Prolog

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„Ich will nicht." flüstere ich in die Stille hinein. „Ich will wirklich nicht." wiederhole ich meinen Gedanken. Es überrascht mich nicht, nichts außer meiner eigenen Stimme zu hören.

Es rührt sich nichts. Kein Rascheln, keine Schritte, nur Kälte.
Eine beängstigende, bodenlose Kälte. Eine Welle der Einsamkeit überrollt mich. Wie in jeder Sekunde an diesem Ort, wo auch immer der ist. Ich wiederhole diese Worte als Mantra, um mich geistig gesund zu halten.

Denn diese Worte bedeuten mir sehr viel. Gerade hier wo alles bedeutungslos scheint. Denn ich trage keine Schuld. Ich habe keinen Mord geplant. Aber auch leider nichts getan um ihn zu verhindern. Ließ sie sterben. Ließ sie ihr Opfer bringen. Meine Aufgabe war es sie zu schützen, ich hatte es sogar geschworen.

Konnte es aber nicht halten und sie hat es gewusst. Sie hat im Voraus gewusst, dass ich den Schwur brechen würde und deshalb habe ich ihn leisten müssen. Um bei Brechen des Schwurs leiden zu müssen. Und obendrauf an einem Ort mit sehr beschränkter Widerkehr zu kommen. Sollte ich hier rauskommen, wäre ich älter, nutzlos und mit Rufschaden.

In der Zwischenzeit habe ich genug Zeit um Reue zu verbüßen. Um zu lernen keine Schwüre zu leisten. Vor allem dann nicht, wenn ich weiß, dass ich ihn nicht halten kann. Genauso dass man Verbrechen verhindern sollte, anstatt sie zuzulassen. Aber dass hatte ich noch nie vermocht. Noch nie auch nur gekonnt.

Ich konnte nicht verhindern, dass sie meinem Bruder die Kehle durchschnitten. Noch heute sehe ich seinen Blick vor mir. Flehend, mich ja versteckt zu halten. Und gleichzeitig verblassend mit jedem Tropfen Blut der ihn verlässt. Ich konnte mich nicht rühren vor Angst. Ich hatte ja mitansehen müssen, was sie meiner Mutter und Schwester antaten.

Die Beiden waren zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Sie waren später als ich erst daheim gewesen. Hatten versucht meinen Bruder zu retten. Das war nicht möglich gewesen. Mein Bruder hatte mich, als sie ins Haus einbrachen, in den Schrank geschubst und abgeschlossen. Ein Schrank mit Katzenklappe. Groß genug für mich.

Ich war nur nicht in der Lage mich zu rühren, geschweige denn zu verwandeln. Sie rissen meiner Schwester und Mutter die Kleider vom Leib, warfen sie aufs Bett und beschmutzten sie auf die schrecklichste Art und Weise, mit der man jemanden schänden kann.

Als sie dann nach einer gefühlten Ewigkeit endlich fertig waren, verließen sie gehässig lachend unser Haus. Ein Ort, der mal Zuhause und Schutz gewesen war. Einen Ort, der diese Werte mit dem Übergriff verloren hatte. Beide mehr tot als am Leben. In den Augen, tausend Tode.

Sie waren nie wieder dieselben. Wir zogen um, meine Mutter, Schwester und ich. Aber wir fanden keinen wirklichen Ort der Zuflucht mehr. Meine Schwester verschwand 8 Monate nach der Tat wortlos und in der Nacht. Sie kehrte nicht zurück. Meine Mutter blieb. Zumindest solange, bis ihr innerlicher Zerfall so weit fortgeschritten war, bis auch sie verschwand.
Und das ohne Widerkehr.

Sie hatte die Geschehnisse dieses Tages nie verkraften können und noch weniger verarbeitet. So saß ich dann da, ohne Hoffnung, ohne Liebe oder Zuneigung.

Bis die Sonne mich fand und zeichnete. Mir den Schwur meines Lebens abverlangte. Mit der absoluten Gewissheit, dass ich würde leiden müssen. Mit Narben gezeichnet, Verbrannt und Verloren. Für den Rest meines Lebens.

Solaris SonnentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt