst, dann bei einem von den Beiden. Und ich habe nicht vergessen, dass Asmael im Krieg ist. Ich weiß auch, dass er jeden Tag sterben könnte. Nur vergesse ich dabei nicht, wer wirklich an Krieg Schuld ist. Und Ramura ist es eindeutig nicht.«

Kurz dachte seine Mutter über diese Worte nach, bevor sie nachgab. »Du hast Recht«, sagte sie. »Ramura ist nicht Schuld. Hoffen wir mal, dass du einiges änderst, wenn du regierst.« Bei den letzten Worten wandte sie sich an mich.

Zustimmend nickte ich. »Hatte ich jedenfalls vor«, flüsterte ich.

»Gut.« Sie schien nicht glücklich darüber, dass ich hier war, aber sie schien sich damit abzufinden.

»Was führt dich denn hierher?«, wollte sie dann wissen.

»Ich suche einen Unterschlupf. Meine Eltern befahlen mir zu fliehen, als wir in unserem Schloss angegriffen wurden«, meinte ich kurz angebunden. So ganz hatte ich ihr den Ausbruch von vorhin nicht vergeben.

»Und dann meinst du, dass du hier bleiben kannst?«, fragte sie und ich hörte, wie ein Teil ihrer Wut zurückkehrte.

Langsam nickte ich, was mir einen scharfen Blick ihrerseits einbrachte.

»Was bringt dich auf diese Idee?«, meinte sie kühl.

Satumar trat einen Schritt nach vorne. »Ich habe es ihr vorgeschlagen«, flüsterte er.

Der Kopf seiner Mutter flog abrupt zu ihm herum und diesmal war er es, der einen wütenden Blick abbekam. Doch dann wurde ihr Blick etwas sanfter, nachdem sie ihn eine Zeit lang angesehen hatte. Langsam nickte sie dann. »Du kannst bleiben. Unter einer Bedingung«, mahnte sie. »Du hilfst uns bei der Arbeit.«

Zustimmend lächelte ich sie an. Damit kam ich klar. »Einverstanden«, meinte ich.

»Du kannst mir dann auch gleich beim Essen kochen helfen«, sprach sie weiter.

Entschuldigend sah mich Satumar an, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Das ging noch in Ordnung. Essen machen dürfte nicht so schwer sein.

Dachte ich zumindest. In der gesamten Zeit hatten wir kein einziges Wort gesprochen und die Zeit zog sich ins Endlose. Nach einer halben Ewigkeit meinte Satumars Mutter dann endlich, dass das Essen fertig sei. Skeptisch blickte ich in den Topf hinein. Wie sollte das für fünf Personen reichen?

»Lass mich raten, du fragst dich gerade, wie das für alle reichen soll, richtig?«, riss mich Satumars Mutter aus meinen Gedanken.

Ertappt nickte ich. »Ich muss zugeben, dass ich mich das wirklich gefragt habe.«

Überraschend fing sie an zu Lachen. Es war ein freundliches und offenes Lachen, welches mich sofort ansteckte. Grinsend sahen wir uns an. Ich wusste nicht einmal, wieso sie angefangen hatte zu lachen, doch das war gerade nicht wichtig, ich war einfach nur froh, dass sie mich anscheinend doch nicht hasst.

»Glaube mir, dass habe ich mich das erst Mal, als ich meiner Mutter half, auch gefragt«, sprach sie mit mir, als sei ich nicht eine fremde Person, sondern eine gute Freundin.

Lächelnd blickte ich die Frau an. Noch immer wusste ich nicht, wie sie hieß. Ich nahm mir vor, Satumar später zu fragen, wenn wir einen ruhigen Moment hatten.

Doch das brauchte ich gar nicht.

»Ich bin übrigens Limbara«, sagte Satumars Mutter auch schon in dem Moment. Erstaunt blickte ich sie an. Woher wusste sie, dass ich mich gerade gefragt hatte, wie sie hieß?

»Man sieht dir deine Gedanken in deinem Gesicht an«, beantwortete Limbara meine unausgesprochene Frage.

Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte ich sie an. Wirklich jeden Gedanken?, fragte ich mich und hoffte, dass sie nicht Recht hatte. Doch ich schien Glück zu haben, denn Limbara wandte sich ab, ohne dass sie meine gedachte Frage beantwortete und rührte erneut im Topf herum.

»Du könntest schon einmal Satumar, Vraldes und Amandiel holen«, sprach sie weiter, als wäre nichts geschehen.

»Natürlich«, antwortete ich und wandte mich ab, um nach draußen zu gehen.

Als ich gerade an der Tür war, rief mich Limbara noch einmal zurück: »Ramura?«

»Ja?«, fragte ich neugierig.

Ich hörte, wie Limbara tief Luft holte, bevor sie schließlich sagte: »Es tut mir leid. Ich hätte dich niemals für etwas beschuldigen sollen, an dem du keine Schuld trägst.« Zum Ende hin wurde ihre Stimme leiser, so als hätte sie Angst etwas Falsches zu sagen.

Der rote MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt