Der Morgen

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Die Sonne kroch über dem Horizont empor und läutete einen neuen Tag ein. Beinahe schon träge schob sich die leuchtende Kugel über den Rand des Sichtbaren zum Himmel empor. Schung starrte ihr nach, er wartete auf die Entscheidung der beiden Wächter. Sie schienen beide schon wach zu sein, auf jeden Fall war das eine der Zelte auf der Lichtung geöffnet gewesen und bereits halb abgebaut, als er selber erwacht war. Er hoffte nur, dass es der Kapitän zu den Gunsten von ihm und Zodd entschied, Schungs alter Freund hatte wirklich besorgt geklungen und in Eile als er den Magier gebeten hatte die Nachricht zu überbringen. Schung glaubte immer noch, dass ihm der Bibliothekar etwas verschwieg, etwas entscheidendes, das irgendwie mit dem Überfall auf die Bibliothek zu tun hatte, doch Schung konnte warten. Es war eine seiner besseren Eigenschaften, die er sich im Laufe der Jahre angeeignet hatte, Geduld. Er hatte so eine Ahnung, dass er noch früh genug erfahren würde, was Zodd nicht nur ihm sondern auch den Wächtern vorenthielt. Nun musste er seine Aufmerksamkeit wirklich wichtigeren Dingen widmen, wie zum Beispiel die Entscheidung der Wächter, auf welche er wartete.

Der Magier konnte nur rätseln, was die beiden so lange miteinander besprachen, doch er wagte es nicht zu lauschen. Nicht, solange er nicht wusste, wie weit die Künste der Wächterin reichten, die bei dem Kapitän im Zelt saß. Der Brünette erinnerte sich noch genau an den gestrigen Abend, als sie das Papier in Flammen hatte aufgehen lassen, in ihrer eigenen Hand. Es schauderte Schung, wenn er daran dachte. Magie zu wirken war nichts außergewöhnliches, die Veranlagung dazu lag in den meisten Menschen schon von Geburt an vor, allerdings entwickelten nur die wenigsten ihre Fähigkeiten jemals weiter und ließen sie verkümmern. Diejenigen, die den Weg der Magie bestritten, wie Schung selber, verbrachten zumeist viele Jahre damit ihre Fähigkeiten zu erproben und zu entwickeln bevor sie sich wirklich als Magier bezeichnen konnten und verbrachten dann den restlichen Teil ihres Lebens zumeist hinter Büchern um ihre Magie in der Studie weiter zu verfeinern. Etwas, dass Schung noch nie gewollt hatte, weswegen er nach seiner Ausbildung die Bibliothek in Asraso verlassen hatte und durch das Land gereist war ehe er von Zodd das Angebot erhalten hatte, die Feldarbeit für ihn zu übernehmen. Das alles war nun schon fast fünf Jahre her, doch Schung hatte auf all seinen Reisen entlang der Hauptstraße noch keine Person getroffen, die so Magie wirkte wie die Wächterin. Er hatte jedoch von solchen Menschen gelesen, die Magie ohne die Hilfe von Sigilen wirken konnten, den Siegeln der Magie. Nur die Dinge, die er über diese Menschen gehört hatte, waren nicht gerade beruhigend gewesen. Schung wühlte in seinen Erinnerungen nach allem, was er über diese Art der Magie wusste, konnte jedoch nichts sinnvolles mehr aus diesen herausholen.

Schung schüttelte seinen Kopf, es brachte ihm nichts, wenn er über diese Dinge nachgrübelte, vermutlich war es vorerst besser, das Thema ruhen zu lassen und seine Energie lieber auf andere Dinge zu lenken. Wieder starrte er auf das Zelt der Wächter, auf das Wappen an der äußeren Zeltwand. Das brennende Schwert, welches dem ersten Grenzwächter gehört haben soll, umschlungen von einer Kreatur, die einen Drachen oder einen Amphithere darstellen sollte. Der Magier wusste nicht wieso, doch es erschien ihm so, als würde das Tier ihn mit seinen Auen zu fixieren. Ein kalter Schauer jagte über seine Haut.

Sal horchte Leikeimas Erzählung über den letzten Abend. Der Brünette warf ihr immer wieder einen besorgten Blick zu, ab und an schienen seine Augen auch von der einen oder anderen Frage gequält zu sein, doch er hielt den Mund und lauschte. Leikeima holte am Ende ihrer Ausführung tief Luft, sie tat das immer, wenn sie einen Bericht abgeliefert hatte, eine Angewohnheit, die sie aus ihrer Trainingszeit bis ins Heute verschleppt hatte. „Und dieser Schung will also, dass wir helfen, einen Überfall auf eine Bibliothek aufzuklären?" Leikeima nickte. Sal starrte auf den Boden des Zeltes, bedeckt von Fellen. „Die Grenzwächter sind nicht für so etwas zuständig." Murmelte er vor sich hin, während er überlegte. Wieso sollte jemand die Wächter bei so etwas um Hilfe bitten? Sicher, die Bibliotheken in Ferenys waren so etwas wie Akademien und horteten unendlich viel Wissen, seit Anbeginn der Entdeckung von Magie bis zum heutigen Tag wurde alles Wissen, alles, was man kannte, in schriftlicher Form verewigt. Auch Formeln und Sprüche, die zur Zeit des Großen Krieges benutzt worden waren und als zu gefährlich galten, als dass sie normale Magier nutzen durften. Ein Einbruch war nichts ungewöhnliches, es gab viele Korrupte, die solche Formeln nur zu gerne in ihre Hände bekommen würden, doch irgendetwas war an diesem Einbruch anders. Sal wusste jedoch nicht, was es war, ob nur der Fakt, dass nichts gestohlen worden war, oder die verbrannte Schrift, welche speziell ihn als Kapitän um Hilfe bat, den Ausschlag gab. „Wir werden der Bitte nachkommen." Sagte er bestimmt und suchte Augenkontakt mit Leikeima. „Allerdings muss ich dich bitten, zu den Wächtern zu gehen und statt meiner Bericht zu erstatten. Du wirst schneller wieder da sein als ich. Sobald du damit fertig bist-„ sein Gegenüber nickte bloß.

„-Komme ich sofort nach um dir zu helfen. Das brauchst du nicht extra sagen." Leikeima erhob sich aus dem Schneidersitz und bot Sal die Hand an, um ihm beim Aufstehen zu helfen. „Ich weiß genauso gut wie du, dass du ohne mich verloren bist." Grinste sie, Sal schüttelte bloß belustigt den Kopf. Sal tat zum Eingang des kleinen Zeltes und schob den Stoff beiseite, trat in die gerade aufgehende Sonne hinaus. Sein Blick landete auf dem wartenden Magier, Schung. Der Mann aus der Taverne, welchen er gestern zu Unrecht verprügeln wollte. „Ich werde mitkommen, meine Stellvertreterin wird Bericht erstatten gehen und sich danach unverzüglich auf den Weg zu uns beiden machen." Verkündete Sal wenig feierlich und musterte den Sitzenden lediglich aufmerksam.

Schung atmete erleichtert auf, bemühte sich auf seine Beine und nickte dankbar. „Wir sollten keine Zeit verlieren." Die Stimme des Mannes zitterte leicht, sein Blick war immer noch auf die Wächterin gerichtet, doch er riss sich los und fixierte den Mann neben ihr, der gut einen halben Kopf kleiner war als die Frau neben ihm.

Sal nickte kurz, machte sich daran sein Zelt zu verstauen und schulterte den Rucksack, in welchem er alles verstaut hatte. „Dann auf nach Ferenys. Und hoffen wir beide Mal, dass ich wirklich helfen kann."

Schung warf ihm einen schnellen Seitenblick zu, als sich die beiden aufmachten. „Das erfahren wir erst, wenn uns Zodd sagt, worum es nun wirklich geht. Ich weiß immerhin nicht mehr als ihr."

Sal murrte zustimmend, ehe er sich wieder auf den Weg fixierte. Es war ein langer Fußmarsch bis nach Asraso, etwas mehr als zweieinhalb Tagesmärsche. Wenn sie die Nacht durchliefen ohne Pause könnten sie übermorgen gegen Mittag in der Stadt sein, auf einem Transporttier wären sie noch schneller da. Allerdings wusste er, dass es mehr als schwierig war, an ein Reittier zu kommen in diesem Teil des Landes und er war an lange Fußmärsche gewohnt. Es würde eine ruhige Reise sein, wenn sie beide den Weg über die Gebirgskette nicht einschlugen und den Tam mieden. Etwas länger, und der Weg führte an den Ausläufen des Sion-Waldes entlang, doch Sal war Gefahr und Aberglaube gewohnt als Wächter der Grenzen.

Leikeima sah den beiden hinterher, als sie sich von ihr entfernten. Ihr Blick ruhte vor allem auf Schung, dem Feldforscher, wie er sich selber nannte. Sie traute ihm nicht. Allein die Tatsache, dass er sie beim Nutzen von Magie gesehen hatte war ein Grund für sie ihm gegenüber misstrauisch zu sein, doch da war noch etwas anderes. Er hatte irgendetwas bemerkt, als er im Lager gewesen war. Etwas, was er nicht bemerken sollte. Die junge Frau wusste nicht, wie viel er schon wusste, was er vermutete, aber sie war sich sicher, dass dieser Mann nicht dumm war und früher oder später würde er erkennen, was vor seiner Nase lag. Leikeimas Fäuste ballten sich zusammen. Es war zwar Jahre her, doch Wut kochte in ihr hoch, überschäumende, kaltblütige Wut. Sie wusste, sie würde warten müssen, was der Bote tat. Wenn er sich an sie wandte und sie erpresste, würde sie ihn verschwinden lassen. Sollte er das nicht tun, musste sie ihn beobachten um zu wissen, was er mit dem Wissen, was er hatte, anfangen wollte.

Die Wächterin machte sich daran, dass Lager zu räumen und packte die wenigen Habseligkeiten, die sie mitnehmen musste, in ihren Rucksack, schulterte diesen und warf einen schnellen Blick in Richtung Himmel. Es würde bald Regen geben, dunkle Wolken formten sich zu hohen Türmen. Der Wind trieb sie voran, stetig vor sich her, wie ein Kutscher seine Pferde mit der Peitsche. Besser, sie beeilte sich, von hier weg zu kommen und bei den Wächtern in Anam Bericht zu erstatten. Es war ein relativ entspannter Marsch, er führte an der Hauptstraße entlang, es würden viele Menschen Unterwegs sein und mit etwas Glück auch ein paar, die eine Wächterin ein paar Meilen mitnahmen.

Zodd lief unruhig auf und ab. Er wusste, dass es unmöglich war, dass Schung schon zurück war wenn er begleitet wurde, deswegen fasste er die Abwesenheit seines alten Freundes als positiv auf, doch es minderte dennoch nicht seine Angespanntheit, die er empfand. Er wusste genau, was der Eindringling gesucht hatte, was ihm wichtig genug war, damit er sich gegen die Seinen wandte. Und Zodd wusste, was er anrichten konnte, wenn er es fand. Dennoch wünschte er sich die Wächter herbei. Jenen alten Bund von Wächtern, welche die Grenzen beschützten und genauso alt waren wie die Schriften über den Großen Krieg. Zodd wusste jedoch auch, dass die Wächter etwas beschützen, was für den Eindringling von Interesse war, wenn er tatsächlich tun wollte, was Zodd vermutete. Und davor musste er die Wächter ebenfalls warnen. 

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