11. Aufruhr - Elias

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Nach Halloween war wie vor Halloween. Zumindest was Phillip betraf.
Wir hatten uns über eine Woche nicht gesehen, wegen der Herbstferien, doch kaum wieder in der Schule, ging er mir aus dem Weg. Und wenn es nicht ging, warf er mir verstohlene Blicke zu.

Und ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Immer noch nicht. Aber vielleicht wollte ich es gar nicht so genau wissen?

Und doch…

Der Effekt, den er und seine Blicke auf mich hatten, war beunruhigend. Immer, wenn er zu mir schaute, konnte ich es im Nacken kribbeln spüren. Jedes mal, wenn ich mich dann umsah, erwischte ich ihn beim starren. Dafür, dass er mich mied, war das verdammt oft.

Es war Donnerstag, der längste Tag in meinem Stundenplan, und ich war Mittags schon fix und fertig.

Ich plumpste auf einen der Alustühle, und mein Kopf landete mit einem dumpfen Laut auf dem Tisch. Dari setzte sich neben mich, Bana war noch eine Rauchen.
Da Donnerstag war, hatten wir uns alle Pizza bestellt. Die halbe Oberstufe machte das so.

Oh, ja, unsere Mittagsrunden hatten ein neues Feature – Tommy. Er und Bana waren unzertrennlich, selbst in den Ferien hatte ich sie kaum gesehen. Also war es keine Überraschung, als die beiden gemeinsam ankamen, vermutlich händchenhaltend. Meine Stirn drückte sich immer noch gegen das Metall des Tisches.

Ich fühlte mich seltsam frustriert, und die zwei machten es nicht gerade besser. Ich hörte Flüstern, gefolgt von Banas schüchternem Kichern, während Dari links von mir würgende Geräuschen von sich gab.

Meinen Kopf auf dem Tisch nach rechts drehend, schaute ich zu den Turteltauben, die sich gerade verträumt anblickten, und in mir machte sich ein nagendes Gefühl breit. Eine Art Leere.

Ich drückte wieder meine Stirn an das nun warme Metall.
Das Gespräch am Tisch blendete ich aus.
Eigentlich war ich immer ganz zufrieden gewesen. Nach allem, was passiert war…
Die Wunden waren verheilt, ich litt nicht mehr darunter.
Dachte ich.

Plötzlich stellten sich meine Nackenhaare auf, und ich stöhnte.

„Er guckt, oder?“

Am Tisch herrschte kurz Stille ob meiner unhöflichen Unterbrechung, aber Dari antwortet doch, leicht genervt.

„Ja. Dauernd. Mach endlich was!“

Ich stöhnte wieder.
Was sollte ich denn machen?
Wollte ich überhaupt etwas machen?

Es war seltsam, sich so über jemanden den Kopf zu zerbrechen, das war mir seit Jahren nicht passiert. Und es war frustrierend. Antworten bekam so keine.

Als Jubel in der kleinen Aula ausbrach, wusste ich, der Lieferant war mit dem Essen da. Dari sprang auf, um unsere Bestellung zu holen, während ich mich zögernd aufsetzte. Nur um von Phils honigfarbenen Augen zwei Tische weiter begrüßt zu werden. Sie weiteten sich erschrocken, ehe sie sich auf das Handy in seinen Händen richteten.

Mir entwich noch ein frustrierter Stöhner.
So konnte das doch nicht weitergehen!

Während ich an der Pizza knabberte, dachte ich nach.
Sollte ich ihn konfrontieren? War ja beim letzten Mal so gut gelaufen…
Sollte ich ihn ignorieren? Das war entnervend.
Genauso, wie meine Nachdenkerei.

Am Ende der Pause hatte ich nicht mal ein Stück meiner Pizza gegessen, Tommy nahm mit Freude den Rest an sich. Ich hatte sowieso keinen Appetit.

Die letzte Stunde hatten wir Chemie, und die ganze Zeit über konnte ich Phillips Blicke fühlen. Es war enervierend, so sehr, dass ich ihm am Ende der Stunde folgte. Er hatte es verdammt eilig, von mir weg zu kommen, und das ärgerte mich noch mehr.

Bei den selten benutzten Seiteneingang holte ich ihn schließlich ein, er stand vor der Treppe, als ich durch die Tür kam.

Ich gebe zu, ich dachte nicht nach.

Augenblicklich drehte er sich um, schaute mich überrascht an. Seine Haare waren zerzaust, als hätte er zu oft sein Hände durchgeschoben, seine Jacke noch offen, weil er es so eilig hatte.

Ich weiß nicht, was ich eigentlich vor hatte, aber als ich einen Schritt vorwärts machte, wich er zurück, an den Rand der Treppe. Würde er noch einen machen, würde er runter fallen. Und mit einem Mal wollte ich bloß noch verhindern, dass das passierte.

Also schnappte ich mir seine Hand, um ihn wegzuziehen, aber soweit kam es nicht, denn er entzog mir seine Finger und schrie.

„Fass mich nicht an!“

Phil taumelte etwas näher an den Rand.
Ich unterdrückte meine aufkeimende Wut.

„Hej, ich wollte nur-"

Er unterbrach mich brüllend.

„Lass mich in Ruhe!“

Er taumelte weiter.

„Hej, du fällst gl-" Ich wollte wieder nach seiner Hand greifen.

Aber er bemerkte es.

Stattdessen packte er mich am Kragen und drängte mich zurück, bis ich unsanft gegen die Wand stieß.
Zumindest konnte er so nicht mehr die Treppe runterfallen…

„Das ist alles deine Schuld!“

Zornig starrte er mich an, zog an meinem Mantel und stieß mich nochmal gegen das Gebäude, so dass ich mit dem Hinterkopf gegen die Wand knallte.

„Deine Schuld!“

Sein Gesicht war direkt vor meinem, ich konnte die goldenen Sprenkel in seinen Augen sehen. Und die Tränen, die sich darin sammelten. Ich sah seinen schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck.

Er war so nah. Mein Puls beschleunigte.

Ich hätte vieles tun können. Ich hätte mich losreißen können. Weggehen. Oder ich hätte ihn in den Arm nehmen können. Es zumindest versuchen. Ich hätte auch etwas sagen können, irgendwas. Aber, nein, ich tat das erste, was mir in den Sinn kam.

Ich küsste ihn.

Ich küsste Phillip.

Ernsthaft, ich war über mich selbst erschrocken. Tausende Gedanken rasten in dem Moment durch meinen Kopf, aber die Berührung unserer Lippen machte es mir unmöglich, auch nur einen davon zu fassen. Dafür breitete sich ein seltsam warmes Gefühl in mir aus, etwas, dass ich schon fast vergessen hatte.

So vieles hätte passieren können.
Er hätte davon laufen können.
Mich nochmal anschreien.
Mich schlagen.

Aber es passierte das letzte, womit ich gerechnet hätte.

Sein Körper presste sich gegen mich, seine Hände wanderten von meinem Hals zu meinem Hinterkopf, wo sie sich in meinen Haaren vergruben.

Aus der Wärme in mir wurde Feuer.

Oh, ich kannte dieses Gefühl.

Das war nicht nur Verlangen.

Das war mehr.

Oh Scheiße.


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Holla, ein Kuss!
Es wird spannend! 😉

Bye
DG

Elias und PhillipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt