"Sind Tauben eigentlich auch in der Nacht aktiv?", fragte Steve, ohne seinen Blick von den zwei Tauben, die sich um ein Stück Brot stritten, das sein bester Freund ihnen hingeworfen hatte, zu lösen. Deutlich von der Frage irritiert lehnte sein braunhaariger Freund sich zurück und biss sich überlegend auf die Unterlippe. "Buck?"
"Weiß nicht. Aber ich vermute mal nicht. Sonst würden die doch auch bei Dunkelheit keine Ruhe geben, oder?" Bucky zupfte wieder ein Stück Brot ab und warf es auf die grauen Straßen Brooklyns. Erneut stürzten sich beide grau-weißen Vögel auf die Nahrung und warfen sie wieder lustig durch die Gegend. Wie zwei Hunde, die sich um ein Spielzeug stritten. Steve lehnte sich nach vorne und griff nach seinem Zeichenblock, der neben ihm im Gras lag. Intensiv betrachtete er das Vorgehen der "Ratten der Lüfte", ehe er seinen Bleistift auf dem teuren Papier, das Bucky ihm geschenkt hatte, aufsetzte. Sanft begann er, Linien und Kreise zu ziehen.
Bucky aß wieder selber ein Stück des Brotes, das seine Mutter ihm mitgegeben hatte, und linste Steve über die Schulter. Einige Sekunden ratterte es in seinem kindlichen Kopf bis er nickte und immer wieder von den Tauben auf das Papier sah. Ab und an warf er den Tieren weiteres Essen zu, dass sie auch ja nicht davonflogen.
Zufrieden sah er seinem blonden Freund dabei zu, wie er ab und zu immer seine Zunge herausstreckte, um auf sie zu beißen. Dabei bemerkte er das nicht einmal, da das von seiner Konzentration automatisch passierte.
"Die hat da noch 'nen weißen Fleck", nuschelte Bucky leise und deutete auf die Stellte, die er meinte. Als Antwort nickte Steve und verbesserte seinen kleinen Fehler.
Als er das nächste Mal aufsah waren beide Tauben weg und das Stück Brot lag alleine auf dem Asphalt. Er ließ die Schultern hängen und legte den Block wieder weg. Sich schuldig fühlend sah Bucky sich das Bild kurz an, doch Steve war davon nur noch weniger beeindruckt. Ihm gefiel das Ergebnis ganz und gar nicht. Wer konnte denn bitte schon sich bewegende Tiere zeichnen?
"Finger sind faszinierend, oder?" Bucky sah von dem Bild auf und lächelte warm.
"Bitte?" Perplex zuckte Steve zurück.
"Wir sind beide mit dem gleichen Können geboren, aber haben uns so unterschiedlich entwickelt. Ich kann nicht mal 'ne Linie zeichnen", fügte er am Ende knapp hinzu, und Steve lachte leise auf.
"Tatsache. Aber dafür sind wir ja auch auf der Kunstschule, Bucky." Beide schwiegen kurz.
"Wir können auch in den Zoo gehen, wenn du langsame Tiere zeichnen willst. Beziehungsweise welche, die nicht wegrennen können", schlug Bucky hektisch vor. "Oder wir suchen zwei neue Tauben, die sich ums Brot streiten."
"Aber ich brauche diese zwei Tauben. Siehst du nicht, wie anders sie sind? Man findet keine Tauben, die so aussehen, wie diese zwei." Steve deutete auf die zwei gezeichneten Tiere, um seine Aussage zu verdeutlichen. Bucky sah allerdings keinen Unterschied darin. Steve redete weiter, während er den Mund öffnete, um seine nächsten Worte zu suchen.
"Diskutieren wir gerade wirklich über Tauben, die vielleicht morgen von einer Katze gefressen werden?"
Blinzelnd sah Bucky auf und biss sich auf die Lippe. Hatte er das gerade laut gesagt?
Schnaubend erhob Steve sich und griff nach seinem Block und Stift. Hektisch sprang der Ältere ebenfalls auf seine Beine und sah zum Jüngeren hinab. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah Steve zu seinem besten Freund hinauf, ehe er hinter Bucky im Baum die zwei gesuchten Tauben entdeckte. Planlos, warum Steve ihn so anstarrte, drehte er sich dann ebenfalls um und erblickte Steves Ziel.
"Siehst du? Der einen Taube fehlt anscheinend ein Auge."
"Lieber lebe ich ohne Auge als ohne Hand", murrte Bucky und betrachtete seine Hände. "Nützliche Dinger."
Nickend machte Steve sich einige Notizen, die ihm wichtig erschienen, und lief dann los. Bucky, der weiterhin stolz seine Hände betrachtet hatte, folgte ihm dann kurzerhand. Er dackelte zufrieden hinter seinem besten Freund her und lächelte ihn stolz an.
"Von wann ist das Bild?" Steve lehnte sich von hinten auf die Stuhllehne und sah über Buckys Kopf hinweg auf das mittlerweile gelbliche, leicht verlaufene Bild von zwei... was sollte das bitte darstellen? "Beziehungsweise: was ist das Bild?"
Bucky strich sich seine Haare aus dem Gesicht und drehte das Bild um. Steve hatte früher immer seine Daten auf die Rückseite geschrieben.
"Brooklyn. Damals im Mai 1936. Das sollten zwei Tauben werden, weißt du's nicht mehr?"
Amüsiert über seine eigene Dummheit lachte Steve in seine Teetasse hinein und hob eine seiner blonden Augenbrauen. Er nahm Bucky die Mappe, die er auf dem Tisch vor sich liegen hatte, ab. Der Braunhaarige sah der Mappe hinterher, mit der Steve sich dann auf die Couch fallen ließ.
"Ich war gerade dabei, mir die anzusehen", gab er zu verstehen, und Steve nickte nur desinteressiert.
"Meine Kunstwerke. Mein Recht." Steve sah kurz zu Bucky, der seinen Kopf auf der Stuhllehne bettete.
"Alles klar, Captain", machte Bucky lachend und erhob sich ebenfalls - Steves Handy blinkte. "Ich glaube, Tony braucht dich. Und das Team. Los, Abmarsch."
Steve stöhnte genervt auf und sah seinen besten Freund an.
"Aber ich war schon heute Morgen im... dingens."
"Hauptquartier?", hakte Bucky unsicher nach, als der Blonde weiterhin planlos das Wort suchte.
"Genau", machte Steve hektisch. "Ich werd' alt. Ich sollte nicht mehr raus. Vielleicht finde ich den Weg nicht mehr zurück?"
"Du hast mich auch damals irgendwie gefunden. Hau ab." Der Braunhaarige deutete auf die Tür. Der Nationalheld erhob sich murrend und warf seinem besten Freund einen abwertenden Blick zu. Doch dieser kannte diesen Blick bereits seit über einhundert Jahren. Der Todesblick, der eigentlich nur nach Ruhe und Liebe schrie. Steve sauer zu erleben war unmöglich - außer es ging um seine Familie. Und die waren eben die Avengers.
"Ich stell dir auch deine Cornflakes und Milch raus, dass du später was essen kannst", lachte Bucky Steve hinterher, der nur die Haustür ins Schloss warf.
Bucky war zufrieden. Auch, wenn er durch seine eigene Vergangenheit einen schwarzen Strich in seinem Leben hatte, konnte er dieses ein wenig aufholen und wieder gutmachen. Zumindest konnte er es versuchen. Aber wenn es um die Aufgaben der "Großen Sechs" ging, funkte ihnen keiner ins Handwerk. Weder der Knirps, der von der Spinne gebissen wurde, noch ein Typ mit einem Metallarm. Ganz zu schweigen von diesem gedankenkontrollieren Teenager. Nur Tony und seine Gruppe - beziehungsweise Steve und seine Gruppe. Immerhin war er der Anführer. Obwohl... Beide teilten sich diese Position.
Schulterzuckend band Bucky sich seine Haare zusammen und antwortete dann mit Steves Handy Tony. Dann hörte er auch schon den Aufzug vor der Tür aufgehen. Er grinste, bei einer ganz bestimmten Aktion, die Steve mal abgezogen hatte. Der werte Herr "Ich bin jetzt stark genug" hatte aufgrund von Langeweile und Faulheit tatsächlich mal seinen Schild geschnappt, um sich aus dem höchsten Stockwerk des Stark-Towers zu werfen, weil er zu faul gewesen war, die Treppen zu nehmen. Um Zeit zu sparen.
Aber er kannte Steve. Der Junge hatte sich damals auf eine Granate geworfen, um die Leute, die ihm im Lager niedergemacht hatten, zu beschützen. Die Welt hatte ihn nicht verdient.
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Sternenkinder
AdventureBucky hat aus seinen Fehlern, zu denen er gezwungen wurde, gelernt. Natürlich will er also Steve und das komplette Team beschützen. Auch, wenn die meisten Aufgaben eher an die sechs Köpfe der Gruppe - die Avengers - ging. Er war eher ein kleines Puz...