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Carla.

10. Oktober. Es sind jetzt ein paar Tage vergangen, in denen ich meinen kurzen Gefühlsausbruch hatte. Es war nötig, denn wäre das nicht passiert, hätte ich mich mehr in mich zusammen gekauert und die Gedanken rundum ihn hätten nicht aufgehört.

Natürlich ist Dardan nicht komplett aus meinen Gedanken. Immerhin hatten wir einige Wochen miteinander zu tun. Wir sind miteinander ausgegangen. Wir haben uns gut verstanden. Aber ich denke nicht mehr die ganze Zeit an ihn. Ich habe mich wieder auf mein Studium und auf meine Arbeit konzentriert. Auf meine Familie und meine Freunde. Das erste Gespräch mit Rosa hat mich ein wenig weiter gebracht. Das zweite mit Mariele und Egzona ebenfalls. Ich habe mich mehr oder weniger bei ihnen ausgeheult, bis ich einfach nur noch wütend und enttäuscht war.

Heute ist Mittwoch und ich habe mich für diesen Tag mit meinem besten Freund verabredet. Wir wissen noch nicht genau, was wir vor hatten. Das steht noch in den Sternen. Aber Micah ist bekannt für seine spontanen Trips und Ideen.

Ich weiß noch, als er mich vor einem Jahr auf Facetime angerufen hat und auf dem Weg nach Holland war. Um acht Uhr morgens. Mit Paolo und Luis. Die anderen beiden waren noch am Schlafen, während Micah so begeistert und stolz über seine Idee war und zwei Stunden lang mit mir geredet hat. Er hat die Jungs um sieben Uhr morgens aus dem Bett gezerrt und ist auch sofort losgefahren.

Während ich mich fertig mache, telefoniere ich mit Micah und höre ihm stumm zu. Er redet so viel, dass ich glaube, er würde mit sich selbst sprechen. Ob er überhaupt noch weiß, dass ich dran bin?

„Wann holst du mich ab?", unterbreche ich seinen Redefluss und greife nach meinem Smartphone.

„Achso, stimmt ja", höre ich ihn nuscheln. „Ich stehe schon vor deiner Tür und warte, dass du runter kommst."

„Dein Ernst?", lache ich und blicke ein letztes Mal in den Spiegel, ehe ich nach meiner recht kleinen schwarzen Tasche greife und dann mein Zimmer verlasse. „Bin in drei Minuten unten."

„Bleib dran, tesoro", sagt er, was mich zum Lächeln bringt. „Ich will hören, wie deine Schuhe auf den Treppen klingeln."

„Du bist doch verrückt, Micah. Verrückt!", lache ich laut los und schlüpfe in meine Sneaker, um gleich darauf die Wohnung zu verlassen.

„Das war eigentlich ernst gemeint", meint er beleidigt und ich kaufe es ihm für eine Sekunde auch fast ab, bis er schließlich anfängt zu lachen. „Ah ich sehe dich." Das tut er wirklich, denn ich verlasse gerade das Gebäude und steuere auf seinen alten VW zu. „Soll ich auflegen oder warten bis du-"

Ich lege einfach auf und öffne die Beifahrertür. „Hey baby", lächle ich ihn an und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. „Wie geht es dir?"

„Wie geht es Dardo damit, dass du mich baby nennst?", schießt er zurück und sieht mich mit einem provokanten Lächeln an. Stimmt ja, ich habe es Micah noch nicht genau erzählt. Er weiß nur, dass ich zu ihm gefahren bin und er mein Alibi sein musste. „Nicht, dass er eifersüchtig wird und mir dann meine Fresse poliert." Nachdem ich mich angeschnallt habe, fährt Micah auch los, lacht aber dann. „Obwohl ich könnte dann locker eine Schönheits-Op machen. Sag ihm mal, er soll meine Nase brechen."

„Dardan und ich schreiben nicht mehr", platzt es mir einfach raus, während ich stur aus dem Fenster sehe. „Schon, seit dem Tag an, als du Alibi für mich sein musstes."

Geschockt und verwirrt zu gleich schaut mich mein bester Freund an und schüttelt ungläubig den Kopf, ehe er seinen Blick wieder auf die Fahrbahn richtet. „Weshalb? Was hat er getan?"

Kurz seufze ich. „Das ist es ja. Er hat nichts getan. Als wir uns vor, puh, mehr als einer Woche, bald zwei, getroffen haben, hat er mir gesagt, dass er einen Freund auf Tour begleiten und an seinem Geburtstag nicht da sein wird, weil er in Hamburg ist."

„Haramburg, da muss ich auch noch hin", lacht Micah, verstummt aber, als ich ihm gegen den Arm schlage. „Tut mir Leid, aber so ein Kickdown jetzt nach Hamburg wäre heftig. Oder nicht?"

„Wir bleiben hier in Esslingen, aller", rufe ich und schlage ihn abermals gegen seinen Arm. „Und lass mich jetzt aussprechen. Du weißt, wie ich es hasse, wenn man mich unterbricht."

„Ja, weil du dich danach nicht mehr erinnern kannst, was du erzählen wolltest", lacht Micah wieder und blickt kurz in meine Richtung. „Mensch, tesoro, ich hab dich so vermisst. Ich werde bald bei euch einziehen, wenn es so weiter geht und andere Leute dich mir wegnehmen."

„Hör mal, was willst du machen, wenn ich irgendwann verheiratet bin?", frage ich ihn grinsend und drehe mich mit meinem Körper auf meinem Sitz zu ihm um. „Und Kinder habe?"

„Dann hoffe ich, dass ich neben euch einziehen kann, werde meinen Job nur noch als Teilzeit machen und mich um dich und deine Kinder kümmern. Abends schaue ich dann mit deinem Ehemann Fußball oder so", sagt er auf ernst und tippt ungeduldig auf seinem Lenkrad herum. Er ist so wie ich, was das Fahren und das Warten bei einer roten Ampel angeht. „Aber dein Ehemann sollte ja nicht denken, das er die Nummer eins ist, denn das bin ich."

„You wish", erwidere ich grinsend. „Soll ich noch weiter erzählen was abging, oder willst du lieber Zukunftspläne schmieden?"

„Beides. Aber erzähl mir erstmal von Dardo."

„Dardan."

„Was auch immer, erzähl weiter. Ich bin auch still", gibt er schließlich zurück. „Ich fahr zum Aussichtspunkt, da sind wir bestimmt alleine und können die Aussicht genießen." Ne echt jetzt?

Während der zehnminütigen Fahrt - es liegt mehr an seinem Fahrstil als am Verkehr selbst - erzähle ich Micah was genau alles passiert ist und, dass er sich vor kurzen noch bei mir entschuldigt hat. Doch es ist immer noch nicht das, was ich hören will.

Nun sitzen wir im Auto, mit dem Blick auf die Stadt und sprechen weiter über das Thema. Mittlerweile glaube ich, dass ich im Mittelpunkt stehe, seitdem es Dardan in meinem Leben gibt.

„Hör mal, tesoro", fängt Micah an und schaltet die Musik leiser. „Ich weiß, wie nachtragend und stur du sein kannst, aber ich merke doch, wie gut dir dieser Junge tut. Also gib ihn nicht auf, nur weil er noch nicht bereit dazu ist, dir etwas anzuvertrauen." Ich seufze kurz auf und will gerade ansetzen zu sprechen, doch er redet einfach weiter. „Außerdem hast du ihn selbst noch nicht gebeichtet, dass du mit Vornamen Carla und mit Zweitnamen Valentina heißt. Also nimm es ihm wirklich nicht übel."

„Vielleicht hast du recht", nuschle ich und spiele am Saum meines T-Shirts herum. „Was soll ich jetzt machen?"

Für einige Sekunden höre ich nichts von Micah, der möglicherweise nachdenkt. Also hebe ich meinen Kopf an und blicke zu ihm. Und er überlegt wirklich. „Was hat er als letztes geschrieben?"

Schulterzuckend antworte ich ihm. „Das es ihn Leid tut."

Er nickt kaum bemerkbar und fährt sich durch seine Haare. „Schreib ihm, dass ihr euch nach dem letzten Konzert treffen werdet. Nicht mehr nicht weniger, ja? Und schreib ihm jetzt, ich glaube später wirst du länger dafür brauchen als jetzt."

„Gut", sage ich dann und nehme mein iPhone aus der Handtasche und entsperre es auch gleich. Ohne auf irgendwelche anderen Benachrichtigungen einzugehen, gehe ich auf die grüne App und suche nach dem Chat von Dardan. Welchen ich weiter unten finde.

Kurz schweben meine Finger noch über dem Display, ehe ich anfange zu tippen.

nach dem letzten konzert sehen wir uns.

𝖸𝖫𝖫𝖨 𝖨𝖬. | 𝘿𝘼𝙍𝘿𝘼𝙉.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt