Kapitel 104

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Nell's Sicht:

"Nell, alles in Ordnung?" fragte Felix direkt. Obwohl das ganz und gar nicht der Fall war, nickte ich hektisch. Ich wischte mir schnell die Tränen aus dem Gesicht, schniefte dabei und ging dann auf Felix zu, um ihn zu stützen, weil er ziemlich humpelte. Während er seinen Arm über meine Schulter legte, blickte er mich kritisch von der Seite an. Ich versuchte, seinem Blick auszuweichen und führte ihn zur Bank. Ich fühlte mich von seinen Blicken durchbohrt, als ich mir seinen Fuß ansah. Auf einmal zuckte er aber vor Schmerz zusammen, sodass er sich glücklicherweise auf sich selbst konzentrierte. Dachte ich zumindest. Mit Gewalt versuchte ich, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, als er plötzlich seine Hand auf meine Schulter legte. Ich schreckte auf. "Unser Arzt hat sich das schon angesehen. Du musst das nicht tun." meinte er. "W-wieso? Es ist alles okay, wirklich..." murmelte ich und senkte den Blick wieder. Wie Mario es immer tat, hob Felix mein Kinn mit den Fingern an. "Gar nichts ist okay. Ich weiß nicht, was hier gerade passiert ist und es geht mich auch nichts an, aber es hat dich offensichtlich verstört und deshalb gehen wir jetzt zu meinen Eltern und Mario." beschloss er. Ich brachte nur ein Nicken zu Stande. Als ich mich erhob, erledigte sich unser Vorhaben von selbst. Mario kam in die Kabine gestürzt und sah seinen Bruder besorgt an. Dessen Blick haftete weiter auf mir. "Ist nicht so schlimm." winkte er ab. "Meine Fresse, die haben auch noch nie was von 'fair play' gehört, oder?" regte sich Mario trotzdem auf. Ich nutzte die Gelegenheit und verschwand aus dem Raum. Mario blickte mir verwirrt hinterher. Kurz bevor die Tür hinter mir zufiel hörte ich Felix noch sagen "Irgendetwas stimmt nicht mit ihr." Trotzdem lief ich einfach weiter. Weil ich Mario keine Schlagzeilen bescheren wollte, blieb ich in den Katakomben. Als Mario und Felix schließlich inklusive Astrid und Jürgen auftauchten, hatte ich schon Angst vor Mario's Fragen. Seltsamerweise lächelte er mich nur an und drückte mir einen kurzen Kuss auf, bevor er eine Hand auf meinen Rücken legte und mich mit sich schob. Wie wir uns von seiner Familie verabschiedeten und zum Auto liefen, bekam ich gar nicht mehr mit. Meine Gedanken waren bei Schiebler. Zum ersten mal geisterte mir nicht die Angst vor Schiebler im Kopf herum, sondern jegliche Beleidigungen. Bushido's Liedtexte waren ein Witz gegen das, was ich in dem Moment über ihn dachte. Wochenlange Arbeit hatte er mir kaputt gemacht. Und nicht nur das! Dadurch würde ich meinen Job bei Bayern nicht behalten können. Wie sollte ich das Pep erklären? Und Mario würde auch Fragen stellen. "Hallo, Nell, noch da?" holte mich Mario aus den Gedanken. Ich blickte ihn verwirrt an. "Hmm?" machte ich. Mario lachte leise. "Wir sind da." erklärte er. "Oh, ja..." murmelte ich und stieg jetzt aus. Als wir oben ankamen, gähnte ich gespielt. "Ich geh gleich schlafen." verkündete ich dann. "Ich komm auch gleich." meinte Mario dann und verschwand in der Küche. Auch wenn mir das nicht wirklich recht war, ging ich ins Schlafzimmer. Ich zog mich aus und griff kurzerhand nach einem Pulli von Mario. Sein Duft umgab mich sofort und ich blieb einen Moment stehen, um es zu genießen. Plötzlich schlangen sich zwei starke Arme um mich. In der einen Hand hatte Mario eine Rose. "Hast du ein Problem mit Rosen?" lachte ich. Er legte sein Kinn auf meine Schulter. "Wieso?" fragte er, wobei sein warmer Atem auf meiner Haut kribbelte. "Du schenkst mir ständig Rosen. Letztens dein 'Such-Spiel'?" erinnerte ich ihn. Augenblicklich ließ er mich los. Hatte ich jetzt was falsches gesagt? Im selben Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der schief gelaufene Heiratsantrag. Gerade wollte ich ihm sagen, dass ich alles wusste, als mir auf dem Boden etwas ins Auge fiel. Aus der Hosentasche meiner Jeans lugten die Überreste meines USB-Sticks heraus. Ich legte meine Hände auf Mario's Brust und schob ihn zum Bett. "Was wird das?" wollte er wissen und sah mir in die Augen. Als ich nicht sofort antwortete, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er beugte sich ein Stück herunter und küsste mich. Ich hatte keine Wahl und ging darauf ein, um ihn abzulenken. Dann schob ich ihn rückwärts zum Bett. Nur weg vom USB-Stick! Ihm etwas vorzumachen, war das mieseste, was ich tun konnte. Und trotzdem ließ ich ihn weiter gehen. Ich lag auf ihm, doch er drehte uns jetzt so, dass er seine Arme links und rechts von mir auf die Matratze stützte. Ich ließ meine Fingerspitzen unter seinem Oberteil auf seine Bauchmuskeln gleiten, worauf er mich anlächelte. Dann beugte er sich runter und begann mich sanft zu küssen. Ich erwiderte den Kuss und zögerte das Unvermeidbare immer weiter hinaus. Zum ersten Mal hatte ich wirklich Angst, mit Mario intimer zu werden. Er wurde immer verlangender und ließ eine Hand über meinen Körper wandern. Mit dem Verlangen intensivierte sich - so unsinnig es klingen mag - auch die Liebe, die von ihm ausging. Ich gelangte an den Punkt, wo ich schon Bauchschmerzen bekam, weil ich ihm etwas vorspielte. Ich wollte und konnte nicht mit ihm schlafen. Aber was würde passieren, wenn ich ihm von heute Mittag erzählen würde? Nicht nur Mario würde ausrasten, auch Schiebler, das hatte er mir klar gemacht. In der Zwischenzeit waren Mario's Küsse bis hinab zu meinem Bauch gewandert, wo ich ihn jetzt aufhielt. "Mario..." flüsterte ich. Ich reagierte nicht. Entweder er hatte es als Stöhnen wahrgenommen oder er hatte es wirklich nicht gehört. Ich legte meine zitternde Hand auf seine nackte Schulter. Wann hatte er sich ausgezogen?! "Mario." wiederholte ich dann etwas lauter. Er hob den Kopf und sah mich an. Völlig unpassend musste ich mal wieder feststellen wie süß er aussah, wenn seine Haare so zerzaust waren, wie gerade. "Ich..." begann ich. Was sollte ich sagen? Als ob er ahnen würde, dass ich ihn davon abhalten wollte, weiter zu gehen, ließ er von mir ab und setzte sich mit gesenktem Blick auf das Bett. Ich hatte ihn also jetzt schon vergrault. "Was ist?" fragte er kalt und bewies mir damit, dass sich meine Vermutung bestätigte. "Ich... Heute im Stadion..." Nein, ich konnte ihm das nicht sagen. Ich sprang auf und rannte aus dem Raum ins Bad. Dort schloss ich mich ein. Nachdem ich mir kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, fiel es mir ein. Der USB-Stick. Ich hatte ihn liegen lassen. Ich schloss wieder auf und ging zurück ins Schlafzimmer. Mario war eingeschlafen. Oder er tat zumindest so. Der Stick lag an der selben Stelle wie zuvor. Ich schlüpfte ins Bett und versteckte den Stick dabei unter meinem Kopfkissen, weil ich ja nicht wusste, ob Mario wirklich schlief. Ich lag gefühlte Stunden wach und starrte in die Dunkelheit. Ich wagte es nicht, Mario ein einziges Mal anzusehen, weil ich das Gefühl hatte, seinen Blick auf mir zu spüren. Gerade als Schiebler wieder in meinen Gedanken auftauchte, berührte Mario ganz leicht meinen Arm. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich hochschreckte und mir augenblicklich die Tränen in die Augen schossen. War ich psychisch wirklich so instabil? Zu allem Übel entfuhr mir noch ein Schluchzen. Fast sofort spürte ich Mario's Hand auf meinem Rücken. "Er war wieder da, oder? Heute im Stadion." sprach er leise. Dadurch brach ich nur noch mehr in Tränen aus. "Komm her." forderte er. "Ich bin so eine verdammte Heulsuse, Mario. Wie hältst du es nur mit mir aus?" jammerte ich stattdessen. Er zog an meiner Schulter, bis ich mich zurück ins Kissen sinken ließ und er mich in den Arm nehmen konnte. "Du wirst von einem Psychopaten erpresst. Welcher Mensch bleibt da noch ruhig?" meinte er. Ich sagte nichts dazu, sondern kuschelte mich noch enger an ihn. "Was hat er diesmal getan?" wollte er schließlich wissen. "Er hat mich nicht angefasst, aber..." begann ich, stockte dann aber. "Warum hast du mich dann nicht an dich rangelassen?" bohrte er weiter. "Ich...ich wollte dich ablenken, damit du den hier nicht siehst..."erklärte ich und zog den kaputten USB-Stick unter meinem Kissen hervor. "...aber ich hab es einfach nicht fertiggebracht, dich weiter anzulügen." fuhr ich fort. Er starrte mit großen Augen auf den Stick. "Deine Arbeit..." murmelte er. "Alles weg." schluchzte ich nur wieder und brach erneut in Tränen aus. Ich erwartete, dass er mich jetzt trösten würde, aber als zu ihm hochblickte, starrte er konzentriert an einen Punkt in der Luft. "Mario?" machte ich mich zögerlich bemerkbar. Seine Augen leuchteten auf und er packte mich an den Schultern. "Nell, das ist es! Deine Arbeit ist nicht weg!" freute er sich. Ich sah ihn verwirrt an. Er küsste mich überschwänglich. "Hä?" brachte ich nur hervor. Er legte seine Hände um mein Gesicht. "Sie ist nicht weg!" wiederholte er nur. Ich tat es ihm nach und legte meine Hände an seine Wangen. "Mario. Du. Redest. Jetzt. Ganze. Sätze. Okay?" forderte ich. Ich war kurz vor dem Ausrasten, als er weiterhin nichts sagte und aufsprang. Er stürmte einmal quer durchs Zimmer. Er zog seine Tasche hervor, die immernoch nicht ausgepackt war und wühlte darin. Schließlich zog er mit triumphierendem Grinsen einen dicken Stapel Papier hervor, der einigermaßen heil die Fahrt hierher überstanden hatte. Er kam zurück und warf den Stapel vor meine Nase. Bevor ich anfangen konnte zu lesen, was sich dahinter verbarg, erklärte Mario "Letztes mal als du nachts geschrieben hast, habe ich aus Versehen die falsche Taste gedrückt und damit deine ganze Arbeit ausgedruckt." Mir blieb der Mund offen stehen. "Man kann sie einscannen und du hast alles wieder!" schob er strahlend hinterher. Mein Herzschlag beschleunigte sich mit jeder verstreichenden Millisekunde, bevor ich mich aufrappelte und in Mario's Arme sprang. Dabei quietschte ich vor Freude. Mario lachte und drehte sich mit mir einmal um sich selbst. Von dem Schwung fielend wir gemeinsam lachend aufs Bett. Ich landete auf Mario und knutschte ihn ab. "Du bist mein Held! Danke, danke, danke!" rief ich dann aus. "Dank nicht mir, dank meiner Schusseligkeit." lachte er...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt