Sommerhaus, später

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(Fünf Jahre später)

Falk goss den Champagner in mein Glas. Trotz des elenden Dezemberwetters strahlte er wie noch nie. Es war seine, bis dahin, größte Ausstellung in seinem Atelier. Falk und Toddi hatten Plakate in der ganzen Stadt aufgehangen und Flyer verteilt. Von der Frankfurter Allee bis zum Potsdamer Platz, ganz Berlin wusste Bescheid. Viele, angeblich wichtige, Leute kamen. Auch Anna und Toddi standen nur eine halbe Stunde nach mir im Atelier. Im Atelier waren diverse Gemälde und Skulpturen von Falk ausgestellt. Ich entdeckte ein Gemälde auf welchem ein zugefrorener See abgebildet wurde und schaute zu Toddi, der sich angeregt mit Anna unterhielt.  Auch entdeckte ich ein Bild der Frankfurter Allee, welches mir besonders gefiel. Nach einer obligatorischen Bekanntmachung mit Falks Kollegen kam der erste Talent-Scout auf mich zu. „Hallo die Dame.", sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen als sei plötzlich der Frühling ausgebrochen. Augenrollend wendete ich mich von ihm ab und trank einen Schluck Champagner. Ich schlenderte weiter durch das Atelier und blieb vor einem bestimmten Gemälde stehen. Zu sehen war ein großer Fels in einer Winternacht. Der Schnee bedeckte den Fels nicht ganz. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Nervös zupfte ich mir mein blaues Samt-Kleid zurecht. Erneut nahm ich einen kräftigen Schluck aus meinem Glas. Ich suchte nach der nächst besten Gelegenheit mein Glas auffüllen zu lassen, doch so weit sollte ich nicht kommen.

Als ich umkehrte stand Stein auf der anderen Seite des Ateliers und sah mich an. Zwischen all den schick und elegant gekleideten Leuten fiel er sofort auf. Eigentlich fiel er immer auf. Falk stand hinter mir und legte seine Hand auf meine Schulter. Er fragte mich wie es mir gefallen würde und ich antwortete: „Gut.", und sagte das ich los müsste. Ich drückte ihm mein Glas in die Hand. Stein, der die ganze Situation beobachtet hatte, machte Anstalten auf uns zu zugehen, doch ehe er dies tat, rannte ich aus dem Atelier.

Vor dem Atelier zündete ich mir mechanisch eine Zigarette an. Ich spürte die kalte Dezemberluft auf meinen nackten Beinen. Das Mondlicht lies die nasse Straße hell erleuchten. Im Augenwinkel sah ich irgendeine Person auf mich zu kommen. Ihre Gangart kam mir bekannt vor. Ich merkte, wie ich hoffte das es Stein sei, jedoch war es Falk. Er fragte mich was los sei. Ich antwortete, dass mir nichts fehlen würde und er wieder hinein gehen solle. Ich würde schon klar kommen. Er nickte und ging wieder in sein Atelier. Daraufhin lehnte ich mich an die Fassade des alten Fabrikhauses und schloss die Augen. Es müssen mehrere Minuten gewesen sein, denn als ich die Augen öffnete spürte ich einen stechenden Blick. Es war Stein. Er schaute mich an. Er schaute mich an, wie er es immer tat. Er schaute mich an wie er es bei unserem ersten Treffen tat und auch bei unserem letzten. Er schwieg. Ich schwieg. So wie wir es immer taten. Auch nach fünf Jahren hatte sich daran nichts geändert. Auch nach fünf Jahren in denen wir uns nicht gesehen haben, war es doch so wie immer. Stein lies seinen Blick nicht von mir ab, doch sagte kein Wort. Auch mir viel wenig ein, wie immer wenn Stein auftaucht. Mein Kopf war völlig leer, obwohl ich so viele Fragen hatte. Stein kam einen Schritt auf mich zu und sagte: „Hallo. Hier ist Stein.". Verständnislos verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Das sehe ich doch.", antwortete ich. Ich sah das er seine Worte sofort bereute. Der Wind wurde stärker. Er pfiff durch die Straße und spielte mit meinen Haaren. „Gib mir fünf Minuten, dann bin ich wieder da.", sagte er und lief die Straße runter. Ich sagte gereizt: „Okay, beeil dich.". Ich dachte: „Stein, ich habe keine Lust, es ist eiskalt draußen." Zwei Minuten später stand sein Taxi vor mir auf der Straße. Mühsam reckte er sich vom Fahrerplatz zur Beifahrerseite, um mir die Tür zu öffnen. Ich blieb noch immer wie angewurzelt stehen.  Stein gab mir ein Zeichen mich in den Wagen zu setzen. Auch heute noch roch sein Taxi nach Zigaretten. Stein fuhr sofort los. Ich stellte keine Fragen. Auch weil ich keine falschen stellen wollte.

Wir hörten Massive Attack, zündeten und beide eine Zigarette an und fuhren über die Frankfurter Allee, als hätten wir nie etwas anderes getan. Ich streckte meinen Kopf aus dem Taxifenster um die kalte Luft der Nacht zu spüren. Die Straßen waren menschenleer. Die Gebäude wirkten umso riesiger. Doch anders als sonst war ich bei der Autofahrt nicht müde, sondern empfand eine seltsame Euphorie. Auch heute noch, hatte Stein für jede Strecke eine andere Musik. Zwischendurch rauchten wir oder sahen uns an. Ich sah Stein länger an als er mich. Steins Gesicht wies ungewöhnlich viele Falten auf. Ich bemerkte ein paar graue Haare. Er war älter geworden. Es fühlte sich an, als wäre er noch derselbe, auch wenn es nicht so aussah. Ich schloss meine Augen und genoss die Musik. Irgendwann meinte Stein dann: „Wir sind da.". Schlagartig öffnete ich die Augen. Wir waren in Canitz. In dem Canitz in dem wir irgendwann schon einmal waren. Der Ort an dem Steins Haus stand. Das Haus. Ich erinnerte mich wieder. Ich erinnerte mich an Steins letzten Brief. Der Brief in dem der Zeitungsartikel bei lag und in dem drin Stand, dass das Haus abgebrannt sei und der Besitzer seit dem verschwunden ist. Ich spürte wie es plötzlich ein paar Grad kälter wurde. Stein schaute mich kurz an, stieg dann aber aus dem Wagen. Auch ich stieg aus und mein Blick fiel sofort auf das Grundstück auf dem damals das Haus stand. Zu sehen war nicht als verbrannte Reste des Hauses. Es war damals schon eine Ruine, aber heute war kaum etwas davon übrig. Stein schaute traurig auf die Überreste seines ehemaligen Traums. Erneut dachte ich an seine Briefe und wie er schrieb: wenn du mal kommst. Bis heute wartete ich auf sein: Komm. „Wieso hast du nie „Komm" geschrieben?" murmelte ich vor mich hin, den Blick immer noch auf das Grundstück gerichtet. „Was hast du gesagt?" sagte Stein und schaute erschrocken zu mir. Sein Blick war voller Hoffnung.  Ich geriet ins Stottern. Stein fasste mich bei den Schultern und schrie plötzlich: „Was hast du da gerade eben gesagt?". Er schaute mir direkt in die Augen. Er packte, mit seinen linken Hand, fest mein Handgelenk. Ich antwortete: „Ich fragte mich immer warum du mir nie sagtest ich soll zu dir kommen. Wenn du mir einen Brief geschickt hast, wartete ich immer auf das „Komm". Aber es ist egal Stein.", schaute ihn dabei aber nicht direkt an.  Es begann zu schneien. Ich versuchte mich aus Steins festen Griff zu befreien, doch er packte mich plötzlich fester und sagte: „Komm mit mir.".  Die Schneeflocken setzten sich auf uns ab, als würden sie eine letzte Quelle der Wärme suchen. Er fuhr fort: „Komm mit mir und lass und all das vergessen. Lass uns zusammen eine gemeinsame Zukunft planen. Du bist alles, was ich je wollte. Vergiss die anderen, wir brauchen doch nur uns.". Mein Kopf war plötzlich leer. Stein sorgte jedes mal dafür. Er lies mich los und ich stellte mich dort hin, wo früher die Tür des Hauses war. Stein schaute mir irritiert nach. Ich griff in meine Tasche und holte den Schlüsselbund heraus, den mir Stein damals gegeben hatte. Trotz der Dunkelheit sah ich ein kurzes Lächeln über seinen Lippen huschen. Er kam zu mir. Ich tat so als würde ich die Haustür mit dem Schlüssel aufschließen. Stein legte seine Hand auf meine und fragt voller Freude: „Wie sollen wir das machen? Wann sollen wir deine Sachen holen? Wann und wie willst du das den anderen erklären?". Ich legte meine Arme um seinen Hals und sagte: „Später.".

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 24, 2019 ⏰

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