Kapitel 2 - Eine verhängnisvolle Nacht

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Mutter schien meine Distanziertheit nicht aufgefallen zu sein, sie war offensichtlich ganz hingerissen von Lancelot. »Er ist erst vor einer Woche in London angekommen. Sagt mir, my Lord, welche Stadt hat euch am besten gefallen? Sicherlich war es Rom, alle schwärmen davon« 

Er schenkte meiner Mutter ein warmes Lächeln und ich konnte deutlich hören, wie Audrey im Hintergrund schwärmerisch aufseufzte. »Nun, Rom war zweifellos wunderschön, aber Florenz stand dem in nichts nach. Die Architektur in Italien ist wirklich spektakulär« Diesmal sprach er nicht mehr zu Mutter, sondern zu mir. Jedenfalls kam es mir so vor. »Lucinda« meinte diese jetzt. »Wie wäre es, wenn du Lord Pembroke den Garten zeigst. Er war schon so lange nicht mehr hier und ich bin sicher, dass er gerne unseren neuen Rosenpavillon sehen möchte« Letzteres bezweifelte ich stark, aber ich wollte sie nicht verärgern, also ließ ich mir nichts anmerken und trat auf Lancelot zu. »Selbstverständlich, Mutter. Darf ich bitten, my Lord?« 

Er bot mir seinen Arm an, den ich sogleich ergriff, dann führte ich ihn aus dem Salon in den kleinen Stadtgarten hinter unserem Haus. Auch wenn es bereits Nacht war, spendeten die Laternen und Fackeln, die den Kiesweg säumten, genug Licht, um alles zu erkennen und nicht versehentlich die Rosenbeete niederzutrampeln. »Es ist schön, euch wiederzusehen, my Lady!« sagte Lancelot vorsichtig. Als ich nichts erwiderte, redete er einfach weiter. »Es ist wirklich lange her, nicht wahr? Wie alt seid ihr jetzt?«

 Diesmal antwortete ich ihm, allerdings mit einem etwas zerknirschten Unterton in der Stimme: »Vierundzwanzig. Das sollten eure Lordschaft eigentlich wissen, immerhin sind wir gleich alt«. Hatte ich ihm wirklich so wenig bedeutet, dass er sich nicht mal das hatte merken können? Lancelot stieß frustriert die Luft aus: »Was soll das, Liebes? Warum behandelt ihr mich so kalt? Ich hätte mit etwas mehr Wiedersehensfreude gerechnet, um ehrlich zu sein.« Ich ignorierte ihn stoisch und beschleunigte meine Schritte. Keine Sekunde länger wollte ich mit ihm allein hier draußen sein. Je schneller ich es hinter mich brachte, desto besser.

 »Hier, das ist der Pavillon. Viele Rosen, eine Bank, zwei Laternen. Man vermisst uns sicher schon, wir sollten umkehren, my Lord.« 

Rasch drehte ich mich auf dem Absatz um und ließ ihn unter dem hellen Marmordach zurück. Der Kies knirschte unter meinen Seidenschuhen während ich davonlief, und ich war froh um die kühle Nachtluft, denn mein Korsett drückte unangenehm und ließ allzu tiefe Atemzüge nicht zu. Ich hatte gerade einmal den alten Apfelbaum erreicht, da hielt Lancelot mich am Ellbogen fest und drehte mich grob zu ihm um. Ich entriss ihm meinen Arm, blieb aber vor ihm stehen und bedachte ihn mit einem wütenden Gesichtsausdruck. 

»Was wollt ihr von mir, Lancelot?« Einen Moment lang sagte er gar nichts, sah mich nur an und blieb mit seinem Blick an meinen Lippen hängen. Wollte er mich etwa küssen? Intuitiv wich ich zurück und riss ihn damit aus seiner Trance. »Liebes, ich...« begann er, aber ich ließ ihn nicht ausreden.

 »Wagt es ja nicht! Denkt ihr etwa, ich könnte einfach vergessen, was ihr mir angetan habt?« In diesem Moment war ich sehr stolz darauf, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Denn das viel mir weiß Gott nicht leicht. Drei Jahre hatte ich Zeit gehabt, über ihn hinwegzukommen und es war mir immer noch nicht gelungen. 

»Ich bereue, was ich getan habe. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurück drehen, das tue ich wirklich. Aber in den letzten Jahren hatte ich Zeit darüber nachzudenken und da habe ich eine Entscheidung getroffen« Während seines Monologs hatte ich versucht, möglichst ungerührt auszusehen, aber als er plötzlich vor mir auf die Knie fiel, entglitten mir meine Gesichtszüge.

 »Lady Lucinda Philippa Hastings, mein Herz zwingt mich, eine Bitte an euch zu wagen, von der mein Lebensglück abhängt. Ich empfinde feurigste, reinste Liebe für euch, schönes Fräulein, und biete euch hiermit meine Hand an« Mit treuen Augen sah er zu mir auf. »Bitte Lucy, wollt ihr mich zum glücklichsten Mann Englands machen und meine Ehefrau werden?« Völlig aus der Fassung gebracht, starrte ich ihn an.

Die sterbliche BaroninWo Geschichten leben. Entdecke jetzt