Kapitel 9 (Isabèlle)

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Isabèlle's Sicht:

Genervt rolle ich mit den Augen. Drei Viertel der Dinge, die Gina mir gerade einzutrichtern versucht, kenne ich schon aus meiner Ausbildung zum Karriero. Was sie sagt, interessiert mich also nicht im Geringsten. „Schätzchen, hörst du mir überhaupt zu?" Sie scheint mein Desinteresse gemerkt zu haben. „Oh, na klar, wo waren wir?", antworte ich um zu versuchen, mich vor einer Standpauke zu retten. „Schuhe, Isabèlle, Schuhe.", sagt sie mit ihrer schrillen, anstrengenden Kapitolsstimme. „Ach, gib' schon her", fauche ich und setze mich auf mein Bett, um mir die weinroten Pumps anzuziehen, mit welchen mir Gina provokant vor der Nase herumwedelt. Zu ihrem, jedoch nicht meinem Erstaunen kann ich bereits perfekt in ihnen auf und ab laufen, was sich durch das schier kilometerlange Kleid, in das sie mich einige Minuten später steckt, nicht ändert. „Mein Gott, ich habe echt das Gefühl, dass das ganze hier komplette Zeitverschwendung war...", Gina schüttelt den Kopf, während sie das Kleid und die Schuhe wieder an sich nimmt und in einer recht großen Tüte verstaut. „Da bist du nicht die einzige...", murmle ich in ich hinein und bin mehr als froh, dass sie das nicht gehört zu haben scheint.
Etwa zehn Minuten später sitze ich mit Chair am Esstisch im Hauptraum unseres Appartements. „Ich weiß genau, wie ich dich darstellen will, Bel. Du bist Ei Karriero, also jemand mit nicht so schlechten Siegeschancen. Wir müssen dich als perfektes, liebenswürdiges Mädchen verkaufen, aber mit gewissen Tücken. Verstehst du was ich meine?", beginnt der Schwarzhaarige und sieht mich nach seinem kurzen Monolog durchdringend an. „Bin ich das nicht schon?", scherze ich und setze mein schönstes Lächeln auf. Chair schüttelt lachend den Kopf. „Konzentrier dich", sagt er, diesmal mit entspannterer Stimme. Etwa zwei Stunden sitzen wir da und diskutieren darüber, wie ich mich denn beim Interview zu verhalten habe, damit es mir Sponsoren bringt. Was es auch so schon tut, da ich schlicht und einfach ein Karriero bin. „Ruh dich noch etwas aus, Bel. Du schaffst das nachher, glaub mir." Mit diesen Worten entlässt mich Chair schließlich und schickt mich zurück in mein Zimmer.
Als ich am Abend, kurz vor dem Styling für das Interview, am Dinnertisch sitze, bediene ich mich noch einmal richtig am Essen. „Pass auf, Süße, sonst passt du gleich nicht mehr ins Kleid", grinst Evgeny, der daraufhin, sowohl für den Kosenamen als auch für den Kommentar, einen kühlen Blick von mir erntet.
Einige Zeit später befinde ich mich in einem Raum mit dunklen Wänden und vielen, wirklich sehr vielen Spiegeln. Mit mir in diesem Raum befindet sich meinem Vorbereitungsteam, welches direkt nach meinem Ankommen damit begonnen hat, mir die Haare und das Make-Up für das Interview zu machen. Meine Spannung auf das Kleid, dass ich tragen werde, steigt immer mehr. „Oh, du hast wunderschöne Haare, weißt du das?", sagt eine der Stylistinnen, während sie sich zwei meiner vorderen Strähnen greift und sie hinten zu einem winzigen Zopf flechtet, welcher perfekt auf meinen glatten, blonden Haaren liegt. Von ihrer Mähne kann man es leider nicht behaupten. Ihre feurig roten Haare hat sie zu einem strengen Dutt nach hinten gebunden hatte. Es war lustig anzusehen, wie keine einzige Strähne aus ihrer Frisur fiel, da sie ihren Haare scheinbar etwas zu viel Haargel gegönnt hat. Die Make-Up Artistin ist indessen voll und ganz mit meinem Gesicht beschäftigt. Ich sehe im Spiegel, wie sie meine Augenlider in einen rosé-glitzernden Hauch von Eleganz taucht. Je mehr Zeit in diesem Raum vergeht, desto mehr frage ich mich, wann Silver, mein Stylist, endlich mit meiner Abendrobe den Raum betritt. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, kommt der Mann mit den silbernen, langen Haaren und dem übertriebenen Schmuck in das Zimmer und mit ihm ein passend zu meiner Schminke rosé-farbenes Kleid, welches etwa die Hälfte meiner Oberschenkel bedecken dürfte. Der Stoff des Kleides ist ganz aus Tüll, so wie Chair es mir prophezeit hat. „Gott, das ist...", stammle ich, als Silver damit beginnt, mich mit diesem unglaublichen Kleid anzukleiden. Als er damit fertig ist, kann ich nichts anderes machen, als mich einige Minuten lang im Spiegel zu bewundern. „Gefällt es dir?", fragt Silver mit seinem übertrieben gekünstelten Lächeln, welches mir von Anfang an auf die Nerven gegangen ist. Aber ich muss zugeben, er ist ein extrem guter Stylist. Ich nicke; zu seiner Zufriedenheit. Ich fahre mir noch einmal durch die Haare, woraufhin mir aber die Stylistin mit den feuerroten Haaren auf die Hand schlägt. „Viel Glück, Isabèlle.", sagt Silver und schenkt mir noch einmal sein nervtötendes Lachen, bis er und die anderen mich dann im Raum alleine lassen. Fast in der gleichen Sekunde betritt Chair den Raum, allein. „Wow, Schätzchen. Respekt.", meint er, während er auf mich zukommt und einmal um mich herum geht. „Da haben Silver und sein Team aber ganze Arbeit geleistet." Bei diesen Worten lächle ich ein wenig, was er gleich zum Anlass nimmt, mich zu necken. „Ich meine damit, dass ich vorher nicht gedacht hätte, dass man aus Dir etwas Hübsches zaubern könnte.", sagt er mit einem provokanten Grinsen, wofür er gleich einen leichten Schlag von mir gegen die Schulter erntet. „Jetzt aber mal im Ernst. Du bist gleich als erste dran, das weißt du? Wir müssen in wenigen Sekunden zu den anderen Tributen, Bel. Denk daran, was ich dir vorhin gesagt habe in Punkto präsentieren. Du bist ein süßes, aber toughes Mädchen, okay?" Er nimmt mein Handgelenk, um mir den Ernst der Situation klarzumachen. „Das tut mir weh, Chair.", fauche ich, woraufhin er aber keine Anstalten macht, loszulassen. „Verstehst du das, Chair? Ich möchte nur, dass du überlebst. Ich setze mehr Hoffnungen in dich als in Evgeny, selbst wenn er die höhere Punktzahl hat. Ich weiß, was du kannst, und ich weiß, dass du Siegeschancen hast. Evgeny hat nicht annähernd so eine Intelligenz wie du, setz' sie verdammt nochmal ein und sei nicht so hochnäsig. Vor allem nicht vor dem Kapitol. Die müssen erkennen, dass sie auf dich setzen sollten.", trichtert er mir ein, während er mein Handgelenk immer fester umschließt. „Chair, es-", beginne ich, gebe es aber auf. „Ich versuch's, Chair." „Geht doch", sagt er, mehr oder weniger zufrieden, und lässt endlich mein Handgelenk los. Er dreht sich zu einem Tisch, auf welchem meine Schuhe stehen, natürlich ebenfalls rosé-farben. Sie sehen zerbrechlich, fast gläsern aus und dementsprechend vorsichtig nimmt der Schwarzhaarige sie auch hoch. Er reicht sie mir und ich schlüpfe, leicht zitternd, hinein. „Bereit?", flüstert Chair. „Bereit", sage ich bestimmt. Sofort lächelt er und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor wir zu den anderen Tributen gehen, wo Evgeny bereits auf mich wartet. Ich staune, als ich die anderen, wunderschönen Kleider sehe. Jiayi steht in einem eleganten, grün-blauem Kleid aus seidenem Stoff neben ihrem Distriktpartner, welches mit weißer Spitze verziert ist. Aber auch Olivia, welche in einem hellgrauen, schimmendern eng anliegenden Kleid gekleidet ist. Ihre Haare band man zu einem lockeren Dutt, wo einige ihrer lockigen Strähnen raushängen. Genauso Claudia, die in einem weißen Kleid erstrahlt, welches am unteren Kleidrand mit vielen kleinen schwarzen Steinchen verziert ist. Der Junge aus 10, James, sieht ebenfalls sehr elegant in seinem weißen Anzug mit seiner blau-grünen Krawatte aus. Cornelia aus 5 steht, genauso wie James, in einem sehr eleganten eleganten, dunkelroten Kleid da, welches ihre Füße nicht sehen lässt. Ich bin zu sehr darin vertieft, mir die anderen Tribute anzusehen, sodass ich das erste Mal, dass sie meinen Namen aufrufen, gar nicht reagiere. Erst als Evgeny mir auf die unbedeckte Schulter tippt realisiere ich, dass es losgeht. Einfach das sagen, was du mit Chair geübt hast. Gar nicht so schwer, oder? Leicht nervös, was mich überrascht, setze ich einen Fuß vor den anderen, bis ich hinter die Bühne gelange, wo einige Kapitolsbeauftragte auf mich warten, um mein Kleid und meine Haare ein letztes Mal zurecht zu zupfen. Ich höre einen tosenden Applaus, dann die Stimme eines jungen Mannes, höchstens 30, welcher die tobende Menge begrüßt und ein paar einleitende Worte von sich gibt. Ich werde immer nervöser, bis der Moderator, Nova heißt er, zu den Tributen kommt. „Beginnen wir mit Distrikt 1. Begrüßen Sie die bezaubernde Isabèlle DuMonde!" Kaum spricht er diese Worte aus, öffnet sich die Wand vor mir und ich trete, eleganten Schrittes, auf die Bühne. Ich glaube, so viele Menschen habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen wie sich in dieser Halle befinden. Und jeder einzelne von ihnen starrt mich an. Zu meinem Glück kommt Nova zu mir und bietet mir seinen Arm an, geleitet mich dann zum Interviewbereich. „Komm, setz dich doch, setz dich", lächelt Nova und zeigt mit der Hand auf den schwarzen Sessel neben seinem. Strahlend setze ich mich hin und schenke der Menge ein verführerisches Lächeln. „Also", beginnt Nova, „zuerst einmal: Was ein wunderschönes Kleid. Und was für ein wunderschönes Mädchen." Ich lächle geschmeichelt. Zustimmender Applaus vom Publikum. „Danke, vielen Dank. Ich muss sagen, dass Sie auch nicht gerade schlecht aussehen.", antworte ich zuckersüß. Nova und das Publikum lachen. „Nun zu ernsteren Dingen. Was hälst du denn von den 9 Punkten im Training? Eine gute Leistung?" „Oh, ich bin froh, so eine Wertung erhalten zu haben." Wieder ein Lächeln. „Soso", sagt Nova, „ich nehme an, du hast große Erwartungen an die Arena? Welches Gelände wäre Dir am Liebsten?", fragt er mich und schenkt dem Publikum ein Lachen. „Ich denke, ich komme mit jedem Gelände zurecht, solange es freie Flächen beinhaltet", sage ich lächelnd mit geheimnisvollem Unterton. Aus der Menge höre ich einige respektvolle 'Oh's und 'Uuh's. „Mutig mutig, liebe Isabèlle. Wirklich mutige Aussage.", meint der Platinblonde neben mir. „Ich denke, das ist eine überflüssige Frage, aber wieso hast du dich freiwillig gemeldet? Gab es irgendeinen besonderen Grund?" „Nun ja", beginne ich, „ich habe meine ganzes Leben darauf hingearbeitet. Und es ist mir eine wirkliche Ehre, teilnehmen zu dürfen. Ich denke, ich könnte die meisten der Tribute schon allein mit meinem Charme aus dem Wettbewerb schmeißen, wenn sie wissen was ich meine", schmunzle ich in Richtung Nova und zwinkere diesem zu. Dieser lacht, genauso wie das Publikum. Ich kann Chair schon fast jubeln hören. „Nun zur letzten und gleichzeitig wichtigsten Frage, meine bezaubernde Isabèlle.", trällert Nova. „Wieso, denkst du, könntest du die 30. Hungerspiele gewinnen?" Gespannte Blicke der Menge beharren auf mir. Damit habe ich nicht gerechnet, Chair sicherlich auch nicht. Jetzt nur nicht arrogant wirken, Bel. „Mein Können hat schließlich schon die Spielemacher überzeugt, die wirklich eine Ahnung haben. Das mag doch etwas heißen, oder nicht?", lache ich und sehe strahlend in die Menge. „Bei deinem Lächeln schmilzt doch sowieso jeder dahin", gibt Nova zurück während er sich erhebt, um mich zu verabschieden. Letzteres tue ich ebenfalls. „Nun, unsere Zeit ist leider schon vorbei", sagt er, mit gespielt schmollender Miene. Das Publikum gibt ein einstimmiges 'Ooooh' von sich. „Oh, ich könnte noch Stunden mit Ihnen weiterquatschen", trällere ich in das so einer schrillen Stimme wie Gina. „Einen herzlichen Applaus für unsere Isabèlle aus Distrikt 1!", ruft der Moderator neben mir und nimmt meine Hand, um sich mit mir zu verbeugen. Mit einem tosenden Applaus im Rücken verlasse ich die Bühne, lasse es mir jedoch nicht nehmen, mich zum Abschied noch einmal zu drehen. Mein Kleid fliegt etwas hoch und ich hoffe innerlich, dass man nichts gesehen hat, was man aus den Reaktionen der Menschen im Publikum zum Glück bestätigen kann. Ich setze mich in die erste Reihe auf einen Stuhl und warte darauf, dass Evgeny die Bühne betritt. Sein Interview verläuft ähnlich, ähnliche Fragen, genauso wie bei den nächsten Distrikten. Ich gähne, während ich auf den nächsten Tribute warte. Evgeny neben mir scheint es ähnlich zu gehen.

Survive | 30th Hunger Games (German ThG FanFiction) [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt