Prolog - Die Raubtiere werden eingeladen

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In einer alternativen Zeitlinie, zur ungefähr gleichen Zeit, in welcher das Worse-Szenario stattgefunden hat, lauern zwei raubtierhafte Männer ihrem Opfer auf. Zwei Brüder, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Angefangen damit, dass der ältere Bruder noch ein lebendiger Mensch ist, während der Jüngere eine Art „Wiedergeborener" ist. Ein loyaler Streiter des gesichtslosen Mannes im dunklen Anzug. Man nennt diese Art auch „Proxy". Das violette Auge auf der hellgrünen Robe wie wild umherhuschend, lauscht der bleiche, dunkelhaarige junge Mann in die Geräuschvielfalt des Waldes auf etwas, das dort nicht hingehört.

Selbiges versucht der ältere Bruder, dessen Silhouette in der Dunkelheit aufgrund seiner verschiedenfarbigen, leuchtenden Augen erhellt wird. Wie auf Bestellung vernehmen beide das Knacken im Unterholz. Sie brauchen nichts zu sagen, sondern schauen sich vielsagend an. Tauschen blutrünstiges Grinsen aus. Unter ihrem Baum eilt ihre Beute orientierungslos und keuchend vorbei. Ihm ist die Erschöpfung einer langen Flucht in Form von unnachgiebig tropfenden Schweißperlen und kehliger Schnappatmung unverkennbar anzusehen. Millennium klatscht kräftig in die Hände und mit einem Mal hält die menschliche Beute inne. Bekommt einen immer trüber werdenden Blick. Sleepless und Millennium lassen sich elegant vom Ast fallen und kommen geübt und leichtfüßig auf dem Boden auf. Breit grinsend besieht sich Sleepless, der ältere Bruder, den armen Teufel vor sich. Beide umkreisen langsamen Schrittes ihr Opfer, die reine Mordlust lodert wie ein unbändiger Waldbrand in den Augen der menschlichen Raubtiere.

„Jetzt los. Entferne die Illusion, Brüderchen", knurrt Sleepless breit grinsend und zieht aus der Tasche seiner braunen Lederjacke ein dünnes, maximal geschärftes Skalpell hervor.
„Mit Vergnügen, Raphie", erwidert der kleine Bruder, schnippst mit den Fingern und sogleich ist die nebelwandartige Illusionswelt des armen Teufels verschwunden. Einige sinnentleerte Augenblicke benötigt der Gejagte, um sich der tatsächlichen Realität gewahr zu werden, ehe seinem Gesicht sämtliche Farbe entweicht. Er stolpert etwas zurück, als er den diabolisch grinsenden Sleepless sieht, direkt gegen den hinter ihm wartenden Millennium. 

„Wohin des Weges?", kommt sanft lächelnd vom Proxy, dessen kreuzförmige Narbe, die über seine Augen verläuft, ihm eine gespenstische Ausstrahlung verleiht. Die Panik innerhalb des blonden, armen Teufels erreicht neue Dimensionen. Bis vor kurzem hat er nicht genau gewusst, wovor er da eigentlich flieht. Es ist, als hätte ihn eine ungreifbare Instanz aus der Wohnung herausgetrieben. Ihn in einem Zustand der immer stärker werdenden Panik verfallen lassen. Seine Gedanken in eine Richtung gelenkt, sodass die Idee, in den Wald zu flüchten eine wahrhaft verführerische geworden ist.

„Was wollt ihr von mir?", fragt der arme Teufel unsicher, wie die jetzige Situation mit der vorherigen zusammenpasst, jedoch setzt das Realisieren schneller ein, als gut für die geistige Gesundheit der Beute wäre. Sleepless und Millennium beginnen von Neuem damit, ihr Gegenüber zu umkreise. Das breite Grinsen des schlaflosen Serienmörders mit den verschiedenfarbigen Augen spiegelt die schiere Blutlust in ihrer vollkommenen Reinform wieder. Millenniums Ausdruck bleibt deutlich neutraler, doch auch seine Augen triefen vor Blutlust. Der Drang vor den beiden jungen Männern zu fliehen ist beinahe überwältigend stark. Doch tiefsitzende Angst, welche Millennium seit einiger Zeit kontinuirlich in die Psyche des Opfers einspeist, lähmt den Blonden in seiner Bewegung. Sleepless ist der Erste, der seiner triebhaften Begierde nach Gewalt nachgibt. Wie eine wildgewordene Bestie stürzt sich der heterochrome Serienmörder auf seine verzweifelte Beute und ringt diese gekonnt zu Boden. Dessen Arme durch das Aufstützen der Knie am Boden fixiert, lässt der Braunhaarige gekonnt seine hauchdünne Edelstahlklinge durch die Fingerspalten gleiten.

„Selbst wenn ich es könnte, würde ich dir nicht garantieren, dass das hier schnell schmerzlos ablaufen wird. Werde das hier in vollen Zügen genießen", sagt Sleepless mit kaum zu überhörendem Genuss in der Stimme.
„B-Bitte!", schreit das Opfer, welches erst jetzt die Stimme wiedergefunden zu haben scheint unter heftigen Zappeleinheiten, um sich aus der Gewalt des Raubtieres zu befreien. Vergeblich. Die breite Statur des Serienmörders braucht kaum die Hälfte seines durch Muskeln gegebenes Gewichtes, um ein unüberwindbares Hindernis darzustellen.

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