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Carla

Samstag, der 7. Oktober. Und ich habe immer noch nicht geantwortet. Ich muss nicht annehmen, ich muss ihn nicht anhören. Denn Rosa hat irgendwie recht; Vertraut er mir nicht, vertraue ich ihm nicht. Sie hat es zwar anders ausgedrückt, aber es hat immer noch die selbe Bedeutung.

Er vertraut mir nicht und das reicht mir.

Die Mädels, Jungs und ich haben beschlossen, heute mal nichts zu unternehmen und mit unseren Familien das Wochenende zu genießen. Mariele ist sogar seit gestern in ihrer Heimatstadt und bleibt dort auch bis morgen Abend.

Rosa und ich haben uns heute Nachmittag zusammen gesetzt und einen Plan für die Verlobung nächsten Monat gemacht. Zumindest den Plan, wo jeder schlafen soll. Bei uns zu hause würden sechs Leute unterkommen, wenn Rosa und ich bei Mariele schlafen würden. Ich muss Mariele nicht mal fragen, ob wir dürfen. Wir würden schon in ihrer Küche stehen.

Die Unterkünfte haben wir schnell besprochen und auch sofort ein paar Hotelzimmer gebucht. Danach setzten wir uns zu unserer Familie und schauten einen der langweiligsten Filme an, den es gibt. Ich wäre fast eingeschlafen, aber riss mich noch gerade so zusammen. Als wir den Film schließlich beendet hatten, schlug Rosa vor in die Stadt zu gehen und etwas frische Luft zu schnappen.

Ich weiß aber, dass es nur ein Vorwand ist, um mich auszufragen. Ich kenne meine Schwester doch.

Wir beide laufen schon seit einigen Minuten stumm nebeneinander her und blicken immer wieder in die verschiedensten Geschäfte hinein. Hier und da finde ich einige Klamotten, die mich ansprechen und bleibe für einen Augenblick stehen, doch als ich dann die Preise sehe, führe ich meinen Weg seufzend fort.

„Was ist passiert, Pulcino?", vernehme ich die sanfte Stimme meiner älteren Schwester. „Was hat er getan, dass du so abweisend bist?"

Langsam hebe ich meinen Blick vom Boden ab und blicke in die besorgten Augen meiner Schwester. Genau in diesem Moment bleibt sie stehen und mustert mich.

„Ich sehe es dir doch an, Carla", seufzt sie und legt ihre Händen an meinen Schultern ab. „Wäre das Gespräch am Sonntag gut verlaufen, dann wärst du nun ganz anders drauf, als jetzt. Selbst wenn es nicht gut verlaufen wäre, hättest du uns davon erzählt. Aber alles in sich hineinzufressen, ist auch nicht das wahre."

Ich schlucke und spüre, wie sich Tränen sammeln und sich einen Weg über meine Wangen bannen. Das will ich nicht. Ich hasse es zu weinen und es gibt nicht mal etwas, weshalb ich weinen muss. Aber trotzdem fühle ich mich schwach. Ich fühle mich verletzt, obwohl es einfach nur eine Sache ist, die unausgesprochen bleibt.

„Es ist nichts passiert", nuschle ich und merke, wie Rosa wieder ansetzen will zu sprechen. Sie denkt wahrscheinlich, das ich es wieder leugnen werde, aber meine Tränen sprechen tausend Bände. „Er wollte es mir nach dieser Tour seines Freundes erzählen, aber ich war dagegen, weil es mich sonst drei Wochen lang quälen würde, in Ungewissheit zu leben. Aber er war der festen Überzeugung es nicht zu sagen. Und da bin ich dann auch schon raus gestürmt. Aber nicht ohne das letzte Wort zu sprechen. Melde dich oder melde dich nicht. Aber wenn du dich meldest, dann weil du auspacken willst."

Kurz lache ich über meine Worte, die ich Dardan vor einer Woche an den Kopf geworfen habe und wische mir meine Tränen weg. Genug geheult.

„Maus", nuschelt meine Schwester und streicht mir sanft über meine Arme. „Du hast alles richtig gemacht, keine Frage und ich bin stolz, dass du den Mut hattest auch noch zu ihm zu gehen und ihm das zu sagen. Aber bedenke, du hast ihn jetzt zwischen die Wahl gelassen und wenn ich er wäre, würde ich mich gegen dich entscheiden." Geschockt hebe ich eine Augenbraue hoch und blicke meine Schwester überrascht an. „Das ist nichts persönliches. Es ist einfach nur so, wenn jemand dich vor die Wahl stellt, dann entscheide dich immer gegen ihn. Vielleicht denkt er nicht so. Vielleicht zerbricht er sich gerade den Kopf darüber, und fragt sich, ob es vielleicht nicht doch besser gewesen wäre, es dir zu sagen. Keiner weiß es, aber es gibt nur zwei Antworten darauf. Entweder wird er sich melden und es dir nach der Tour sagen oder er wird sich nicht mehr melden und damit abschließen."

„Wieso gibt es keine dritte Option?", frage ich nach und verschränke meine Arme schützend vor der Brust. „Wieso meldet er sich denn nicht während der Tour und erzählt es mir?"

„Er ist doch Albaner oder nicht?", ich nicke verwirrt auf ihre Frage. „Da hast du deine Antwort. Du kennst Egzona und ihre Familie. Sie sind manchmal so stolz, das sie blind werden. Vielleicht bin nicht so oft bei ihnen zuhause, aber ich bekomme dennoch alles mit und ich kann mir denken, das dein Albaner genau so stolz sein wird und es nicht während der Tour macht."

Ich nicke zustimmend und senke meinen Blick auf den Boden. „Ich bin auch zu stolz um ihm zu antworten", nuschle ich und hoffe, dass Rosa es nicht gehört hat. Doch sie hat es.

„Was?", ruft sie und schlägt mir gegen meine Schulter. „Bist du des Wahnsinns? Antworte ihm, pronto!"

Schmunzelnd schüttle ich mit dem Kopf und stecke meine Hände in meine Jacketasche. Es ist zwar gutes Wetter in Deutschland, jedoch nicht so gut, dass man sich fühlen kann wie im Hochsommer. Es reicht für ein T-Shirt und eine dünne Jacke. „Nein. Es tut ihm nur Leid, und das war nicht das, was ich von ihm wollte."

„Du bist komisch, Carla", lacht meine Schwester und schüttelt mit dem Kopf. „Aber dafür liebe ich dich."

𝖸𝖫𝖫𝖨 𝖨𝖬. | 𝘿𝘼𝙍𝘿𝘼𝙉.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt