Kapitel 12: Hogwartsexpress
Harrys Stimmung an diesem Abend war miserabel. Er war einfach heillos überfordert mit all den wuseligen, aufgeregten und überenthusiastischen Weasleys. Aber am schlimmsten war Hermine, die nun fest davon ausging, dass sowohl Harry als auch Ron mit nach Hogwarts kämen und dabei über jeden Protest erhaben war. Sie hatte kurz damit zu kämpfen gehabt, dass sie selbst nicht Schulsprecherin geworden war, aber die Aussicht auf den vielen, nachzuholenden Lernstoff, glich dies schnell für sie aus.
„Ich werde eh keine Zeit für Verpflichtungen neben dem Lehrplan haben!", warf sie immer wieder ungefragt ein, wenn das Thema darauf kam. Im Verlauf des Nachmittags hatte Harry immer weniger an den Unterhaltungen teilgenommen. Eigentlich hörte er nicht einmal mehr richtig zu. Er nahm wahr, dass Mrs. Weasley ihn in den Arm nahm und Mr. Weasley ihm auf die Schulter klopfte, aber alle weiteren Kommentare und Gespräche hörte er nur wie durch Watte.
Erst als die Unterhaltungen plötzlich verstummten, bemerkte er, dass er vom Tisch aufgestanden war. Er murmelte eine Entschuldigung und verließ das Abendessen.
„Was ist denn los?", hörte er Hermine die Anderen fragen, aber Harry ging einfach die Treppe rauf. Er hätte auch selbst nicht sagen können, was mit ihm los war.
Harry erwartete Ron in seinem Zimmer vorzufinden, denn dieser war den ganzen Abend nicht wieder herunter gekommen. Doch stattdessen war das Dachzimmer leer. Die Luke zur Dachkammer stand allerdings offen und Rons Stimme war von oben zu hören. Leise kletterte Harry die Leiter hoch und blickte in die kleine Abstellkammer in der Spitze des Dachfirstes. Ron saß auf dem Boden, neben einer zerlumpten Matratze. Auf der unordentlichen Schlafstätte kauerte ein rothaariges, pickeliges Etwas, dass hin und wieder ein tiefes Stöhnen von sich gab.
„Hey", sagte Harry vorsichtig und schaute von dem Ghul im grünen Pyjama zu seinem besten Freund. Ron drehte sich um und nickte ihm zu. „Was machst du hier?"
Ron zuckte mit den Schultern. „Ich komme oft hier hoch. Weißt du, es ist schwer für ihn wieder allein auf dem Dachboden zu wohnen, nachdem er so lange in meinem Zimmer geschlafen hat. Dad hat sich ziemlich intensiv mit ihm beschäftigt und George hat ihm einigen Blödsinn beigebracht." Ron schnitt eine Grimasse und der Ghul tat es ihm nach. Seine lange Zunge erreichte dabei fast sein Kinn und er begann röchelnd zu lachen.
„Jetzt seh ich die Familienähnlichkeit!", witzelte Harry und setzte sich neben Ron. Ein Weilchen saßen die Drei so still zusammen bis Ron leise wieder zu sprechen begann: „Außerdem ist er ein sehr guter Zuhörer. Ich hab in den letzten Monaten oft jemanden zum Reden gebraucht, da haben wir einander Gesellschaft geleistet."
Harry schluckte. Er war Ron wirklich kein guter Freund gewesen, nicht nur in letzter Zeit. Er fummelte ungemütlich an einigen losen Nägeln im Boden herum. Es war ihm unangenehm mit Ron über seine Gefühle zu reden und eigentlich hatte er sich ja auch schon oft genug entschuldigt.
„Was ist das mit dir und Hermine?", fragte Harry stattdessen. Ron sah ihn kurz irritiert an, sackte dann allerdings in sich zusammen.
„Wenn ich das wüsste, Mann!" Ron seufzte tief und starrte hinauf zu den Dachbalken. „Vielleicht hätte ich sie nicht nach Australien gehen lassen sollen. Sie war so verdammt lang weg. Oder ich hätte mitgehen sollen. Aber das ging ja auch nicht wirklich. Ich hatte hier zu tun, ich musste mich um Mum kümmern, um die Beerdigungen und die ganzen Presseleute. Weißt du, dass drei Wochen lang die Reporter vom Tagespropheten in unserer Hecke gelauert haben? Dad hat schließlich einen Vergessenszauber auf die Büsche gelegt, damit sie uns in Ruhe lassen. Einer von denen hat daraufhin komplett die Orientierung verloren, ist gradewegs übers Feld gestapft und im Teich gelandet. Die Muggel-Feuerwerkler haben ihn dann da rausgezogen." Harry musste schmunzeln.
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Harry Potter und die verlorene Zeit
FanfictionDer Krieg ist endlich vorbei, eine Zeit des Wiederaufbaus beginnt. Doch für Harry Potter, den Jungen der überlebte, starb und wieder lebt, wird es Zeit erwachsen zu werden. Und das ohne jemals eine richtige Kindheit oder Jugend gehabt zu haben. Die...