Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen stand ich vor dem Schreibtisch meiner Chefin. Sie seufzte, holte tief Luft und stieß sie dann eine lange Zeit wieder aus. So lange hatte ich noch Schonfrist, doch im nächsten Moment war sie schon aufgestanden und sah mich mit einem wütenden Ausdruck an. Ich rührte mich nicht. Natürlich wusste ich schon, was mir bevorstand und hatte mich - zumindest mental - bereits darauf vorbereiten können. Schon in der ersten Arbeitswoche hatte ich gemerkt, dass mir ein Job als Servicekraft in einem Café nicht lag, dennoch hatte ich weitergemacht und geglaubt, es lernen zu können. Oder mich zumindest daran zu gewöhnen. Zwei Monate und ein paar unzufriedene Kunden später stand ich jedoch nun hier und sah meiner Kündigung entgegen.
"Kiran, ich habe jetzt lange genug Verständnis für dich gezeigt, aber das, was heute passiert ist ... so etwas kann und darf hier nicht vorkommen. Nicht nur haben wir jetzt zwei Kunden, die vollkommen durchnässt und verklebt sind, sondern es wurde auch noch ein Smartphone zerstört. Du weißt, dass du dafür aufkommen wirst. Und du bist gefeuert. Ich möchte, dass du deine Sachen aus deinem Spind nimmst und gehst. Ich schicke dir die Rechnung für das zerstörte Smartphone."
Dem gab es wohl nichts mehr hinzuzufügen. Zumindest nicht von Seiten meiner Chefin, die mich noch immer wütenden Blickes betrachtete. Ich hatte jedoch noch etwas zu sagen, allerdings hob meine Chefin bei der kleinsten Bewegung meinerseits direkt die Hand.
"Ich will keine Entschuldigungen hören. Ich habe dir schon eine Menge durchgehen lassen, weil ich Mitleid hatte, aber irgendwann nimmt meine Geduld auch ein Ende, Kiran."
Meine Chefin fuhr sich durch das lange Haar und deutete mit zusammengebissenen Zähnen auf die Tür hinter mir. Ich atmete tief ein und aus, verbeugte mich und verließ den Raum ohne ein Wort. Ich war gekommen, ohne eine Entschuldigung auf den Lippen, hatte mich für das verteidigen wollen, was wirklich passiert war, so dass mir zumindest der Schadensersatz für das Smartphone des Kunden erspart blieb, doch sie hatte mir keine Chance gegeben und so hatte ich nicht die Notwendigkeit gesehen, mich von ihr zu verabschieden.Ich rauschte in den Personalraum und tauschte meine Kellnerinnen-Kleidung gegen meine Jeans und den löchrigen Kapuzenpullover. Die kühle Frühherbstluft schlug mir entgegen, als ich durch die Hintertür das Café verließ. Da ich keine Jacke trug, schlang ich meine Arme um mich und verließ die kleine Gasse, um zur Busstation zu gelangen. Wenn ich schon den restlichen Tag frei hatte, konnte ich ihn genauso gut mit Lernen in der Universitätsbibliothek verbringen. So lange ich mein Studium noch bezahlen konnte, sollte ich das wohl ausnutzen. Auch wenn ich nicht wusste, was es mir bringen sollte, sollte ich das Studium aufgrund von Geldmangel abbrechen müssen.
Der Bus kam angefahren und ich suchte mir umgehend einen Einzelplatz. Als ich mein Handy aus meinem Rucksack kramte, trudelten gerade ein Dutzend Nachrichten ein.Miyoung: Ich weiß, du siehst meine Nachrichten erst nach deiner Schicht, aber
Miyoung: Ran, du wirst es mir nicht glauben.
Miyoung: Warte, du liest mit?
Miyoung: Warum bist du online?
Ich: Bin gefeuert worden.Der Nachrichtenstrom stoppte für einen Moment und ich nahm mir die Zeit, in der ich auf Miyoungs Fragen und Mitleidsbekundigungen wartete, um meine Kopfhörer zu entwirren und in meiner Playlist nach dem richtigen Song zu suchen.
Miyoung: Wieso bist du schon wieder gefeuert worden? Das tut mir so leid, Ran.
Ich: Schon gut. Habe eine Bestellung auf zwei Kunden geschüttet und das Smartphone von so 'nem Typen zerstört, der beim Vorbeigehen meinen Rock angehoben hat.
Miyoung: DAFÜR bist du gefeuert worden? Weil dich ein Kerl mutwillig angefasst hat?
Miyoung: Lass mich Jisung davon erzählen, er kann da sicherlich etwas machen.
Ich: Nein!
Ich: Ich will nicht von deinem Sugar Daddy irgendeinen Gefallen einfordern.
Miyoung: Hey! Er ist nicht mehr nur mein Sugar Daddy. Und außerdem würde er nur dafür sorgen, dass du deinen Job wiederbekommst, ohne eine Gegenleistung einzufordern. Zumindest würde er sie nicht bei dir einfordern. ;)
Ich: Ich würge gleich. Musste der Smiley wirklich sein?
Miyoung: Natürlich! ;)
Miyoung: ;)
Miyoung: ;)Ich sperrte mein Handy und lauschte weiter Chopin bis ich an meiner Zielhaltestelle angekommen war. Beim Aufstehen riss ich mir selbst einen Kopfhörer aus dem Ohr und verließ innerlich fluchend den Bus, während ich gegen meinen linken Ohrflügel drückte, in der Hoffnung, den plötzlichen Druckwechsel wieder ausgleichen zu können. Vergeblich.
Nach ein paar Metern war die Sache aber schon wieder vergessen und die Universität bereits in Sicht. Ich betrat das Bibliotheksgebäude und atmete den Duft verstaubender Bücher und rauchender Köpfe ein. Hier würde ich abschalten können, zusammen mit meiner Musik und meinen Lernunterlagen. Und vielleicht einer neuen Portraitzeichnung der alten, fröhlichen Bibliothekarin. Es war nicht schwer, einen Platz in der Nähe der Bücherausgabe zu ergattern, am beliebtesten waren ohnehin immer die Plätze im hinteren Teil der Universitätsbibliothek.
Ein letztes Mal sah ich auf meine Nachrichten, die aus zehn weiteren zwinkernden Smileys und dem Bild einer teuren Luxushandtasche bestanden, die Miyoung mir noch geschickt hatte. Das war bestimmt das gewesen, was sie mir hatte mitteilen wollen.
Einsilbig schrieb ich ihr ein "Hübsch" zurück und widmete mich dann meinem momentanen Thema für Kunsthistorik. Ich vertiefte mich ganz und gar in meine Studien, dass ich die Zeit beinahe vergaß. Zu meiner Zeichnung kam ich leider nicht mehr.Rennend hatte ich die Bibliothek verlassen, noch gerade eben so meinen Bus erreicht und fuhr nun nach Hause. Zuhause bedeutete für mich ein enges, überteuertes Ein-Zimmer-Appartement, das neben dem Appartement eines ständig betrunkenen Mannes lag, der in genau fünfundvierzig Minuten pöbelnd versuchen würde seine Tür aufzuschließen, während ich versuchte zu lernen oder meine Rechnungen ordnete und abermals ausrechnete wann ich was und wie bezahlen konnte. Heute würde es wohl letzteres werden, denn ich musste mir dringend überlegen, wie ich den großen Schuldenberg beglich, der sich aufgehäuft hatte und gleichzeitig noch wie ich meine Wohnung und das Studium finanzieren sollte.
Im Internet suchte ich nach Stellenanzeigen für Jobs, die ich gut neben dem Studium und meinem Wochenendjob in einer kleineren Bibliothek der Stadt machen konnte, doch das meiste waren Kellner-Jobs von denen ich die Nase wirklich voll hatte. Ich könnte in einem Modegeschäft aushelfen. Mit Mode kannte ich mich allerdings kein bisschen aus. Das beste Kleidungsstück, das ich besaß, war ein schlichtes, schwarzes Kleid, das ich hin und wieder getragen hatte, wenn Miyoung und ich in einen Club gegangen waren.
Ich ließ die Jobsuche erst einmal auf sich beruhen. Zuhause konnte ich noch immer durch Stellenanzeigen scrollen und Bewerbungen abschicken. Erst einmal musste ich aber vor meinem Nachbarn ankommen.[Hi, Leuts! Eine neue Story?! Eine neue Story! Aber mit kurzen Kapiteln für zwischendurch. Ich habe sie vor einem Jahr begonnen und am Anfang dieses Jahres wieder aus meinen Entwürfen gekramt, den Klappentext geändert (da die Idee erst ganz anders ausgefallen war) und mir gedacht, dass es endlich Zeit wird für diese Geschichte. Es könnte sein, dass sich mein Schreibstil innerhalb der Story minimal geändert hat und der Ton ist etwas anders, als meine momentanen anderen Werke, aber ich hoffe, dass die Geschichte trotzdem auf Interesse stoßen wird.
Im Anschluss findet ihr noch ein Kapitel. Ab nächste Woche kommt die Story dann jeden Donnerstag! <3]
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Sugar Coated || min yoongi
FanfictionKunststudentin Lim Kiran ist pleite, hoch verschuldet und braucht dringend einen neuen Job. Ihre vorherigen Nebenjobs endeten entweder im Desaster oder bezahlten nicht genug, um ihre anfallenden Studiengebühren und die Mietkosten ihrer Ein-Zimmer-Wo...